Oberhausen. Bei einigen ist die Empörung groß: Das Sieben-Millionen-Ratssaal-Projekt der armen Stadt Oberhausen ist umstritten. Hier unsere Meinung.
Über sieben Millionen Euro für ein einziges Zimmer – und dann ausgerechnet für die Politik: Da ist das Empörungspotenzial absehbar groß. Denn in Oberhausen mangelt es an vielen Stellen – vor allem weil die Steuerkraft der Bevölkerung und der Wirtschaft gering, die sozialen Kosten aber hoch sind. Seit Jahrzehnten ist Oberhausen unterfinanziert – trotz aller Aufholjagd bei Schulen, Kitas, Kanälen und Straßen ist das überall zu spüren. Und doch ist es richtig, das historische Erbe der 160 Jahre jungen Stadt zu pflegen. Hier sieben Argumente – für jede Million ein guter Grund:
Erstens: Das Ruhrgebiet agierte bis in die 80er Jahre hinein geschichtsvergessen: Wichtige historische Wegmarken wurden vernichtet, Altstädte wie in Herten oder Essen-Steele plattgemacht. Während Bayern jeden Stein seiner 110.000 Baudenkmälern aus Stolz auf seine Geschichte kostenträchtig pflegt, warfen die Ruhrgebietler die Motoren der Abriss-Bagger an. In diesem Geiste haben Handwerker ein Drittel der Stuckdecke im wichtigsten Oberhausener Saal zerstört. Erst mit der Internationalen Bauausstellung Emscherpark der 90er Jahre änderte sich das. Die Stuckdecke ist so einzigartig, dass es frevelhaft gewesen wäre, diese wieder zu verdecken.
Zweitens: Ein Ratssaal gehört nicht der Politik, sondern der Gemeinschaft aller Bürger in einer Stadt. Oberhausen darf auch als arme Stadt die Demokratie und die engagierte Bürgerschaft feiern – in repräsentativen Räumen. Der Ratssaal ist ein sichtbares Zeugnis dafür, dass Oberhausener stolz sein dürfen auf das, was diese Stadt in 160 Jahren geleistet hat. Das heißt aber auch: Künftig muss der Ratssaal für mehr Veranstaltungen geöffnet werden als nur für politische Gremien, er muss zu einem echten Bürgersaal werden.
Auch interessant
Drittens: Der Ratssaal wurde jahrzehntelang nicht modernisiert. Er schloss Behinderte aus, war im Sommer heiß und stickig, hatte weder gute Mikros noch guten Internetzugang. Live-Übertragungen von Ratssitzungen waren kaum möglich. So oder so hätte Oberhausen den Ratssaal renovieren müssen.
Viertens: Erst bei den Bauarbeiten stellte sich teuer heraus, dass der Boden mit fünf Zentimetern durch Baupfusch so dünn war, dass die Ratsmitglieder jederzeit hätten durchbrechen können. Das musste ohnehin repariert werden.
Auch interessant
Fünftens: Die Baustandards in Deutschland sind so hoch, dass diese erheblich die Kosten nach oben treiben. Greift man einmal ein, herrscht kein Bestandsschutz mehr und selbst so ein alter Ratssaal muss den heutigen Vorschriften genügen. So musste die Klimaanlage hinter extrem dicken Wänden platziert werden und funktionierende Saaltüren mussten gegen Brandschutztüren ausgetauscht werden. Solche übertriebenen Baustandards müsste die Politik generell hinterfragen.
Sechstens: Die Denkmalschützer haben darauf gedrängt, die historische Substanz korrekt wiederherzustellen – Farben, Fenster, Holzvertäfelung. Und das ist auch gut so: Wenn man etwas Wertvolles wie den Ratssaal anpackt, dann auch richtig.
Auch interessant
Siebtens: Oberhausen hätte tatsächlich die eine oder andere Million Euro sparen können, wenn man den Ratssaal weniger historisch akkurat hergerichtet hätte, die meisten Kosten waren aber notwendig. Angesichts von jährlichen Stadt-Ausgaben von einer Milliarde, also 1000 Millionen Euro, ist diese einmalige Zusatz-Investition zu verkraften – und Generationen haben einen der schönsten Bürgersäle der Republik.