Oberhausen. 90 Jahre lang hatten Oberhausener Politiker viel Glück: Durch Baupfusch war der Boden im Ratssaal nur fünf Zentimeter dünn. Jetzt wird es teuer.

Als Floskel schreibt es sich so leicht dahin: dass sich der Boden unter den Füßen auftut. Tatsächlich hatten die Ratspolitiker in Oberhausen 90 Jahre lang großes Glück, dass genau dies nicht passierte. Denn der Stahlbetonboden in diesem zentralen Raum des Rathauses an der Schwartzstraße ist während der Bauzeit nicht annähernd so ausgeführt worden, wie es die Baudokumente vorgeschrieben hatten. Nur bis zu fünf Zentimeter dünn, an den Rändern des Saales acht Zentimeter, ist der Boden aus Stahlbeton, der eigentlich 22 Zentimeter stärker sein müsste.

„Wir sind froh, dass nichts passiert ist“, meint Daniel Schranz. Doch jetzt muss viel mehr Geld in die Renovierung des Ratssaals gesteckt werden als ursprünglich geplant: Sechs Millionen Euro statt 4,5 Millionen Euro. Das Projekt ist von der Politik bereits 2018 gestartet worden – und sollte ursprünglich nur eine halbe Million Euro kosten.

Der Oberbürgermeister sieht deshalb in dem Projekt Ratssaal „Freud und Leid beim Bauen im historischen Bestand“ in einem besonders krassen Verhältnis: Der freudige Aspekt war natürlich die Wiederentdeckung der im gesamten Rheinland einzigartigen „Art déco“-Stuckdecke. Über 60 Jahre war sie verborgen unter einer schlichten, abgehängten Decke aus Gipskarton.

„Eigentlich wollten wir schon fast fertig sein“, meint Daniel Schranz inmitten der derzeit noch ruinös wirkenden Baustelle Ratssaal.
„Eigentlich wollten wir schon fast fertig sein“, meint Daniel Schranz inmitten der derzeit noch ruinös wirkenden Baustelle Ratssaal. © FUNKE/Fotoservices | Gerd Wallhorn

Für 284.000 Euro wiederhergestellt, strahlt diese expressive Baukunst jetzt wieder in starken Farbkontrasten von Anthrazit-, Gold- und Silbertönen. „Eigentlich wollten wir schon fast fertig sein mit diesem außerordentlich interessanten Raum“, sagt Daniel Schranz. Doch bei ersten Bodenarbeiten hatten unerwartete Löcher die Handwerker stutzen lassen: Die zunächst vermuteten Lampenbohrungen für die beiden Sitzungssäle darunter enthüllten dann den historischen Pfusch am Bau.

50er-Jahre-Fries erhält das Böckler-Berufskolleg

„Alle anderen Decken im Rathaus sind 22 Zentimeter stärker“, weiß Horst Kalthoff. Der Technische Geschäftsführer der Servicebetriebe SBO erläutert: Pro Quadratmeter muss der Saal eine Last von 1,1 Tonnen tragen. „Unser Statiker sagt: Das kriegen wir hin.“ Der zentrale Stahlträger im Boden des Saales sei in Ordnung. Weitere Träger aus Stahl und Vollholz machen nun den Boden „einbruchsicher“.

Bereits von den Wänden abgenommen ist das Fries des Oberhausener Künstlers Walter Mawick. „Es hätte sich massiv gebissen mit der Decke“, sagt Daniel Schranz. Und auch Denkmalschützer Andreas von Scheven nannte vor einem Jahr diesen Fries aus den 1950ern „nicht denkmalwert“. Dennoch fand sich eine würdige Lösung für die Nachkriegskunst: Die stilisierte Stadtsilhouette schmückt schon bald drei Wände der Aula im Hans-Böckler-Berufskolleg. Das Gebäude aus den 1950ern beherbergt bereits Mawick-Werke in seinem Foyer.

Modern möbliert unter strahlender „Art déco“-Decke: So soll der Ratssaal bis Ende des Sommers aussehen. Eine Simulation des ausführenden Architekturbüros BST Architekten, Baumast, Lingenberg, Urban Part.
Modern möbliert unter strahlender „Art déco“-Decke: So soll der Ratssaal bis Ende des Sommers aussehen. Eine Simulation des ausführenden Architekturbüros BST Architekten, Baumast, Lingenberg, Urban Part. © Stadt Oberhausen

Fast eine halbe Million Euro investiert die Stadt in die Erneuerung der Fenster. Deren einstiges Aussehen ist in wenigen Fotos nur unzulänglich dokumentiert. Doch die renommierte Glaskünstlerin Prof. Christine Triebsch hatte zur Probe gleich zwei Versionen vorgelegt: eine entschieden moderne – und eine im Geist von 1930 zwischen Bauhaus-Strenge und dem Esprit des „Art déco“. Man habe sich einvernehmlich für die historisierende Variante entschieden, erläutert der Oberbürgermeister. Transparenter als die moderneren Entwürfe „verhindern sie ein Abgekapseltsein im Saal mit seiner expressiven Decke und den dunklen Paneelwänden“.

Zudem helfen die mattierten Fenster dem Raumklima. Künftig sollen – dank der neu genutzten, 90 Jahre alten Lüftungsschächte – allenfalls die Ratsdebatten heißlaufen, der Saal selbst aber nicht mehr zur stickigen Sauna werden. „Technisch hochinteressant“ nennt Horst Kalthoff das Zusammenspiel von modernen Klimaaggregaten mit der ausgeklügelten Belüftung von 1930.

Expressive Baukunst in starken Farbkontrasten von Anthrazit-, Gold- und Silbertönen: der Blick von unten an die Stuckdecke.
Expressive Baukunst in starken Farbkontrasten von Anthrazit-, Gold- und Silbertönen: der Blick von unten an die Stuckdecke. © FUNKE/Fotoservices | Gerd Wallhorn

Bedauern lässt Daniel Schranz anklingen, dass die Besuchertribüne künftig nur noch 28 Plätze aufnehmen kann: Mehr lasse der Brandschutz nicht zu, weil dieser Raum mit Blick hinab in den Ratssaal keinen zweiten Rettungsweg hat. Auch dort kommt historischer Stuck-Schmuck wieder zur Geltung.

Sitzmöbel auf Schienen: ein Sicherheitsplus

Entschieden modern und „parlamentarisch“, wie der Oberbürgermeister betont, bleibt man bei Sitzordnung und Mobiliar: Historische Fotos zeigen Bänke und Stühle aufgereiht „wie im Klassenzimmer“ – doch die Politiker, die hier im Herbst 2022 wieder tagen wollen, bevorzugen den leicht ansteigenden Halbkreis um das Verwaltungspodium. Wie im Bundestag sind übrigens die Sitzmöbel in Schienen gestellt: nicht nur ein Komfort-, sondern auch ein Sicherheitsplus.

Dank Barrierefreiheit und einer überfälligen, neuen technischen Ausstattung – der Oberbürgermeister verweist auf die alten Mikrofone „von 1958“ – wäre der 90-jährige Ratssaal auch fit für Sitzungen im Streaming-Format. Bis dahin hält der Saal „Berlin“ der Luise-Albertz-Halle die Stellung.

Info: 1,5 Millionen über der kalkulierten Summe

Insgesamt 4.455.000 Euro beträgt die bisherig kalkulierte Investitionssumme – bei der die Auflagen für die Barrierefreiheit mit 248.000 Euro noch den kleinsten Posten einnehmen. Die historische Stuckdecke wiederherzustellen, kostete 284.000 Euro, die Erneuerung der Fenster 495.000 Euro. Jeweils eine weitere Million Euro kosten die moderne Möblierung auf ansteigenden Podesten und die heutiger DIN-Norm gerechte technische Ausstattung.

Die Mehrkosten, bedingt durch den maroden Boden einerseits sowie die Entfernung von Schadstoffen im Saal und an dessen Belüftungsanlage, addiert die Stadtverwaltung auf rund 1,5 Millionen Euro. Damit kostet die Renovierung des Ratsaals im zweiten Stock des Rathauses rund sechs Millionen Euro.