Oberhausen. Die erneuerte Ausstellung „Aufbruch macht Geschichte“ des Stadtarchivs zeigt in der Ludwiggalerie die Stadt im Wandel – und blickt bis 2040.

Stadtarchive werden wohl chronisch unterschätzt mit ihrem Image als Aktenverwahranstalten. Tatsächlich können sie topaktuell sein – zumindest bei einem so alerten Archivleiter wie Magnus Dellwig. Denn in der Panoramagalerie des Schlosses Oberhausen lassen die Exponate aus dem Stadtarchiv wieder mal staunen.

Da krönt den pompösen silbernen Tafelaufsatz, den der Industrielle Carl Lueg 1904 der Stadt stiftete, ein bärtiger Bergknappe, den Lorbeerkranz in der erhobenen Rechten. Da stellt Stadtkünstler Walter „Kuro“ Kurowski auf dem monumentalen Gemälde „Rostiger Boden“ von 1985 den OB Friedhelm van den Mond vor ein schräg wegkippendes Rathaus. Und der wuchtige Schlagbohrer ruht direkt vor dem klobigen ISE-Bürocomputer.

„Strukturwandel“, sagt Magnus Dellwig, der Leiter des Stadtarchivs, „ist mehr als die letzten 30 Jahre“ – also mehr als das Werden der „Neuen Mitte“.
„Strukturwandel“, sagt Magnus Dellwig, der Leiter des Stadtarchivs, „ist mehr als die letzten 30 Jahre“ – also mehr als das Werden der „Neuen Mitte“. © FUNKE / Foto Services | Gerd Wallhorn

Diese Schätzchen zählten auch schon im Herbst 2020 zur ersten Ausstellungsrunde von „Aufbruch macht Geschichte“, die Oberhausens Historie seit 1847 so kompakt wie souverän aufrollt. Der Untertitel macht’s spannend: „Strukturwandel“, betont Magnus Dellwig, „ist mehr als die letzten 30 Jahre“ – also mehr als das Werden der „Neuen Mitte“. Für diese Neuauflage im Jahr der Ausstellungs-Reprisen in der Ludwiggalerie wagt das institutionalisierte „Gedächtnis der Stadt“ sogar den Blick nach vorne: bis ins Jahr 2040. Denn die Pläne und das allerliebste Centro-Modell aus der Pionierzeit der Shopping-Mall ergänzen nun erste Blicke auf den neuen Masterplan des hochmögenden Frankfurter Büros Albert Speer + Partner (AS+P).

In der Wildweststadt war immer schon Neuanfang

In dieser Wildweststadt war schließlich immer schon Neuanfang – mehr als irgendwo sonst im Ruhrgebiet. Dellwig nennt sie „die idealtypische Industriestadt, als einzige entstanden in öder Heidelandschaft“. 1847 kam der Bahnanschluss ins Nirgendwo. Von 1857 datiert schon die erst wandfüllende Karte mit (mutmaßlich geschönten) Ansichten der neuen Fabriken. Die vereinzelten Wohn- und Geschäftshäuser um den Marktplatz lassen sich noch an zwei Händen abzählen.

Gezeichnet mit expressionistischer Verve: Eine Ansicht des 1930 eingeweihten Rathauses an der Schwartzstraße.
Gezeichnet mit expressionistischer Verve: Eine Ansicht des 1930 eingeweihten Rathauses an der Schwartzstraße. © FUNKE / Foto Services | Gerd Wallhorn

Nach der Strukturwerdung aus dem Nichts der Heide meint „Strukturwandel 1.0“ im Dellwig’schen Sinn die Epoche seit 1894 (bis 1933), als die erst 20 Jahre junge Stadt sich eine Mitte schuf und die losen Enden zwischen Rathaus und Altmarkt verknüpfte: Diese früheste „Neue Mitte“ entstand auf der Fläche der Styrumer Eisenindustrie – bis zu ihrem Ende 1901 „ein brutales Hindernis für die Stadtentwicklung“: Der Archivleiter verweist auf das Foto einer Phalanx rauchender Schlote – es zeigt nicht etwa die Gutehoffnungshütte, sondern den heutigen Friedensplatz und seine Umgebung.

Keineswegs nur Erfolgs-Geschichte

Eigens für die Ausstellung leistete das Katasteramt aufwendige Detailarbeit, und legte Stadtpläne aus zwei Jahrhunderten übereinander. Ein großer Projektionstisch im Mittelpunkt der Ausstellung macht’s anschaulich. „Strukturwandel“ seit nun 175 Jahren bedeute aber keineswegs immer Erfolgs-Geschichte – auf diesen Aspekt machte Michaela Schmitz-Oetjen als Dellwigs Stellvertreterin aufmerksam: „Tatsächlich gab es auch gescheiterte Projekte, wie die Überdachung der Marktstraße.“ Oder jenen heute gerne vergessenen Zukunftspark namens „O.Vision“, dessen großspurige Entwürfe aus der Jahrtausendwende in dieser Ausstellung zu geradezu putzig überalterten Computergrafiken schrumpfen.

2006 wurde diese spezielle Zukunft mangels Finanzmasse beerdigt – und sieht neben einer mit expressionistischer Verve gezeichneten Skizze des Rathauses von 1930 ganz schön alt aus. An der Schwartzstraße macht die Stadttochter SBO gerade den Ratssaal für immer mehr Millionen zukunftsfest – und dürfte so in einigen Jahren für einen hochspannenden Aktenbestand im Archiv sorgen.

Standardwerk und prämierter Imagefilm

Das Buch zur Ausstellung „Aufbruch macht Geschichte“ darf als neues Standardwerk gelten. Der 350 Seiten starke, reich illustrierte Band, erschienen 2020 im Verlag Karl Maria Laufen, kostet 29,90 Euro und firmiert als sechster Band der Oberhausener Stadtgeschichte; ISBN 978-3-87468-399-9.

Im Kabinett neben dem Museumsshop lässt sich kurzweilig „fernsehen“: In Video-Interviews erzählen Zeitzeugen vom Strukturwandel. Und mit „Schichten unter der Dunstglocke“ gibt’s einen 1959 Festival-prämierten Imagefilm. Regisseur Herbert Viktor zeigt in diesen 14 Minuten vor allem den Stolz der Oberhausener auf ihre aufstrebende Stadt.

Im Kleinen Schloss ist der Eintritt frei. „Aufbruch macht Geschichte“ ist dort bis zum 22. Januar 2023 zu sehen.