Oberhausen. Sieben Millionen Euro für den renovierten Ratssaal? Das löst nun Kritik aus. Doch auch der Gesamtbau des Oberhausener Rathauses war umstritten.
Für über sieben Millionen Euro ließ die Politik den historischen Ratssaal im Oberhausener Rathaus modernisieren – mit der Rekonstruktion einer bundesweit einzigartigen Stuckdecke, bleiverglasten Fensterreihen, neuer Klimaanlage und Live-Übertragungsmöglichkeiten von Sitzungen ins Internet. Dass diese hohe Summe zu aufgeregten Diskussionen führen würde, ist klar, da man bei den heutigen Baupreisen dafür immerhin 15 Einfamilienhäuser oder drei bis vier Kitas bauen könnte.
Doch auch schon beim Bau des Rathauses Ende der 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts gab es Diskussionen über die hohen Kosten für den „Prunkbau“ der aufstrebenden Großstadt Oberhausen – im Ausland bei Briten und Franzosen. Sie pochten auf Reparationszahlungen von Deutschland, die die großen Schäden in ihren Ländern im Ersten Weltkrieg mildern sollten.
Dietrich Behrends, der frühere Leiter der Oberhausener WAZ-Lokalredaktion, schrieb im Jahrbuch „Oberhausen 2005“ (Herausgeber Ha-Jo Plitt) über den Ärger im Ausland und die Geschichte des bemerkenswerten Rathaus-Baus durch Stadtbaumeister Ludwig Freitag auf dem einstigen Galgenberg der Stadt an der heutigen Schwartzstraße. Die Überschrift des Artikels lautet: „Vor 75 Jahren: Groß-Oberhausen startet im neuen Rathaus“. Denn 1929 wurden die Stadtkreise Oberhausen, Osterfeld und Sterkrade zur neuen Großstadt Oberhausen vereint. Im Frühjahr 1930 bezogen die Behördenmitarbeiter und der Stadtrat das neu gebaute Rathaus.
Das gesamte Rathaus kostete Ende der 1920er Jahre 2,8 Millionen Reichsmark
Bereits vor dem Beschluss des Stadtrates im Jahre 1927 das Rathaus neu zu bauen, musste der damalige Bürgermeister Berthold Havenstein den Gesamtpreis von 2,8 Millionen Reichsmark für das Hauptgebäude rechtfertigen: „Das neue Werk ist reichlich überlegt und fordert von unseren Bürgern schwere Opfer. Aber diese Opfer sind für uns tragbar und nicht in der Lage, den Stadtfinanzen das Rückgrat zu brechen.“ 2,8 Millionen war damals tatsächlich viel Geld: Das Brot kostet 1927 gerade mal 38 Pfennig, das durchschnittliche Bruttoarbeitseinkommen der Arbeitnehmer belief sich im Jahr auf 1742 Reichsmark. Das Rathaus kostete also damals 1600 durchschnittliche Jahresgehälter. Umgerechnet auf die heutigen Zeiten wäre das so, als ob Oberhausen ein komplett neues Bürohaus für knapp 80 Millionen Euro bauen würde.
Erst recht kritisch sah die Lage bei der Einweihung des Rathauses im Jahre 1930 aus, ein Jahr nach Beginn der Weltwirtschaftskrise. Der erst kurz zuvor zum Oberbürgermeister gewählte Wilhelm Heuser (Zentrumspartei, später NSDAP) sagte damals in der ersten Stadtverordnetensitzung im Mai 1930: „Ich bin mir bewusst, dass ich mein Amt in einer Zeit antrete, in der unser Wirtschaftsleben schwer danieder liegt, zu einer Zeit, in der die Not nicht allein in viele Arbeiterfamilien, sondern auch in manche Familie des gewerblichen Mittelstandes eingezogen ist.“ Sein Appell damals: „Wir müssen sparsam wirtschaften.“
Behrends führt in seinem damaligen Artikel die Reaktionen im Inland und Ausland wie folgt aus: „Die Fachwelt feierte den Neubau auf dem Galgenberg als schönsten Rathausbau Westdeutschlands, als Musterbeispiel backsteinexpressionistischer Architektur. Die städtebauliche Wirkung des Neubaus konnten die Stadtplaner noch dadurch erhöhen, dass sie den Grillopark umgestalteten und mit dem neuen Rathaus in eine architektonische Einheit brachten.
Schotten: Das angeblich arme Deutschland baut Luxusbauten
Die Kunde vom stattlichen Rathausbau in der Industriestadt Oberhausen drang über die Reichsgrenze und sorgte in Frankreich und England für Ärger, wo man mit den Reparationszahlungen Deutschlands unzufrieden war. Französische und englische Zeitungen werteten den ,Prunkbau’ der westdeutschen Arbeiterstadt als Beweis dafür, dass die Deutschen, Verlierer des Ersten Weltkriegs, höhere Zahlungen erbringen könnten, als sie aufzubringen bereit seien. Einen solchen Repräsentationsbau, hieß es, könne sich keine französische Stadt leisten.
In einer schottischen Zeitung war zu lesen, der Oberhausener Rathausbau beweise, dass die angebliche Armut des Kriegsverlierers Deutschland erlogen sei: ,Das ‚arme’ Deutschland verwendet das von seinen Gläubigern geliehene Geld für Luxusbauten, statt Reparationen zu zahlen.’
Das neue Rathaus und der 1929 begonnene, 1934 in Betrieb genommene neue Bahnhof mit seinem 32 Meter hohen Wasserturm waren wichtige Meilensteine auf dem Weg zu einem großstädtischen Stadtbild, zum Bild einer ihren Bewohnern mehr Lebensqualität bietenden Stadt.
Von Kriegsgegnern aus dem Ersten Weltkrieg kam allerdings nicht nur Kritik. Ein englischer Stadtplaner, durch die Rathaus-Schlagzeilen in der Presse auf Oberhausen aufmerksam geworden, sah sich in unserer Stadt um und kam zu einem positiven Urteil: ,Die Stadt ist sehr fein angelegt, und wenn man es versteht, die Anlage voll und ganz auszunutzen, wird Oberhausen bald eine vorbildliche Großstadt sein. Die Stadt wirkt übersichtlich durch die meist schachbrettartig angelegten Straßen und durch die Zusammenziehung aller Verwaltungsbauten in einem Viertel.’“
Der frühere Oberbürgermeister Aschmann über Oberhausen: „In diesem Nest möchte ich nicht begraben sein.“
Welchen Sprung Oberhausen stadtplanerisch in den ersten 30 Jahren des vorherigen Jahrhunderts und danach in den 50er Jahren machte, zeigt die erste, wenig gnädige Bewertung des Stadtbildes durch den Oberhausener Nachkriegs-Oberbürgermeister Otto Aschmann (1948 bis 1952, erster CDU-Oberbürgermeister der Stadt).
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Als der Tilsiter in jungen Jahren 1909 nach Oberhausen kam, war nach Verlassen des Bahnhofs sein Eindruck: „In diesem Nest möchte ich nicht begraben sein.“ Denn der alte Zentralbahnhof war von Fabriken und Werkstätten umgeben, mitten in der Stadt war die Styrumer Eisenindustrie bis 1902 in Betrieb. Der Damm der Rolandbahn vom Bahnhof zu der erst 1928 stillgelegten Zeche in Dümpten trennte das Rathausviertel vom Stadtkern im Bereich Altmarkt und Marktstraße. Für die Stadtplaner bestand in der wild gewachsenen Industriestadt dringender Handlungsbedarf.
Entwickelt wurde damals die „Park-Stadt“-Idee: Als Ersatz für die verlorene Natur sollte die Stadtmitte selbst zu einem Park umgestaltet werden – mit repräsentativen öffentlichen Bauten. Umgesetzt wurde diese Vision von Stadtbaumeister Ludwig Freitag, der auch das neue Rathaus architektonisch innen wie außen gestaltet hat.
Mit dem neuen Amtsgerichts-Gebäude begann die gute Stadtplanung für Oberhausen
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In seinem Jahrbuch-Bericht beschreibt Dietrich Behrends die Entwicklung der Stadt Anfang des 20. Jahrhunderts: „Auf der von der 1902 in Konkurs gegangenen Styrumer Eisenindustrie zurückgelassenen ausgedehnten Brache zwischen Bahnhof und Helmholtzstraße entstand als erstes Gebäude 1906/07 das Amtsgericht im Neorenaissancestil. Erste Schritte zur Erneuerung des Stadtbildes waren auch das um 1900 errichtete Backsteingebäude der Adolf-Feld-Schule mit Rosettenschmuck am Giebel und rund um den Grillopark die schmucken Wohnhäuser im Historismusstil.
In den 1920er Jahren folgten an den Längsseiten des heutigen Friedensplatzes die von dem Technischen Beigeordneten Eduard Jüngerich und Freitag entworfenen, von der Stadt errichteten Behördenbauten, darunter das Polizeipräsidium. Dazu kam das Ruhrwachthaus mit Warenhaus (heute Bert-Brecht-Haus), ein Gebäudekomplex, der bei seiner Fertigstellung 1928 als Markstein der städtebaulichen Entwicklung Oberhausens und als erstes Hochhaus der Stadt gefeiert wurde.
Ab den 50er Jahren folgten Bauten wie das Gesundheitsamt an der Tannenbergstraße (1952), das Europahaus als Tor zur City am Südende des Friedensplatzes (1955/56), die Handelslehranstalt (Hans-Böckler-Berufskolleg) (1961), das Finanzamt Süd und die Stadthalle (1962).“