Oberhausen. Im großen Interview erläutert der neue Chef der Energieversorgung Oberhausen (EVO), Timm Dolezych, warum die Energiepreise zunächst nicht sinken.
- Der 47-jährige Energiemanager Timm Dolezych verantwortet seit 1. Januar 2023 die wirtschaftliche Lage der Energieversorgung Oberhausen (EVO).
- Im ersten großen Interview mit der Redaktion kündigt der Diplom-Ökonom an, dass er das Unternehmen auf Wachstumskurs sieht – und viele Investitionen notwendig sind.
- Bei den Preisen für Strom, Gas und Fernwärme macht der frühere RWE-Mann den Kunden wenig Hoffnung: Eine Kostensenkung stellt er noch nicht in Aussicht.
Seit diesem Jahr ist Timm Dolezych, 47-jähriger Familienvater und Diplom-Ökonom, Chef der halb städtischen, halb dem EON-Konzern gehörenden Energieversorgung Oberhausen (EVO). Er löste den langjährigen kaufmännischen EVO-Vorstand Hartmut Gieske ab. Der gebürtige Herner hat bei der RWE AG die Faszination der Energiebranche kennengelernt, anschließend bei der Süwag Energie AG in Frankfurt gearbeitet und kümmerte sich seit 2017 als Geschäftsführer der Syna GmbH um Gas- und Stromnetze. Mit der EVO, die zuletzt 192 Millionen Euro Umsatz und einen Gewinn von 11,4 Millionen Euro erzielte, hat Dolezych noch Großes vor. Das verrät der Mülheimer im großen Interview.
Herr Dolezych, die EVO hat in den vergangenen zwei Jahren die Preise für Gas und Strom vier bis fünf Mal erhöht. Wann geht es mit den Preisen endlich runter, an den Börsen ist doch Strom und Gas billiger geworden?
Dolezych: Zwar sind die Preise an den Börsen gesunken, aber das schlägt sich nicht sofort auf die Preise für unsere Kunden nieder. Denn um die Versorgungssicherheit mit Gas und Strom zu garantieren, kaufen wir die benötigten Energiemengen über einen längeren Zeitraum anteilig ein – und errechnen dadurch am Ende einen Durchschnittspreis. Die Preissenkungen an den Börsen spüren unsere Kunden somit zeitversetzt. Zu bedenken ist auch, dass die Terminpreise an den Börsen immer noch deutlich über dem Vorkriegsniveau liegen.
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In diesem Jahr haben aber bereits 200 Grundversorger ihre Preise für Strom und Gas gesenkt. Wann kommen EVO-Kunden in diesen Genuss?
Grundversorger, die jetzt die Preise senken, haben von ihren Kunden bis jetzt meist deutlich höhere Preise für Strom und Gas berechnet als die EVO. Über 80 Prozent von ihnen nehmen auch nach den genannten Preissenkungen immer noch Preise, die über den Werten der Strom- und Gaspreisbremse des Bundes liegen. Wir sind in der Grundversorgung bei Strom mit 40,8 Cent je Kilowattstunde nur knapp über der Strompreisbremse von 40 Cent. Wir haben also gar nicht das Potenzial, unsere Preise kräftig zu senken, weil wir zuvor unsere Tarife gar nicht in dem großen Maße wie andere Konkurrenten erhöht haben.
Gibt es also keine Überlegungen bei der EVO, die Preise in diesem Jahr zu senken?
Wir schauen wöchentlich auf die Beschaffungsseite und prüfen, ob wir unsere Preise reduzieren können. Immer noch sind unsere Preise absolut wettbewerbsfähig. Denn im vergangenen Jahr haben wir aus sozialen Gründen nicht alle Verteuerungen an unsere Kunden weitergegeben: Das war nur möglich, weil unsere Anteilseigner, die Stadt und die Westenergie (EON), auf einen Teil der Gewinnausschüttung verzichtet haben.
Gleichwohl ist der Druck auf den EVO-Vorstand enorm: Ihre Anteilseigner, der EON-Konzern und die Stadt, erwarten jährlich eine zweistellige Millionensumme an Ausschüttungen. Sind deshalb die Preise der EVO relativ hoch?
Nein, unsere Preise sind eben nicht hoch, aber wir sind auch kein Discounter. Denn in erster Linie sind wir für die Daseinsvorsorge der Kunden da, müssen dafür sorgen, dass stets genug Gas und Strom vorhanden ist. Discounter konnten in der Energiekrise abtauchen und sind nun plötzlich wieder da. Dabei hatten sie in der Krise ihre Kunden abgeworfen und wir mussten diese mit negativen Deckungsbeiträgen aufnehmen: Energie teuer nachkaufen, ohne die Preise entsprechend erhöhen zu können. So ist das kein fairer Wettbewerb. Wir achten jedenfalls darauf, dass wir den Spagat schaffen zwischen fairen Preisen und den Rendite-Anforderungen unserer Kapitalgeber.
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Die Bürger ächzen weiter unter hohen Energiepreisen. Erwarten Sie in Zukunft Energiepreise wie zu Vorkriegszeiten?
Ein klares Nein. So bedauerlich die Situation auch ist. Die Preise lagen zwar zeitweise 18-Mal über dem langjährigen Durchschnitt, aber wir sehen immer noch Einkaufspreise, die drei Mal so hoch sind wie Mitte 2021. Gas ist immer noch der bestimmende Faktor bei den Strompreisen – und Gas wird nicht mehr so günstig werden wie früher. Denn es wird immer teurer sein, Gas in Australien auf Schiffe zu verladen, hierhin zu verfrachten und an LNG-Terminals abzuladen, als Gas aus dem Zapfhahn einer Pipeline zu entnehmen.
Durch diese Lage gibt es leider nicht wenige Oberhausener, die ihre Strom- und Gasrechnung nicht bezahlen können. Dann dreht ihnen die EVO den Saft ab. Das trifft vor allem Familien mit kleinen Kindern hart. Gibt es dazu keine Alternative?
Wir sind uns der sozialen Verantwortung sehr bewusst, haben in der Krise sogar lange Zeit Sperrungen ausgesetzt. Wir können aber unsere teuer eingekaufte Energie auch nicht verschenken. Deshalb setzen wir auf den Dialog mit den Kunden, erarbeiten mit ihnen individuelle Lösungen mit Ratenplänen. Eine Sperrung ist für uns die allerletzte Option.
Die Bundesregierung dringt auf die Wärmewende, auf klimaneutrales Heizen in den Wohnungen. Was halten Sie von der Idee, den Einbau neuer Gas- und Ölheizungen ab 2024 zu verbieten?
Grundsätzlich ist die Energiewende auf dem richtigen Weg. Doch das ist ein Jahrhundertprojekt. In einem sehr komplexen System müssen viele weitreichende Entscheidungen getroffen werden. Tendenziell halte ich es mit Blick auf die jahrzehntelange Nutzung einer Heizungsanlage für richtig, den Einbau von neuen Öl- und Gasheizungen zu verbieten, denn wir wollen und müssen unseren Planeten schützen. Doch mit der angestrebten Zeitachse überfordern wir die Bürger massiv. Das Gebäudeenergiegesetz kommt mit einer zu geringen Vorlaufzeit. Ich würde mir wünschen, dass der Gesetzgeber hier auf die kommunale Wärmeplanung wartet. Man kann doch beispielsweise nur wissen, ob man in einer Straße die Wahl zwischen Fernwärme oder einer Wärmepumpe hat, wenn die kommunale Wärmeplanung mit dem Ausbau der Fernwärme steht. Wir sollten uns hier mehr Zeit nehmen.
Wenn Eigentümer von Ein- oder Zweifamilienhäusern die Wahl zwischen Wärmepumpe und Fernwärme haben – wozu würden Sie raten?
Ich bin ein Fan der klimafreundlichen Fernwärme, die bei uns unter anderem die Abwärme der Industrie und von Müllverbrennungsanlagen nutzt. Sie ist günstiger als der Einbau einer Wärmepumpe. Wenn ein Haus nicht vernünftig isoliert ist, dann muss man für eine Wärmepumpe zusätzlich dämmen – und da ist man schnell im sechsstelligen Bereich an Renovierungskosten. Dies kann doch kaum jemand stemmen. Wir benötigen deshalb soziale Ausgleichsmechanismen bei größtmöglicher Technologieoffenheit.
Wenn Fernwärme so toll ist und die Stadt bisher keine Wärmenetzplanung hat – hat da Oberhausen und auch die EVO in der Vergangenheit nicht versäumt, die Fernwärme auszubauen?
Ich schaue lieber nach vorne. Wir müssen jetzt erst einmal sehen, woher wir die Wärme beschaffen. Wenn das Wasser für die Fernwärme mit einem Kohlekraftwerk erhitzt wird, dann kommen wir bei der Dekarbonisierung nicht viel weiter. Deshalb muss die Ausbauplanung der Fernwärme Hand in Hand gehen mit der Frage, woher die Wärme kommt. Fernwärme ist jedenfalls eines unserer Kerngeschäfte, die wollen wir als Schlüsselfaktor für die Wärmewende auf jeden Fall ausbauen.
Die Wärmewende kostet zunächst einmal die Hauseigentümer viel Geld. Was bedeutet das für die Mieter?
Ich bin ja nicht Vorstand einer Wohnungsbaugesellschaft, sondern eines Energieversorgers. Aber grundsätzlich würde ich erwarten, dass Vermieter ihre höheren Kosten für Sanierungen und neue Heizungsanlagen auf die Mieter umlegen, weil sie sich nur so refinanzieren. So werden sich die Kaltmieten mit hoher Wahrscheinlichkeit erhöhen. Die Betriebskosten allerdings, also die zweite Miete, würde sich im Gegenzug reduzieren.
Wie erleben Sie Ihre Kunden? Wie reagieren diese auf die drastische Energieverteuerung und die immer strikter werdenden Klimaschutz-Vorschriften?
Sie sind extrem besorgt. Ganz viele Gespräche in unserem Servicecenter drehen sich um die Frage: Wie soll ich meine Rechnungen bezahlen? Das Thema „Armut durch hohe Energiekosten“ spielt eine große Rolle. Unsere Kolleginnen und Kollegen im Servicecenter sind in diesen Krisenzeiten ein Stück weit auch Seelsorger, arbeiten mit viel Hingabe und Herzblut. Sie versuchen, mit Informationen Sorgen abzumildern und praktische Lösungen zu finden.
Sie haben in Ihrem Berufsleben schon viele Erfahrung mit Energienetzen gesammelt. Nun klagt der Wohnungs-Großvermieter Vonovia darüber, dass installierte neue Wärmepumpen nicht betrieben werden können, da das Stromnetz zu schwach ist. Kann das auch in Oberhausen passieren?
Die Stromverteilnetze sind das Rückgrat der Energiewende. Derzeit hat unser EVO-Netz noch Spielraum. Aber in einer Simulation haben wir errechnet, dass sich unser Leistungsbedarf an Strom bis 2045 mehr als verdoppelt, wenn wir alle Pkw elektrifiziert haben und jedes der rund 17.000 Einfamilienhäuser in Oberhausen mit einer Wärmepumpe versehen ist. In den nächsten 20 Jahren stehen wir also vor enormen Investitionen in die Stärkung der Netzsubstanz und die Smartifizierung – hierfür benötigen wir einen Netz-Turbo für die Klimawende. Noch stimmen die Rahmenbedingungen hierfür aber nicht: Wir wünschen uns schnellere Genehmigungsverfahren, verbesserte finanzielle Investitionsanreize und einen Konsens der Gesellschaft, dass wir den Netzausbau als Basis der Klimaneutralität wirklich wollen ….
… denn das bedeutet erhebliche Beeinträchtigungen von Anwohnern, oder?
Zumindest funktioniert das Ganze nicht, ohne dass das jemand mitbekommt: Wir benötigen intelligente Ortsstationen, leistungsstärkere Kupferleitungen in der Erde, Umspannanlagen, Koppelpunkte und Freileitungen. Da müssen nicht nur Straßen und Bürgersteige aufgerissen werden. Damit wir nicht kurz vor Toreschluss alles auf einmal machen müssen und mit einer Vielzahl von Baustellen die komplette Stadt lahmlegen, sollten wir zeitnah damit starten.
Was sehen Sie daneben noch als große Herausforderung für die EVO in den nächsten Jahren?
Wir wollen nicht den Bestand verwalten, sondern mit der Energiewende soll das Unternehmen werthaltig wachsen – mit hohen Investitionen in Netze, Fernwärme, Ladepunkte für E-Autos, in die Energieerzeugung von Geothermie bis hin zu Solaranlagen. Wir wollen den Oberhausenern bei der Wärmewende zur Seite stehen. Immer, wenn der Kunde daran denkt, in sein Gebäude oder seine Mobilität zu investieren, dann sollte er oder sie an die EVO denken. Wir wollen nach dem One-Stop-Prinzip aus einer Hand alles anbieten, natürlich in Kooperation mit örtlichen Handwerksbetrieben: Beratungen, Wärmebilder, Sanierungskonzepte, Heizungserneuerungen. Bisher sind wir ein solcher Lösungsanbieter noch nicht, aber wir arbeiten mit Hochdruck daran.
Benötigt die EVO dann mehr Beschäftigte oder muss das heutige Team so viele Aufgaben bewältigen?
Grundsätzlich gilt: Wo mehr Arbeit ist, da braucht man auch mehr Leute. Natürlich kann die Antwort aber nicht immer mehr Personal sein, denn gerade Standardaufgaben, bei denen das Fachwissen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht in dem Maße benötigt wird, können automatisiert werden. Hierdurch erhalten unsere Kolleginnen und Kollegen mehr Freiräume für höherwertige Tätigkeiten, bei denen ihre Expertise deutlich mehr gefragt ist.
Welche Wünsche haben Sie an den Bund?
Macht weiter mit der Energiewende! Die grundsätzliche Richtung stimmt. Es ist aber wichtig, die Energiewende ganzheitlich und ideologiefrei anzugehen. Wenn wir eine Dunkelflaute haben, also kein Wind weht und die Sonne nicht scheint, dann brauchen wir zwingend noch Kohle- und Gaskraftwerke. Das ist eine bittere Pille, die aber bis auf weiteres notwendig ist, um den Energiebedarf zu decken. Außerdem brauchen wir jetzt den Netz-Turbo, denn die Energiewende findet in den Verteilnetzen statt – hierfür müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Und ein weiterer Wunsch: Lasst uns die kommunale Wärmeplanung und das Gebäudeenergiegesetz gemeinsam denken und nicht übers Knie brechen. Wenn wir diese Punkte beherzigen, haben wir aus meiner Sicht ein gesamtheitliches Paket. Zudem darf die Politik die Menschen nicht vergessen. Hier geht es um soziale Verantwortung. Ich möchte nicht, dass sechzigjährige Hauseigentümer ihr Haus verkaufen müssen, weil sie die Klimaschutz-Anforderungen nicht aus eigener Tasche bezahlen können. Es kommt hier also entscheidend auf das richtige Maß an. Ich glaube, wenn alle wollen und besten Willens sind, dann kriegen wir die Klimawende auch gemeinsam hin.
Vielen Dank für das Gespräch.