Oberhausen. In Oberhausen erinnern 20 weitere Stolpersteine an NS-Opfer. Für eine Aktion waren Gäste aus Argentinien angereist. Warum sie dabei sein wollten.
Um die Erinnerung an die Opfer des NS-Regimes wachzuhalten, hat der Künstler Gunter Demnig in Oberhausen 20 weitere Stolpersteine verlegt. Eine seiner Arbeiten stand unter einem ganz besonderen Vorzeichen. Dazu waren nämlich eigens aus Argentinien dort lebende Nachfahren einer jüdischen Familie angereist.
Nachfahre war bei der Verlegung der Stolpersteine in Oberhausen den Tränen nahe
Mariano Gutman (55) war den Tränen nahe, als er vor dem Haus in der Marktstraße stand, in dem einst seine Großmutter Edith Jacob und seine Urgroßeltern Emil und Emilie Jacob lebten. Tochter und Eltern wohnten nebenaneinander, Letztere betrieben ein Modegeschäft. Als die Nazis die jüdische Bevölkerung immer stärker bedrohten und verfolgten, entschied sich Edith gemeinsam mit ihrem Mann zur Flucht nach Südamerika. Vater und Mutter blieben zunächst zurück.
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Doch dann mussten die Eheleute zunächst auf Druck des Regimes das Geschäft verkaufen, nach der Reichspogromnacht 1938 kam Emil für zwei Wochen in Haft. Da stand auch für die beiden der Entschluss fest, ihre Heimat zu verlassen. Allerdings sollte sich der Zufluchtsort Amsterdam als Trugschluss erweisen. Nachdem deutsche Truppen die Niederlande besetzt hatten, deportierten die NS-Schergen das Paar wie insgesamt rund 100.000 jüdische Mitbürger. Das Ehepaar Jacob kam erst in das Lager Westerbork, von dort ins KZ Theresienstadt. Vermutlich wurden die Eheleute im Oktober 1944 in Auschwitz ermordet.
Schüler knüpften Kontakte zu Angehörigen in Argentinien
Mittlerweile 286 Stolpersteine in Oberhausen
In Oberhausen hat der Künstler Gunter Demnig jetzt insgesamt 286 Stolpersteine verlegt. Auf der Messingoberfläche sind der Name, das Geburtsjahr des Opfers sowie das Schicksal erwähnt.
Mit rund 90.000 Stolpersteinen in 27 Länden gilt die Aktion als das größte dezentrale Mahnmal der Welt.
Seit einiger Zeit erforscht stets ein Geschichtskurs der jeweiligen 12. Klasse des Bertha-von-Suttner-Gymnasiums das Schicksal von NS-Opfern, denen dann ein Stolperstein gewidmet wird.
Als nun Gunter Demnig die drei Stolpersteine für die Familie Jacob verlegte, zeigte sich Mariano Gutman sichtlich bewegt. Gemeinsam mit seiner Frau Julieta (51) sei es ihm ein „großes Anliegen“ diesem Moment beizuwohnen, gab er zu verstehen. Die Strapazen von 20 Flugstunden waren da längst vergessen.
Das Schicksal der engsten Angehörigen sei immer in der Familie präsent, so lange er denken könne, meinte der Argentinier, der in der Hauptstadt Buenos Aires lebt. Allerdings räumte er auch ein, dass seine inzwischen verstorbene Oma kaum über die deutsche Vergangenheit gesprochen habe. Dafür habe er stets Verständnis gezeigt angesichts der leidvollen Erinnerungen.
Den Kontakt zu der Familie Gutman hatten Schülerinnen und Schüler eines Geschichtskurses des Bertha-von-Suttner-Gymnasiums geknüpft. Die Aufgabe der jungen Leute bestand darin, für insgesamt zehn Stolpersteine die Geschichte der Opfer zu ergründen. „Im Fall der Familie Jacob ist es uns dann gelungen, über Facebook mit den argentinischen Verwandten in Verbindung zu treten“, erzählen Joris (17) und Tim (18). Die Angehörigen zeigten sich nach ihren Worten sofort sehr aufgeschlossen, schickten per Mail „ganz viele Unterlagen und Dokumente zu“. Je mehr die Jugendlichen über die Vergangenheit der Familie erfuhren, desto mehr hat sie ihr Schicksal berührt. Ob es sich um diese oder alle anderen Opfer handelt, „es macht uns unheimlich traurig, welches Leid die Nazis über die Menschen gebracht haben“.
Künstler und Jugendliche trotzten dem Dauerregen
Um die Geschichte und das Schicksal der Opfer zu erforschen, haben die Schüler mit der Gedenkhalle in Oberhausen zusammengearbeitet und unter anderem auch monatelang im Duisburger Landesarchiv geforscht. „Es waren zum Teil sehr erschütternde Dokumente, mit den wir zu tun hatten“, sagte einer der Jugendlichen. Als erschreckend haben er und seine Mitschüler es immer wieder empfunden, wie kaltblütig die SS oder auch die Gestapo vorgegangen seien. „Es konnte im Prinzip jeden treffen, der ihnen irgendwie unliebsam war“.
Zu der Familie Jacob haben die Schüler Biographien erstellt, aus denen sie nach der Verlegung der Stolpersteine vorlasen. Der prasselnde Dauerregen konnte sie davon nicht abhalten, wie auch Gunter Demnig den widrigen Wetterverhältnissen trotzte.
Mariano und Julieta Gutman lud das Gymnasium anschließend zu einer Feierstunde in die Aula ein. Das Paar will noch kurz in Oberhausen bleiben, bevor es nach Amsterdam aufbricht. Dort möchte es sich noch das Haus anschauen, in dem die Urgroßeltern bis zu ihrer Deportation wohnten.