Oberhausen/Jerusalem. Trauer um Sally Perel („Hitlerjunge Salomon“), der oft Oberhausen besucht hat und Träger des städtischen Ehrenrings war. Ein Nachruf.

Eine Nachricht aus Israel bewegt viele Menschen in Oberhausen, die die Chance hatten, diesen besonderen Menschen kennenzulernen: Der Holocaust-Überlebende Sally Perel, bekannt als „Hitlerjunge Salomon“, ist im Alter von 97 Jahren in seinem Haus in Israel gestorben. Das hat die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem am Donnerstagabend in Jerusalem mitgeteilt.

„Ich war Hitlerjunge Salomon“ – die Autobiografie von Sally Perel, im Jahr 1925 in Peine (Niedersachsen) geboren, ist weltbekannt. Das Buch war 1990 auch Grundlage für einen mehrfach prämierten Film der Regisseurin Agnieszka Holland. Auf seinen Tod reagierte auch die Oberhausener Volkshochschule: „Wir trauern um Sally Perel, der uns als Zeitzeuge, Freund und Ehrenbürger fehlen wird, Lehit’raot, Sally“, heißt es auf der Facebook-Seite. Tschüss, Sally!

Sally Perel hat Oberhausen oft besucht. Seine Auftritte vor Schülerinnen und Schülern entfalteten dabei stets eine ganz besondere Atmosphäre. Sofort war es in den Schülerreihen mucksmäuschenstill, wenn er sprach. Dem Israeli gelang es, die Schülerinnen und Schüler, etwa am Hans-Sachs-Berufskolleg, in seinen Bann zu ziehen.

Mit dem Ehrenring der Stadt Oberhausen ausgezeichnet

In einer bewegenden Feierstunde im Rathaus wurde Sally Perel im Februar 2016 von Oberbürgermeister Daniel Schranz (li.) mit dem Ehrenring der Stadt Oberhausen ausgezeichnet.
In einer bewegenden Feierstunde im Rathaus wurde Sally Perel im Februar 2016 von Oberbürgermeister Daniel Schranz (li.) mit dem Ehrenring der Stadt Oberhausen ausgezeichnet. © FFS | Oliver Müller

Im Februar 2016 erhielt er den Ehrenring der Stadt Oberhausen. Auch mit über 90 Jahren präsentierte sich Sally Perel mit einer geradezu unglaublichen Frische und rhetorischen Prägnanz. In freier Rede erzählte er spannend aus seinem Leben, das im Jahr 1925 in Peine bei Braunschweig begann. Sally Perel erlebte als Kind die Machtergreifung der Nazis. Seine jüdische Familie zog 1938 nach Lodz in Polen, um der Verfolgung in Deutschland zu entkommen; doch der Überfall der Nazis auf Polen am 1. September 1939 machte diese Pläne zunichte.

Seinen Lebensweg erzählte Sally Perel vielen Schülerinnen und Schülern: Die Familie sollte ins Ghetto von Lodz. Einziger Ausweg: die Flucht der Kinder. Sally Perel floh mit seinem Bruder in den östlichen Teil Polens, der von der Sowjetunion besetzt wurde. All das bedeutete die endgültige Trennung von den Eltern. „Du sollst leben!“, sagte die Mutter zu ihm. Als die Wehrmacht weiter Richtung Osten und Sowjetunion vorstieß, wurde Sally Perel von den Deutschen gefangen genommen. Er verbuddelte seine Ausweise und antwortete auf die über Leben oder Tod entscheidende Frage eines deutschen Soldaten: „Ich bin Volksdeutscher.“ Diese Lüge rettete ihn.

„Ich lebte versteckt unter der Haut des Feindes“

Nach zwei Jahren bei der Wehrmacht an der Front kam Sally Perel, der sich fortan Josef nannte, auf eine Schule der Hitlerjugend in Braunschweig. „Ich lebte versteckt unter der Haut des Feindes“, formulierte der damals 92-Jährige im Jahr 2017 bei einem seiner Auftritte am Hans-Sachs-Berufskolleg.

Aus Salomon Perel wurde der Hitlerjunge Josef: ein jüdischer Hitlerjunge, der auf diese Weise sein Leben rettete. „Man muss aus der Geschichte lernen, um zu wissen, wie man die Gegenwart handhaben soll“, sagte Sally Perel im Jahr 2017 in Oberhausen zu seinem jungen Publikum, das er aufforderte, für Menschenwürde und Demokratie einzutreten. Er sei einer der letzten Zeitzeugen, aus deren Mund die jungen Leute die Wahrheit über Auschwitz und die Menschenverachtung der Nazis hören könnten. Diese Stimme ist nun verstummt.

Oberbürgermeister: „Unermüdlich hat Sally Perel für den Frieden gekämpft“

Oberbürgermeister Daniel Schranz bekundet die Trauer der Stadt Oberhausen um Sally Perel und würdigt den Verstorbenen. „Unermüdlich hat Sally Perel gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus und für den Frieden gekämpft – eben auch mit seinen vielen, zutiefst beeindruckenden Besuchen in unserer Stadt“, erklärt Daniel Schranz.

Durch sein Buch, aber auch durch Lesungen, Vorträge und Diskussionen habe er versucht, uns alle zu Zeitzeugen zu machen und sich damit gegen das Vergessen eingesetzt. OB Schranz unterstreicht: „Sally Perel hat einen herausragenden Beitrag zur Erinnerungskultur und zur historisch-politischen Bildung in Oberhausen geleistet.“ Seit dem Jahr 2000 habe der Israeli mehr als 25.000 Schülerinnen und Schülern von seinem Schicksal erzählt und ihnen so das Grauen der nationalsozialistischen Herrschaft deutlich gemacht.

„Sally-Perel-Festival“ im Jahr 2014 gestartet

Auf seine eigene Initiative hin organisierten Volkshochschule, Gedenkhalle, der Integrationsrat, die Lichtburg und weitere Oberhausener Einrichtungen und Organisationen 2014 das erste „Sally-Perel-Festival“, das sich eine Woche lang mit Perels Leben beschäftigte und bereits mehrfach wiederholt wurde. Zuletzt sei der Shoah-Überlebende im Jahr 2019 zu Besuch in Oberhausen gewesen: Zwischen ihm und der Stadt sei eine besondere persönliche Verbundenheit gewachsen. Viele Bürgerinnen und Bürger seien Sally Perel freundschaftlich verbunden gewesen.

In Oberhausen ist auch das Kinder-Sachbuch „Du sollst leben! Die unglaubliche Geschichte des Hitlerjungen Salomon“ entstanden: Die Grundschulleitungen Sabrina Thomas und Sven Siebenmorgen und die damalige Schulaufsicht Silke vom Bruch haben mit besonderer pädagogischer Aufbereitung Sally Perels Lebensgeschichte so auch für jüngere Kinder zugänglich gemacht.

„Dass wir in Oberhausen eine friedliche Kultur des Zusammenlebens vorfinden, hat eben auch damit zu tun, dass ein Mensch wie Sally Perel uns immer wieder besucht hat, um als ‚Gesandter des Friedens‘ die Erinnerung an Deutschlands dunkelstes Kapitel wach zu halten“, betont Oberbürgermeister Schranz. „Sein oft zitierter Satz ,Ich war Opfer und Täter zugleich‘ beschreibt, was Perel zu einem so außergewöhnlichen Zeitzeugen machte.“

Hans-Sachs-Berufskolleg würdigt den Verstorbenen

Auch die Schulgemeinschaft des Hans-Sachs-Berufskollegs würdigt den Verstorbenen: „Wir alle sind sehr betroffen, aber auch dankbar, ihn und seine Geschichte kennengelernt zu haben.“ Sally Perel sei selbst im hohen Alter noch extra aus Israel nach Oberhausen gereist und habe so einen wichtigen Beitrag zu den jährlichen Aktionstagen für Toleranz und Menschenwürde am Hans-Sachs-Berufskolleg geleistet.