Oberhausen. Auch eine Flüchtlingsklasse des Berufskollegs zählt zu den Paten. Die „Denkmale von unten“ erinnern an jüdische Familien und an den Widerstand.

Seit 2008 organisiert die Gedenkhalle Schloss Oberhausen, unterstützt von der Stadt und zahlreichen Paten, das Verlegen von „Stolpersteinen“ zum Gedenken an Verfolgte der NS-Diktatur. Der Berliner Künstler Gunter Demnig hat mit seiner Initiative ein dezentrales Monument geschaffen, das in mittlerweile über 25 europäischen Ländern und mit mehr als 75.000 Stolpersteinen eindrucksvoll beweisen will, dass kein Name vergessen wird. Den Nationalsozialisten soll es nicht gelingen, die Erinnerung an ihre Opfer auszulöschen.

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Die Stadt Oberhausen verlegt am Freitag, 26. Februar, 18 weitere Stolpersteine. Hinzu kommt der Ersatz für den gestohlenen Stolperstein für Hans Althoff. Unter den Paten ist neben dem Bertha-von-Suttner-Gymnasium zum ersten Mal eine Flüchtlingsklasse des Hans-Böckler-Berufskollegs. Die Schüler haben mit großem Engagement recherchiert und Biographien zusammengestellt. Auch die Gemeinde St. Marien, die GEW und der VVN/BdA-Kreisgruppe sowie Privatpersonen unterstützen die Vorbereitungen der diesjährigen Verlegung, die Corona-bedingt nicht öffentlich stattfinden kann. Auch der 73-jährige Künstler Gunter Demnig musste seine Teilnahme absagen.

Angeregte Gespräche am Rande der Stolperstein-Zeremonie: So war’s noch vor vier Jahren, als Gunter Demnig (re.) sich in Lirich mit John Löwenhardt (li.) aus Haarlem und Menachem Löwenhardt aus Haifa unterhielt.
Angeregte Gespräche am Rande der Stolperstein-Zeremonie: So war’s noch vor vier Jahren, als Gunter Demnig (re.) sich in Lirich mit John Löwenhardt (li.) aus Haarlem und Menachem Löwenhardt aus Haifa unterhielt. © FUNKE Foto Services | Gerd Wallhorn

Jakob Fruchtzweig wurde am 1896 in Sosnowitz, Polen, geboren. Er war Händler für Kurz- und Wollwaren. Sein Geschäft befand sich auf der Rothebuschstraße 38. Er heiratete die 1899 in Osterfeld geborene Franziska Cwiertnia. Deren Familie war gegen die Hochzeit von Franziska mit einem polnischen Juden. Das Paar bekam zwei Kinder: Maria und Benno. Der Boykott jüdischer Geschäfte im April 1933 traf das kleine Geschäft der Familie schwer. Jakob musste sein Gewerbe abmelden. Vermutlich aufgrund von Ausgrenzung und Repressalien, die auch aus der eigenen Familie kamen, zog die Familie Fruchtzweig 1934 nach Bottrop.

Nur die Mutter kehrte aus Polen zurück

Im Rahmen der sogenannten „Polenaktion“ wurde die gesamte Familie im Oktober 1938 nach Bentschen in Polen deportiert. Zunächst zog die Familie in Jakobs Geburtsort. 1943 wurden Jakob und die beiden Kinder in das Lager Klettendorf in Schlesien deportiert. Franziska kehrte im April 1944 nach Oberhausen zurück. Ihre Familie ist nach dem Krieg für tot erklärt worden.

Gustav Fruchtzweig, 1901 geboren, hatte ein Gewerbe als Alt- und Schrotthändler angemeldet. Er wohnte in Osterfeld auf der Rothebuschstraße 38, sein Metalllager befand sich in der Kiekenbergstraße. Mit dem Dreirad holte er Altwaren bei den Osterfeldern ab. Da er auf seinen Fahrten immer wieder von Nazis überfallen wurde, floh er bereits 1933 über die Niederlande und Belgien nach Frankreich. Nach der Besetzung Frankreichs geriet er 1942 in Toulouse in Haft. Aus dem Arbeitslager Lille konnte Gustav Fruchtzweig 1944 fliehen und lebte nach der Landung der Alliierten untergetaucht in Frankreich. Nach dem Krieg zog er nach Paris. Gustav Fruchtzweig starb 1978.

Die jüdische Familie Lion lebte auf der Buschhausener Straße 70. Levi Lion und Martha Kahn hatten vier Kinder: Max, Helene, Erna und Kurt, alle vier geboren in Oberhausen. Mutter Martha musste 1939 das Haus zwangsverkaufen. Ihr Mann war bereits 1920 an den Folgen einer Kriegsverletzung gestorben. Ihre Tochter Helene, 1905 geboren, floh 1934 in die Niederlande und wurde nach deren Besetzung im Lager Westerbork interniert. Über das Ghetto Theresienstadt in Tschechien kam sie am 9. Oktober 1944 ins Vernichtungslager Auschwitz. Hier verliert sich ihre Spur.

Gunter Demnig, der Unermüdliche: Mit „Es war gleich nebenan
Gunter Demnig, der Unermüdliche: Mit „Es war gleich nebenan" widmete die Gedenkhalle 2017 den inzwischen über 200 Stolpersteinen in Oberhausen eine eigene Sonderausstellung. © FUNKE Foto Services | Christoph Wojtyczka

Der jüngere Bruder Kurt Curtis Lion, 1917 geboren, entkam dem NS-Regime als junger Mann nach Prag. Von dort besorgte er sich eine Schiffspassage in die USA. 1936 fuhr er auf der „Washington“ von Le Havre in Frankreich nach New York.

Erich Schleimer, 1887 in Danzig geboren, hatte einen Pferdehandel auf der Schulstraße. 1915 heiratete er die evangelische Berta Nürnberg, geboren 1882 in Alt Grabau in Westpreußen. Die beiden bekamen zwei Töchter: Irmtraud und Ursula. Irmtraud verzog schon früh nach Nordirland.

Die jüdische Gemeinde wiederaufgebaut

Obwohl Erich in einer sogenannten „privilegierten Mischehe“ lebte, wurde er nach der Reichspogromnacht für einige Wochen ins KZ Dachau verschleppt. Nach seiner Freilassung im Dezember 1938 lebte die Familie zunächst weiter in Oberhausen. Erich wurde zur Zwangsarbeit beim Gartenamt eingeteilt. Das Ehepaar wurde gezwungen, von seinem Wohnhaus auf der Düppelstraße 112 in das „Judenhaus“ auf der Wörthstraße 5 zu ziehen. Berta hielt die Demütigungen nicht mehr aus und zog 1944 nach Zingst an die Ostsee. Im selben Jahr wurde ihre Tochter Ursula als „jüdischer Mischling“ ins Arbeitslager Zeitz deportiert. Im Februar 1945 wurde auch Erich von der Gestapo verhaftet und ins Ghetto Theresienstadt verschleppt.

Im Herbst 1945 traf sich die Familie in Oberhausen wieder: Erich, Berta und Ursula zogen zur Gutenbergstraße 13. Erich Schleimer half nun als Vorsitzender der jüdischen Gemeinde bei ihrem Wiederaufbau. Er verstarb am 4. April 1948. Sein Grab befindet sich auf dem Westfriedhof in Lirich.

Der Jüdische Friedhof ist Teil des Westfriedhofs in Lirich: Hier befindet sich seit 1948 auch das Grab von Erich Schleimer.
Der Jüdische Friedhof ist Teil des Westfriedhofs in Lirich: Hier befindet sich seit 1948 auch das Grab von Erich Schleimer. © LVR | Silvia-Margrit Wolf

Josef Weisbort, geboren 1896 in der polnischen Hauptstadt Warschau im damaligen Zarenreich Russland, heiratete 1925 die Mülheimerin Maria Frieda Sommer. Beide zogen nach Oberhausen zur Markstraße 125a. Dort betrieb Josef eine Schneiderei. Seine Frau Frieda übernahm die Buchhaltung. 1930 wurde Sohn Siegbert-Heinz geboren. Als Jude lebte Josef mit seiner Frau in einer sogenannten „privilegierten Mischehe“, sein Sohn Siegbert galt als „Mischling“. Ende 1936 war der Druck für Josef so groß, dass er mit seinem Sohn nach Polen floh.

Ihre Suchanzeigen blieben ohne Antwort

Frieda wollte eigentlich nachkommen. Sie erhielt die letzte Nachricht von ihrer Familie am 20. Juli 1943 aus dem Ghetto in Sosnowitz. Ihre Suchanzeigen aus dem Jahr 1947 blieben ohne Antwort.

Adolf Stern, 1882 in Witten als Sohn des Metzgers Victor Stern geboren, studierte in London Medizin und ließ sich in Oberhausen als praktischer Arzt nieder. Dr. Stern heiratete die zehn Jahre jüngere Agnes Rosenfeld. Die jüdische Familie wohnte auf der Stöckmannstraße 92, die Praxis befand sich vier Häuser weiter. Das Paar bekam zwei Töchter: Maria und Elsbeth Katharina. Die Familie engagierte sich sozial, Agnes war aktiv im Vorsitz des jüdischen Frauenbundes. 1933 musste Dr. Stern seine Praxis schließen, seine Tochter Maria ihr Medizinstudium aufgeben. Die Familie floh 1934 nach Palästina.

Der gebürtige Oberhausener Ernst Kircher ging nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten als 24-Jähriger in den Untergrund: Er gehörte zur Widerstandsgruppe um Hans Müller und Robert Rentmeister, die im Keller des Josefs-Hospitals antifaschistische Flugschriften druckten. 1935 wurde er wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach der Gefängnishaft wurde Ernst Kircher ins Konzentrationslager Buchenwald verschleppt. 1944 wurde er aus dem Konzentrationslager Flossenbürg entlassen. Nach dem Krieg gehörte er als Stadtverordneter der KPD dem ersten Rat in Oberhausen an. Er wirkte mit an der Wiedererrichtung des Denkmals für die Gefallenen der Märzrevolution 1920, das von den Nationalsozialisten 1933 zerstört worden war. Zur feierlichen Übergabe des neuen Denkmals 1946 hielt Ernst Kircher die Festrede.