Oberhausen. 17 neue Stolpersteine erinnern in Oberhausen an die Opfer des Naziterrors. Die Zeremonie fand wegen der Corona-Pandemie in kleinem Kreis statt.
„Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist.“ Das Zitat aus dem Talmud, einem der bedeutendsten Schriftwerke des Judentums, sieht der Kölner Künstler Gunter Demnig seit 1997 als Auftrag an die Opfer des Nationalsozialismus zu erinnern – und hat mit seinen Stolpersteinen dafür ein europaweites Mahnmal geschaffen. In Oberhausen verlegten Clemens Heinrichs und die Gedenkhalle am Donnerstag den 200. Stein – viele weitere folgten und werden folgen.
Juden, Sinti und Roma, Zeugen Jehovas, Homosexuelle, Menschen mit Behinderung, politisch Andersdenkende: Sie alle gehörten zwischen 1933 und 1945 zu den Opfern einer Nazidiktatur, die über das Verfolgen und Töten hinaus versuchte, die Erinnerung an jene Menschen auszulöschen.
Zeitzeugen sterben, Mahnmale sind rar
Das gelang nicht. Doch die Zahl der Zeitzeugen, die den Terror erlebt und überlebt haben, die darüber berichten könnten, nimmt ab. Und Mahnmale sind rar gesät. „Die Stolpersteine sind eine der wichtigen, zentralen Gedenkmöglichkeiten, sie rufen immer wieder zu aktivem Beschäftigen auf“, weiß Clemens Heinrichs als Leiter der Oberhausener Gedenkhalle – und kann bei der Betreuung des Projekts auf breite Unterstützung bauen.
Zu den Unterstützern gehört auch Annette Kremer. Die Lehrerin am Bertha-von-Suttner-Gymnasium betreut jedes Jahr einen Kurs von Jugendlichen, die sich auf Spurensuche in Archive und ins Internet begeben. Die Schülerinnen und Schüler versuchen, die Schicksale der Menschen nachzuzeichnen, die großen Geschichtszusammenhänge mit der verfolgten Familie von nebenan zu verknüpfen. „Es ist lebendig und offen, es nimmt mit. Mir hängt dieses Projekt sehr am Herzen“, sagt Kremer über ihre Motivation, die sich überträgt.
17 Stolpersteine, 17 Geschichten
Und so können die jungen Menschen auch in diesem Jahr 17 Geschichten von 17 Menschen erzählen, deren Gedenksteine am Donnerstag (wegen Corona ein paar Monate später als ursprünglich geplant) fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit ihren neuen Platz in Oberhausens Straßen fanden. Die Gedenkhalle zeichnete dafür die Verlegung auf und stellt sie im Anschluss nach und nach bei Facebook und Instagram ein. Das soll sich, wenn die Corona-Pandemie es zulässt, 2021 wieder ändern, ins Auge fasst die Gedenkhalle die nächste Verlegung Ende Januar – dann auch mit Gunter Demnig.
Um diese Menschen geht es 2020:
Elisabeth, Bernhard und Meta Rosenbaum (Roggenstraße 2, Holten): Die Geschichte des Ehepaars Elisabeth und Bernhard sowie ihrer Tochter Meta ist eine tragische, denn die Familie entkam den Nationalsozialisten vermeintlich. Meta fand nach der Reichspogromnacht 1938 Unterschlupf bei Verwandten in Amsterdam, der kurzzeitig in Dachau inhaftierte Bernhard emigrierte mit seiner Frau Elisabeth Ende 1938 ins niederländische Deventer. In Holland verhaftete das Regime die Familie 1942. Meta starb am 30. September 1942 in Auschwitz – so wie ihre Eltern knapp zwei Jahre später am 8. Oktober 1944.
Franziska, Joseph, Margot und Helga Mokry (Lanterstraße 22, Buschhausen): Franziska Mokry (Jhg. 1903) arbeitete als Verkäuferin in einem Kolonialwarengeschäft und stieg 1931 zur Filialleiterin bei Schmitt in Osterfeld auf. Drei Jahre zuvor hatte sie ihren Mann Joseph (Jhg. 1905) geheiratet, beide gehörten den Zeugen Jehovas an. Sie verboten ihren Töchtern Margot und Helga, an NS-Veranstaltungen teil zu nehmen, weshalb die Kinder 1942 in Erziehungsheime kamen und die Eltern 1944 in Haft. Alle vier überlebten die Schikanen und den Krieg.
Ida und Josef Benger (Postweg 24, Sterkrade): Von Ida und Josef Benger sind kaum Spuren erhalten. Beide waren jüdischen Glaubens, er arbeitete als Verkäufer in Sterkrade. Die Nationalsozialisten deportierten sie im April 1942 ins NS-Ghetto Izbica im durch Deutschland besetzten Polen. Beide starben noch im selben Jahr in den Vernichtungslagern Belzec oder Sobibor.
Hubert Böhmer (Goethestraße 28, Alt-Oberhausen): Hubert Böhmer war Stadtverordneter der KPD in Oberhausen. Nach 1933 saß er in Haft, über Oberhausen, Mülheim, Anrath und das Konzentrationslager Börgermoor kam er ins KZ Sachsenhausen. Dort teilten die Nationalsozialisten ihn der Operation Todt zu, die aus Kriegsgefangenen und KZ-Häftlingen bestand und in den von Nazi-Deutschland besetzten Gebieten Militäreinrichtungen baute. Er wurde verschollen gemeldet und vom Amtsgericht Oberhausen am 16. Juli 1958 für tot erklärt.
Regina Steinweg (Straßburger Str. 164, Alt-Oberhausen): Regina Steinweg, geboren 1863 in Anhausen, verlor ihren Mann Carl 1914 – er verschwand spurlos. Der letzte Wohnort der Mutter von sechs Kindern, drei starben frühzeitig, in Oberhausen ist die Straßburger Straße, wo sie ab 1938 lebte. Die Nazis verschleppten sie im Juli 1942 nach Theresienstadt, wo sie am Heiligabend des gleichen Jahres ermordet wurde.
Rosa „Rifka“ und Jakob Hillmann (Hermann-Albertz-Straße 125, Alt-Oberhausen): Rosa und Jakob Hillmann, kurz vor der Jahrhundertwende in Polen geboren, lebten seit 1920 in Oberhausen. Jakob war Kaufmann und Mitarbeiter der Firma Artmann & Co., die auf der Markstraße Herrenkonfektionen und Manufakturwaren anbot. Das Geschäft schloss 1935 unter Zwang, das jüdische Ehepaar deportierten die Nationalsozialisten 1942 ins Ghetto Litzmannstadt. Sie starb dort am 17. Juli 1942, er am 9. Juli 1944.
Hedwig und Leopold Stern (Friedenstraße 47, Alt-Oberhausen): Die Sterns waren seit 1919 Inhaber der Firmenkette „Gustav Carsch & Co“ für Männer- und Jungenbekleidung auf der Marktstraße. Leopold saß zudem ab 1925 als Stellvertreter der Vereinigten Oberhausener Kaufmannschaft vor. 1936 „arisierten“ die Nationalsozialisten ihr Geschäft, im August 1939 floh das jüdische Ehepaar nach New York und überlebte den Krieg.
Eva und Gerson Handgriff (Friedenstraße 9, Alt-Oberhausen): Das jüdische Ehepaar Handgriff aus Tarnow im heutigen Polen zog 1900 nach Oberhausen, hatte sechs Kinder und arbeitete als Alt- und Kurzwarenhändler. 1933 verloren sie ihr Geschäft, mussten 1939 ins „Judenhaus“ an der Ellenbogenstraße 10 umziehen – bevor die Nationalsozialisten sie im Juli 1942 nach Theresienstadt deportierten. Vor dort ging es im September ins Vernichtungslager Treblinka, wo die Nazis sie ermordeten.