Oberhausen. Joana Tischkaus Playback-Musical besticht mit prächtiger Ausstattung und genialer Klang-Collage. Für die Didaktik sorgt Disneys „König der Löwen“

Ja doch, die Lektion mit dem gut gepolsterten Vorschlaghammer war nicht zu überhören: Karneval ist nicht nur bisweilen plump und reaktionär, sondern beleidigend und rassistisch. So trommelt es Joana Tischkaus „Karneval“, untertitelt als „ein Playback-Musical“, in die Gehörgänge des Oberhausener Theaterpublikums. Doch, welch Wunder: Die erste Inszenierung der vor Spielzeitbeginn angekündigten „Saison der Uraufführungen“ ist keineswegs so platt wie die unerbittliche Botschaft befürchten ließe.

Zum Karneval gehören doch auch – und nicht erst seit kurzem – die satirisch-bissigen 3-D-Karikaturen eines Jacques Tilly auf den Düsseldorfer Mottowagen. Dazu gehören im Revier die kaum weniger giftigen „Stunksitzungen“ mit dem gewichtigsten Spott-Orden aller Guinnessbücher. Solche Feinheiten lässt eine „Abschaffen“-Argumentation im Sinne der „Cancel Culture“ allerdings nicht gelten. Und doch zeigt sich der Anti-„Karneval“ auf der Bühne geradezu verführerisch karnevalesk. Theater – und sei es noch so dogmatisiert – kann und will eben die Verwandtschaft zum Mummenschanz nicht leugnen.

Timon und Pumba verblassen trotz ihrer todschicken Gewänder  vor dem goldglitzernden „Bling Bling“-Outfit von Moses Leo.
Timon und Pumba verblassen trotz ihrer todschicken Gewänder vor dem goldglitzernden „Bling Bling“-Outfit von Moses Leo. © Theater Oberhausen | Katrin Ribbe

Und so ist der inszenatorische Aufwand für einen Kübel Hohn gegen die „weiß-deutsche Karnevalskultur“ nach dem schunkeligen Auftakt („Met ner Pappnas jeboore“) erstaunlich feingliedrig – und bisweilen geradezu bezaubernd anzusehen. Allein was die Kostüme betrifft, dürfte sich Mascha Mihoa Bischoff eigentlich kaum noch vor Anfragen organisierter Narren retten können: Wo gibt’s diese Stoffe? Lässt sich das nachschneidern?

Crossover aus Harlekin und „Blaxploitation“-Chic

Der Clou etlicher Gewänder besteht im Crossover: So zeigen die Harlekin-Overalls der ersten Szenen eben nicht nur das altüberlieferte Rautenmuster – sondern auf glänzendem Stoff auch den Schlaghosen-Schnitt, wie ihn am glamourösesten die Helden alter „Blaxploitation“-Filme über die Straßen von Harlem und Downtown LA paradierten.

Auch die wandelbare Bühne von Carlo Siegfried ist eine vielfältig nutzbare Wucht: Die auf Fotos wie Christos und Jeanne Claudes Installation „The Wall“ wirkende Wand besteht aus Bierfässern – eine Steilvorlage für trunkene Pantomime. Bessere Choreographien präsentiert dann die hohe Showtreppe (deren Rückseite als bizarr verzogene Mehrzweckhalle doubelt).

Bessere Beats als „Gummistiefel-Techno“

Doch der Fürst des kulturellen „Mashup“ dieses (na, ja) Musicals sitzt am Mischpult: Der DJ und Sounddesigner Frieder Blume liefert verwegene Kreationen zu den Texten alter und jüngerer Karnevalsschlager. Das gerät bisweilen zum Autotune-Exzess, wenn etwa von Wencke Myhre nur „Er hat ein knall-“ und erst Minuten später „-rotes Gummiboot“ zu hören ist. Doch ganz überwiegend hantiert Blume mit weit besseren Beats als das Gros der „Hyper“-Ventilierenden. Klanglich brandet dieser Playback-Spaß nur selten an die Untiefen des „Gummistiefel-Techno“ (vielen Dank, Sven Regener). Blume lässt sogar Luft für gelegentliche sphärisch-chillige Momente.

Was gibt der Stammtisch von sich? Natürlich Stammtisch-Parolen – unter anderem aus original Büttenreden Annegret Kamp Karrenbauers.
Was gibt der Stammtisch von sich? Natürlich Stammtisch-Parolen – unter anderem aus original Büttenreden Annegret Kamp Karrenbauers. © Theater Oberhausen | Katrin Ribbe

Zu dieser Klangcollage beweist sich die Autorin Joana Tischkau als beachtliche Choreographin – und obendrein Performerin, denn sie übernahm für die Premiere den Part des erkrankten Henry Morales: Die Posen stimmen, das Ensemble zeigt ansprechendes Bewegungstheater. Und Nina Karimy erntet für ein hingebungsvolles Solo auf der Showtreppe sogar Szenenapplaus von einem Publikum, das der Verführung zum Mitklatschen sonst wacker widersteht.

Elferrat als zombiehafte Spießer

Das Boshafteste an „Karneval“ bleiben so die perfide in den schwungvollen Soundtrack eingestreuten Zitate von Original-Karnevalisten wie der vormaligen Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer: Für die Stammtisch-Szene mit den platten Sprüchen gegen „Political Correctness“ trägt das Ensemble ausgesucht fiese Glatzen-Masken, die diesen unvollständigen Elferrat als zombiehafte Spießer ausstellen.

Theater hält FFP2-Masken für Besucher bereit

Das Theater Oberhausen vergibt fürs Große Haus nur knapp die Hälfte der Plätze, verkauft also 200 Karten pro Vorstellung. Weitere Termine im Februar folgen an den Samstagen 19. und 26. Februar, jeweils um 19.30 Uhr, sowie am Sonntag, 27. Februar, um 18 Uhr.

Karten kosten 11 bis 23 Euro, ermäßigt 5 Euro, erhältlich unter 0208 8578 184 oder per Mail an besucherbuero@theater-oberhausen.de

Im Großen Haus gilt – medizinische, nicht närrische – Maskenpflicht, auch während der Aufführung auf den Zuschauerplätzen. Das Theater hält für vergessliche Gäste FFP2-Masken bereit. Zudem erhöht die während der umfassenden Technik-Umbauten erneuerte Frischluftanlage die Sicherheit vor Infektionen.

Da sind wir wieder auf dem Niveau der verzweifelt tumultuösen „Schimmelmanns“ am Anfang von Florian Fiedlers Intendanz, und ein Kreis schließt sich. Doch nebenbei erzählt „Karneval“ ja auch noch die versöhnlichere Geschichte von Simba (Julius Janosch Schulte), bekannt aus „König der Löwen“: Er klaut eine der superschrillen Afro-Perücken – und kann doch nicht dazugehören. Bis die coolen Timon und Pumba (Joana Tischkau und Dorie Antrie) und schließlich der sagenhaft elegante Rafiki (Moses Leo) ihm mit Disneys Trickfilm-Weisheiten durchs Leben helfen. Ist das die politisch korrekte Lösung: Nur noch Kinder-„Karneval“?