OBERHAUSEN. . Die erste Aufführung der Spielzeit ist pseudo-politisches Theater, das nichts zu sagen hat. Die Nazi-Familie wirft mit billigsten Gags um sich.
- Die erste Regiearbeit des neuen Intendanten Florian Fiedler in Oberhausen enttäuscht massiv
- Statt politischen Theaters boten „Die Schimmelmanns“ ein Bombardement an Zoten und platten Gags
- Man sieht das Können der Schauspieler und des Regisseurs und fragt sich: Warum so ein Machwerk?
Ein ausverkauftes Großes Haus zur Premiere ist das eine – und angesichts der gespannten Neugier auf eine neue Ära im Theater Oberhausen sicher zu erwarten. Ein Ausverkauf an billigsten Pointen das andere. „Die Schimmelmanns“ haben kaum Fahrt aufgenommen, als der Gedanke aufblitzt: Ist Mario Salazar womöglich ein Pseudonym von Mario Barth?
Beide sind Berliner; der Autor der „Schimmelmanns“-Uraufführung ist laut Programmheft allerdings acht Jahre jünger als der Brachial-Comedian. Aber beide produzieren auf einem Niveau, das man unter der Teppichkante suchen muss. Der Untertitel zu diesen schaurigen 105 Minuten lautet „Verfall einer Gesellschaft“. Das kann man gründlich missverstehen.
Elende Holocaust-Kalauer
Man könnte ja eine gesellschaftliche Analyse erwarten – am Beispiel dieser dysfunktionalen Nazi-Familie im großbürgerlichen Ambiente. Aber eher meint „Verfall“ hier wohl ein ungezieltes Um-sich-Schlagen mit klobigsten Holzhämmern. Reizworte aus der Sex-Schublade (vom F-Wort bis zur „sozialdemokratischen Hure“) prasseln ebenso undosiert wie elende Auschwitz- und Holocaust-Kalauer.
Ist das mutig? Etwa im gern beanspruchten Sinne eines „mutigen Tabubruchs“? Nein, es ist eher feige. Man behauptet, politisches Theater zu machen und hat überhaupt nichts zu sagen. Jedenfalls nichts von Substanz. Die Häme kübelt auf Alt- und Jungnazis – und auf alle anderen.
Auch den Renegaten in dieser braunen Grusel-Sippe legt Mario Salazar nur Unflat in den Mund. Toni Schimmelmann (Daniel Rothaug), der Zirkusclown, geifert haltlos gegen seine NS-Sippe und seinen ebenso braunen Zirkusdirektor. Gerlinde S. lässt sich von ihrer Schwiegermutter „Hure“ nennen und pflegt ansonsten ihren Putzfimmel. Lise Wolle gibt dieser höheren Tochter ein bissschen von der manischen Verzweiflung einer „Katze auf dem heißen Blechdach“. Denn ihr natürlich untreuer Ehemann Siegfried S. (Jürgen Sarkiss) spuckt Zynismen im Stakkato.
Patriarchin Rosi S. (Ingrid Sanne) platziert ihre Gemeinheiten dosierter. Es ermüdet, die weiteren Spuk-Gestalten dieser übergroßen Sippe aufzuzählen. In der Summe gilt: Exzellente Schauspieler verheizen sich als Knallchargen.
Dazu zeigt Regisseur Florian Fiedler in kurzen Intermezzi historische Filmbilder vom Nürnberger Kriegsverbrecherprozess: Göring betont gelangweilt hinter einer Sonnenbrille sowie die anderen Massenmörder. Okay, auch andere haben sich des bleischweren NS-Themas in Gestalt einer grellen Revue angenommen. Aber schon Luchino Viscontis „Fall der Götter“ über die Krupp’schen Verstrickungen war als Panoptikum der Perversionen höchst angreifbar.
Nach dem schaurigen Wiedergänger-Auftritt des greisen SS-Sturmbannführers Arius (!) S. (Klaus Zwick) hilft’s auch nicht, dass quasi in der Schlussminute dieser sogenannten „Dramödie“ Leni Schimmelmann (Ronja Oppelt) eine große moralische Rede hält – um dann ins Wasser zu gehen. Die Büste ihres widerlichen Ahnen hängt ihr am Hals. Das ist mal ein gewichtiges Symbol.
Für eine Szene zynischer Hipster
Was bleibt? Man sieht, dass Fiedler sein Regie-Handwerk souverän beherrscht: Vom Recycling jenes exakt choreographierten Slapstick-Türengepolters aus „Der nackte Wahnsinn“ bis zum Einsatz von Filmbildern, Licht und Live-Musik. Aber man fragt sich: Wen will er erreichen? Ist hier die Szene zynischer Hipster, die über den miesesten Gag lachen, groß genug für ein Stadttheater? Oder lachen die nicht eher mit Mario Barth?