Oberhausen. In „Kleiner Mann – was nun?“ in Oberhausen spielen Julius Janosch Schulte und Shari Asha Crosson mit dem Abstandsgebot und absurden Requisiten.
Die Kunst der äußersten Verknappung wird zu einer notwendigen Regie-Tugend. Gerade in einer Zeit, in der die darstellende Kunst so knapp gehalten wurde. Florian Fiedler hatte genau nachgezählt: „Nach genau sechs Monaten und 15 Tagen spielen wir endlich wieder“, sagte der Intendant vor den 19 weiteren Zuschauern der ausverkauften Premiere von „Kleiner Mann – was nun?“.
Knappe eineinviertel Stunden währte im Saal 2 diese erste Aufführung der neuen Spielzeit. Doch Hausregisseurin Babett Grube gelangte mit dieser Verdichtung des 400-Seiten-Romans tatsächlich zu einer Essenz von Hans Falladas großer Erzählung aus der Weltwirtschaftskrise. „Best Day ever“ prangt knallbunt auf dem T-Shirt von Johannes Pinneberg, der nervös auf seinem Plastiksessel in einem trashigen Idyll mit viel Tannengrün herum ruckelt. Denn schräg vor ihm auf dem Boden sitzt die hier nur „Lämmchen“ genannte Emma und versucht das Kunststück, nach hinten zu schauen, ohne sich umzuwenden.
Wie verdruckst-komödiantisch Shari Asha Crosson und Julius Janosch Schulte dieses erste Kennenlernen spielen, zitiert auch den augenrollenden Stummfilm-Charme der 1920er und kommt mit wenigen, zunächst noch gestammelten Worten aus. Das Publikum, das sich auf einem Sammelsurium von Stühlen, Polstersesseln und ein paar Zweiersofas verteilt, als säße es im Wohnzimmer der Pinnebergs, hat dieses Paar mit seiner nuancierten Spielfreude sofort für sich eingenommen.
Die dreist berlinernde Halbweltdame
Pantomimisch gewitzt spielen sie mit dem Abstandsgebot (das ja auch fürs Ensemble gilt): Er wirft ihr den Hochzeitsring an den Finger, sie pustet den Reif zu ihm hinüber. Klaus Zwick poltert in diese innige Zweisamkeit als Inkarnation der bösen Welt: Er gibt die mal aasigen, mal verlogen-jovialen Vorgesetzten, gegen die sich der „Kleine Mann“ Johannes Pinneberg kaum zu behaupten weiß. Und er spielt, dreist berlinernd, die Mutter Pinneberg als Halbweltdame im Satin-Morgenmantel: „Kiek nich’ so moralinsauer!“
Aus diesem „fürstlichen Etablissemeng“ flüchten die Jungverheirateten und wagen sich auf den Berliner Wohnungsmarkt: Von dessen Demütigungen berichtet Lämmchen mit einem vor den Bauch gebundenen Spülbecken. Und die Wohnungsbesichtigung zeigt das Paar seinem Publikum, indem es einen aufgeklappten leeren Kühlschrank ausleuchtet. Die Ausstattung von Debo Kötting betont die Absurdität der Not ebenso wie manche grotesken Gesten.
So wird ein roter Baumarkteimer zum Neugeborenen – und der Streit, wie man den kleinen „Murkel“ richtig wickelt, zu einem absurden Schleier- und Folientanz. Während dieser ineinander gleitenden Szenen zeigt sich Johannes Pinneberg immer verzagter, seinem Lämmchen aber wächst aus der Empörung auch Stärke zu: Ihre Wutrede übertönt das beflissene Bewerbungsgespräch – oder hört Johannes die Verzweiflung seiner Frau in der Mietskaserne am anderen Ende von Berlin?
Die Erniedrigung merkt er allzu gut
In seinem Traumberuf als Herrenmodenverkäufer hat der „Kleine Mann“ ohnehin keine Chance. Der Chef will die Angestellten nach den von ihnen erzielten Umsätzen bezahlen. „Niemand sei niemandes Diener“, tönt der schnöselige Kunde (natürlich wieder Klaus Zwick), der sich alles zeigen lässt, aber nichts kaufen will. Den auf die Knie rutschenden Verkäufer herrscht er an: „Merken Sie nicht, wie erniedrigend das ist?“
„Einer von sechs Millionen, ein Garnichts“
Hans Fallada selbst hatte seinem Verleger Harry Rowohlt – große Kunst der Verknappung – eine Inhaltsangabe seines Romans geschrieben: „Ehe und Wehe von Johannes Pinneberg, Angestellter, verliert seine Stellung, bekommt eine Stellung, wird endgültig arbeitslos. Einer von sechs Millionen, ein Garnichts, und was der Garnichts fühlt, denkt und erlebt.“
Zwei weitere Aufführungen von „Kleiner Mann – was nun?“ sind bereits ausverkauft. Karten gibt’s im Oktober noch für die Termine 1., 7., 17., 18., 28. und 29., jeweils um 19.30 Uhr und für 14 Euro, Besucherbüro 0208 - 8578 184 (online theater-oberhausen.de).
Doch, er merkt es allzu gut. Im Schlussbild ist Johannes zusammengesunken. Um ihn herum ackert Lämmchen, nennt ihren Mann zärtlich-fordernd „Junge!“ und räumt das groteske Grünzeug aus dem Bühnenbild. Schließlich erzählt er, wie er in einem Kaufhaus-Schaufenster über eine abgerissene Gestalt erschrak und sie als sein Spiegelbild erkannte. Der Gedemütigte kann sich nicht mehr ansehen. „Aber mich“, sagt Lämmchen, „kannst Du doch anschauen, immer und immer“.
Das Premierenpublikum gab sich große Mühe, den Applaus nach einem tatsächlich vollen Haus klingen zu lassen. Und das Ensemble hielt selbst bei den Sprints nach vorne auf den perfekt eingeübten Abstand.