Oberhausen. . Mit Wonne und Wortwitz verdreht der Geburtstags-Gast des Literaturhauses die Nibelungensage: Siegfried lernt das Schwert-Schmieden an der Ruhr.

Eine Untugend wie Altersmilde lässt sich Jürgen Lodemann auch wenige Tage vor seinem 82. Geburtstag nicht nachsagen. Dem bedächtig formulierenden „Maitre de plaisir des Literaturhauses“, wie der Romancier seinen Gesprächspartner Rainer Piecha nannte, fiel er ungeduldig ins Wort. Und mit dem wieder reüssierenden „Heimat“-Begriff wollte er schon gar nichts zu tun haben. „Der Planet ist unsere Heimat“, rief Lodemann zum Applaus im gut gefüllten Literatur-Domizil Marktstraße 146.

Nur weil einer die Lehrjahre des jungen Recken Siegfried ins Ruhrtal verlegt – und dort auch den erschlagenen Drachen (als wär’s ein Vorgriff auf den Talsperrenbau anderthalb Jahrtausende später) den Fluss mit seinem gewaltigen Kadaver aufstauen lässt zu einem frühen Baldeneysee – nur deshalb ist Jürgen Lodemann noch kein Heimattümler. Vielmehr „internationalisiert“ er schon das Ur-Revier anno 400 und lässt Jung-Siegfried bei Werden auf einen irischen Abt Patrick treffen, der ihn mit jenen „Brennsteinen“ bekannt macht, die eigentlich erst ein anderer irischer Entrepreneur namens William Thomas Mulvany als Pionier des Schachtbergbaus 1400 Jahre später aus den Tiefen holte.

Patrick und der „Brennstein“

Aus den um 1200 in Passau von Mönchen (oder sogar von Walther von der Vogelweide) zu Pergament gebrachten 2300 Strophen des Nibelungenliedes erschuf Jürgen Lodemann eben mit „Siegfried und Krimhild“ ein ganz eigenes Epos – und musste sich auf 888 Buchseiten auch nicht eben kurz fassen. Seine anheimelnde Ausgangsfrage: „Wenn einer von Xanten aus loszieht, um das Schmiedehandwerk zu lernen“ – na, wohin wohl? In die spätere Heimat von „Brennstein“ und Stahl.

Der Irland-vernarrte Romancier fabulierte diesen „Bildungsroman“-Part seines Epos mit einer philologischen Lust am Kalauer, die – wie bei James Joyce – große Belesenheit in teils grotesken Wortwitz hüllte. „Gesellen verprügelte er wie Meister“, las Lodemann und reichte dazu deftige Kostproben germanisch-keltischer Schimpfkanonaden. Die breit ausgepinselten Klangmalereien gipfelten im Drachenkampf des Recken gegen „die Raffkraft auf dem Rheinfelsen“. Aus den rollenden Rrs des Wortverliebten – „die Ruhr rührte sich um“ – wurden unversehens „Roaring Twenties“: Als Kalauer-Etymologe sucht der Essener seinesgleichen. „Ich muss mich bremsen, sonst sitzen wir hier bis morgen.“

Im Grunde war der ganze heldische Heidenspaß eine opulent ausfabulierte Ehrenrettung für den oder die unbekannten Dichter des Nibelungenliedes vor 800 Jahren. Dazu setzte es ein paar klatschende Hiebe gegen Richard Wagner, dessen Libretto Lodemann als „infantiles Geschwätz“ hinrichtete: „Eine ganz üble Glorifizierung von Kraft und Stärke.“ Auf diesem Schlachtfeld sollte sich mal die Germanistik tummeln.

Viele Vergangenheiten sind präsent

Eisenheims Professor Roland Günther war als Zuhörer entzückt: Jürgen Lodemann leiste fürs Revier, was Dante für die Toskana geleistet habe. „Die Ebene des Mythos würde dem Ruhrgebiet sehr gut tun.“

Das blieb zwar nicht unwidersprochen vom Publikum im Literaturhaus. Doch soviel hatte Lodemanns Lesung mit ihrer Lust an der Abschweifung deutlich gemacht: So wie sich die Flöze mal schräg, mal gerade in die Tiefe gesenkt haben – so sind ganz unterschiedliche Vergangenheiten im Ruhrgebiet präsent, das der Gast am Literaturhaus-Jahrestag treffend „Durchgangsland“ und „Umbruchsland“ nannte.

>>>Info: „Geschichtsklitterung“ contra „Lesevergnügen“

Als „kleinen Feiertag“ hatte Rainer Piecha vom Literaturhaus den Termin mit Jürgen Lodemann angekündigt. Denn am 23. März 2017 begann im Ladenlokal neben „Le Baron“ in der Marktstraße 146 der Literatur-Betrieb: Damals las Gisbert Haefs aus seinen Dylan-Übersetzungen.

„Siegfried und Krimhild“, erschienen bei Klett-Cotta, fand in der Literaturkritik höchst unterschiedliche Bewertungen: Der Rezensent der Süddeutschen schäumte über eine „ans Monströse grenzende Geschichtsklitterung“. Die Kritikerin der Neuen Zürcher erkannte dagegen die Gelehrsamkeit des Romanciers hinter Kalauern und der „Neo-Mythe“ vom Linksdemokraten Siegfried. Sie empfahl die 888 Seiten als „großformatiges Lesevergnügen“.