Oberhausen. In 100 Theaterjahren erlebte Oberhausen zuletzt 1992 Opern-Stimmen und Orchester-Opulenz. Neben Operetten-Evergreens gab’s echte Entdeckungen.
In der Rückschau auf 100 Jahre des Theaters Oberhausen war dies vielleicht der größte Fauxpas: Ein junger Salzburger hatte sich als Dirigent für das Orchester in der halbwegs theatral umgebauten Gaststätte „Wilhelmshöhe“ beworben – doch Oberhausen lehnte die spätere Weltberühmtheit ab. Stattdessen avancierte Herbert von Karajan 1935, mit 27 Jahren, am Stadttheater Aachen zum jüngsten Generalmusikdirektor Deutschlands.
Immerhin durfte rund 20 Jahre später ein junger Cellist vom Oberhausener Theaterorchester beim Maestro vorspielen – und so begann Rudolf Weinsheimers Karriere als Berliner Philharmoniker. Possierliches und Hochdramatisches begegnen sich fast zwangsläufig, blickt man auf die mit dem vielstimmig beklagten Ratsbeschluss vom März 1991 beendeten Jahrzehnte des Musiktheaters an jenem Will-Quadflieg-Platz, der vielleicht unter anderen Konstellationen heute Karajan-Platz heißen würde.
Keine „Top Ten“ ohne Johann Strauß (Sohn)
Den Wertkonservatismus des Opern- und zumal des Operetten-Publikums brachte Oberhausens Theaterchronist Gerd Lepges sehr schön auf den Punkt, als er für die Jahrzehnte von 1949 bis 1992 eine „Top Ten“ der meistgespielten Singspiele auflistete, die es auf bis zu sieben Inszenierungen brachten: Unter den vordersten Vier drehte sich walzerselig gleich dreifach Johann Strauß (Sohn), angeführt von der unausweichlichen „Fledermaus“. Und die Plätze 7 bis 9 gehörten allesamt Franz Lehár, dessen „Graf von Luxemburg“ sogar „Die lustige Witwe“ distanzierte.
Künstlerische Vielfalt? Ambitionierte Spielpläne? Nicht lästern, denn die gab es tatsächlich immer wieder im Oberhausener Musikbetrieb – und zwar nicht nur während der kurzen Pionierzeit des Balletts von Vera Skoronel in den „Goldenen Zwanzigern“. Obwohl weder Bühnenmaße noch Orchestergröße den wuchtigen Vorgaben jenes grünen Hügels in Bayreuth genügen konnten, brachte man auch mutig immer wieder Richard Wagner zur Aufführung. „Tannhäuser“, die noch romantisch geprägte Oper vom Sängerkrieg auf der Wartburg, spielte das Ensemble 1953/54 gleich 40 mal.
Oberhausen glänzte sogar mit westdeutschen Erstaufführungen einiger ganz großer Namen: Das galt 1951 für Richard Strauss’ Spätwerk „Capriccio“ ebenso wie für Sergei Prokofjews Ballett „Cinderella“. Selbst Fritzdieter Gerhards (1935 bis 2011) als letztem Intendanten der Musiktheater-Ära gelang noch 1986 ein ganz besonderer Coup mit „König für einen Tag“: 146 Jahre zuvor geriet die Mailänder Premiere von „Un giorno di regno“ zum Fiasco für Guiseppe Verdi – doch in Oberhausen punktete dieses „heitere Melodram“ als letzte deutsche Erstaufführung einer Verdi-Oper.
Vom „Rumpfbetrieb“ zum RWO-Musical
Überhaupt war die Intendanz Fritzdieter Gerhards von 1978 bis 1990 ein letztes Auftrumpfen der schönen Stimmen – und zwar nicht nur mit immergrünen Operetten-Hits. War das Repertoire während der 1970er kläglich ausgedünnt bis zum „Rumpfbetrieb“ (wie der sonst so wohlmeinende Gerd Lepges schrieb), so setzte Gerhards, der Wuppertaler und promovierte Psychologe, auf einen vorzeigbaren Spielplan aus jeweils drei Opern, drei Operetten, zwei Musicals und einem Ballettabend pro Saison. Der Mittvierziger suchte und fand Unbekanntes im Repertoire in Gestalt einaktiger Opern und etablierte auf dem Ebertplatz „Mozarts Zelttheater“.
Zu den Musical-Hits zählten Richard O’Briens „Rocky Horror Show“ als Dauerbrenner – und ein Singspiel mit dem traumhaften Titel vom „Jahr, in dem Rot-Weiß Oberhausen deutscher Meister wird“. Das New Yorker Original von 1955 hieß „Damn’ Yankees“ und brachte es am Broadway auf über tausend Aufführungen.
Während der 1980er also, noch bevor sich in Deutschland die heutigen Entertainment-Konzerne formiert hatten, bewies sich Oberhausen als Talentschmiede und Sprungbrett für Musical-Karrieren auf und hinter der Bühne: von Klaus Wilhelm, der nach seinem Start als Repetitor zum Oberspielleiter in Stuttgart avancierte, bis zum Tenor Jerzy Jeszke, der aus den Reihen des Chors hervortrat und als Musical-Solist mit dem „Tanz der Vampire“ 2009 nach Oberhausen zurückkehrte – ins heute so schnöde verlassene Metronom-Theater.
Am 29. Februar 1992 verzischte das „Feuerwerk“
Nur bei der Kommunalpolitik drangen die künstlerischen Erfolge der Ära Gerhards nicht durch: Man wollte zurück zum weniger personalintensiven und damit deutlich kostengünstigeren Schauspielbetrieb – und zwar nicht mehr als Teil eines Dreispartenhauses.
Theater-Chronik: Die frühen Jahre des Musiktheaters
1930: Inmitten der Weltwirtschaftskrise baut Oberhausen ein Ensemble für Operette und Oper auf. Die Spielzeit umfasst sieben Monate im Jahr.
1939: Das bisher von der Bürgergesellschaft gemietete Theater wird von der Stadt gekauft und umfassend umgebaut – inklusive Drehbühne. Zur Wiedereröffnung am 26. Dezember gibt man Carl Maria von Webers romantische Oper „Der Freischütz“.
1945: Nur sieben Monate nach Kriegsende eröffnet das Musiktheater den Spielbetrieb am 15. Dezember im Sterkrader „Kaiserhof“.
1950: Das Theater, zurückgekehrt ins wieder aufgebaute Stammhaus, firmiert jetzt unter dem Namen „Städtische Bühnen Oberhausen“.
1953: Eine Sternstunde für das Ballett-Corps am 2. Mai: Unter der Leitung von Waslaw Orlikowsky tanzt die Truppe die westdeutsche Erstaufführung von Sergei Prokofjews „Cinderella“ – acht Jahre nach der Uraufführung am Moskauer Bolschoi.
1953: Eine Sternstunde für Wagnerianer: Erstmals wagt sich das Theater an „Tannhäuser“. – Der Premiere am 13. September folgen 39 weitere Aufführungen.
1955: Mit „Schwanensee“ verabschiedet sich das Ballett mit seinem Meister „Orli“ nach immerhin drei glanzvollen Jahren.
1957: Käthe Guss, ein Liebling des Operetten-Publikums, feiert 25-jähriges Bühnenjubiläum.
Für das Musiktheater in Oberhausen fiel der letzte Vorhang am 29. Februar 1992, sinnigerweise am 200. Geburtstag des großen Genießers und Belcanto-Genies Gioachino Rossini. Am letzten Abend verzischte das „Feuerwerk“, so hieß jene musikalische Komödie des Schweizers Paul Burkhard, von der die Älteren noch das sentimentale Zirkus-Liedchen „O mein Papa (war eine wunderbare Clown)“ kennen dürften. Wie gesagt: Possierliches und großes Drama.