Oberhausen. Vor dem ruhmlosen Ende folgten am Musikweg einander 17 große Produktionen aus Musical und Show. Prominenz auf dem roten Teppich gehörte dazu.

Am stillen letzten Sonntag hätte es eigentlich die letzte Vorstellung geben sollen im Stage Metronom Theater in Oberhausen: Ein letztes Mal „Tanz der Vampire“ mit seiner makabren Mischung aus Grusel, grandiosen Show-Momenten und pompöser Popmusik. Und mit der seit Bram Stoker zur Weltliteratur zählenden Story von einem Untoten, der das tödliche Verhängnis aus Transsylvanien hinausträgt in die Welt. Doch im Metronom kam das Ende bereits zehn Tage früher – von jetzt auf gleich, ohne Pomp und lauten Protest. Das unsichtbare Coronavirus ist noch bissiger als Graf Krolock.

Was bleibt – außer dem momentanen, absoluten Stillstand? Das Bangen und Hoffen der Metronom-Mitarbeiter, ob ihr Theater eine Zukunft haben kann als Musical-Spielstätte – nach zwanzigeinhalb Jahren als Showbühne. Denn eine andere Nutzung ist für dieses maßgeschneiderte Haus an diesem Standort kaum denkbar. Die „Maßschneider“ haben die 5000 Quadratmeter am Musikweg in Oberhausens Neuer Mitte gleich zweimal zugeschnitten: zunächst fürs „TheatrO CentrO“, sechs Jahre später dann fürs „Stage Metronom Theater“.

Der Anfang am Musikweg: Tabaluga, hier ohne Lilli, aber mit Peter Maffay.
Der Anfang am Musikweg: Tabaluga, hier ohne Lilli, aber mit Peter Maffay. © FFS | Archiv

Musical-Häuser haben ja die unterschiedlichsten Anmutungen: vom dauerimprovisiert wirkenden Mega-Zelt wie in Köln und im Hamburger Hafen über den Zuckerbäckerstil gründerzeitlicher Bauten wie dem Theater des Westens in Berlin bis zu äußerlich nüchternen Backsteinkästen wie der „Neuen Flora“ in Hamburgs Schanzenviertel. Da ist so eine grüne „Drachenhaut“, wie sie sich bis 2015 aufs runde Dach des Oberhausener Neubaus schmiegte, schon etwas Besonderes.

Hätte das TeatrO und spätere Metronom für jede neue Produktion solche Mimikry am Gebäude betrieben – meine Güte: Es waren von „Tabaluga und Lilli“ bis zum letzten „Tanz der Vampire“ immerhin 17 an der Zahl. Genau 17 Jahre oder 204 Monate war hier Spielbetrieb. Die langen technischen Vorläufe und Bühnenumbauten zwischen den 17 Produktionen ergeben in Summe drei weitere Jahre.

Drachen-Singspiel mit Bienenkönigin und Mann im Mond

Jedem Musical war im Durchschnitt ein Jahr in Oberhausen vergönnt. Die zweitlängste Spielzeit von 21 Monaten gab’s gleich zum Auftakt: Peter Maffays und Helge Heimes Kindermusical „Tabaluga und Lilli“ hatte seit 1993/94 bereits lange Tourneen bestritten – bis es 1999 in die neu erbaute „Drachenhöhle“ für 1800 Zuschauer einzog. Der Bau für umgerechnet 30 Millionen Euro vollzog sich in fast märchenhafter Rasanz in weniger als einem Jahr. Doch im Gefolge des – auch von manchen erwachsenen Maffay-Fans geschätzten – Drachen-Singspiels mit Bienenkönigin und Mann im Mond verplätscherte der Spielbetrieb mit Saisonware wie dem „Geist der Weihnacht“. Immerhin: Dieses Musical aus deutscher Feder, das Oberhausen einen Guildo Horn als guten Geist Marley bescherte, war die einzige „Weltpremiere“ am Musikweg.

Kein Musical, sondern ein spritziges Spektakel: Die „Blue Man Group“ brachte 2007/08 reichlich Farbe ins Spiel.
Kein Musical, sondern ein spritziges Spektakel: Die „Blue Man Group“ brachte 2007/08 reichlich Farbe ins Spiel. © BB Promotion | Lindsey Best

Die zeitweisen Glamour-Garanten kamen dann in Gestalt von Stage Entertainment 2005 – und sorgten für eine Palette der Stargäste, die von wahren Granden ihres Fachs wie Roman Polanski (2008) und Udo Jürgens (2012 und ‘13) bis zu jener Prominenz reichte, die eigentlich nur für ihre Bekanntheit bekannt ist: Siehe Paris Hilton, die 2011 die Premiere von „Dirty Dancing“ beehren sollte. Doch zunächst stand ein 20-Millionen-Umbau an, der dem nun Metronom genannten Theater erst seinen Schick gab: Von einem 2300 Quadratmeter weiten Foyer dürfen andere Theater-Intendanten nur träumen. Der 20 Meter hohe Theatersaal war nun für 1636 Besucher eingerichtet.

„Sichere Bank“ und mutige Ausfallschritte

In ihrer Repertoire-Politik pendelten die Hamburger von Stage Entertainment zwischen der sprichwörtlichen „sicheren Bank“ und mutigen Ausfallschritten zu neuen Wegen: Zu Anfang mit beträchtlichem Erfolg und entsprechend langen Spielzeiten. „Die Schöne und das Biest“ war im Dezember 2005 eine Wieder-Eröffnung nach Musical-Maß: Kostüme zwischen Prunk und Pointe, dazu die rauschenden Melodien des achtfachen Oscar-Preisträgers Alan Menken. Mit seinen Darstellern und mit seiner Ausstattung zählte das Metronom unter Stage-Ägide stets zu den ersten Musical-Häusern.

Jede Premiere war auch Promi-Schaulaufen über den roten Teppich: hier zeigt sich Paris Hilton 2011 gespannt auf „Dirty Dancing“.
Jede Premiere war auch Promi-Schaulaufen über den roten Teppich: hier zeigt sich Paris Hilton 2011 gespannt auf „Dirty Dancing“. © FFS | Ingo Otto

Experiment und immerhin anderthalbjähriges „Intermezzo“ im Musical-Betrieb war 2007/08 die „Blue Man Group“, für deren abgedrehte Musikshow sich die ersten Zuschauerreihen mit Plastikcapes vor Farbspritzern schützen mussten. Das spritzige Spektakel sahen in 600 Vorstellungen gut eine halbe Million Zuschauer in Oberhausen.

Das Lianen-Singspiel als letzter kommerzieller Erfolg

Nach einmonatiger „Blau-Pause“ für den Bau eines schaurig-schönen Spukschlosses folgte jener von Roman Polanski beehrte „Tanz der Vampire“ – und eine stolze Phalanx sechs großer Musicals: Von „Wicked – die Hexen von Oz“ (2010/11) bis zum „Phantom der Oper“ (2015/16) boten sie allesamt beträchtliche Schauwerte und schöne Stimmen.

Noch acht Musical-Häuser in drei Großstädten

Aus dem Ruhrgebiet hat sich Stage Entertainment, der 1998 gegründete Entertainment-Konzern mit Sitz in Hamburg, mit der Schließung des Metronom Theaters und dem Verkauf des Essener Colosseums zurückgezogen.

In der Musical-Hauptstadt Hamburg betreibt Stage die einander benachbarten Theater im Hafen und Theater an der Elbe, die Neue Flora und das Operettenhaus. Stage-Häuser in Berlin sind das Theater des Westens und das Bluemax Theater. Das Theater am Potsdamer Platz wird nur noch für Gastspiele genutzt. In Stuttgart schließlich bespielt Stage das Palladium und das Apollo Theater.

Zum größten Hit am Musikweg avancierte allerdings mit fast 23 Monaten Spielzeit der von Phil Collins mit eher mauen Songs ausgestattete „Tarzan“ – der am anspruchsvollen Broadway entsprechend herbe Verluste einfuhr. Stage Entertainment nennt das Lianen-Singspiel – das allein 50 Mitarbeiter hinter den Kulissen beschäftigte, um die komplexe Seiltechnik abzusichern – seinen letzten kommerziellen Erfolg im Metronom Theater.

Der letzte Aufschwung: „Tarzan“ bot große Schauwerte zu dünner Musik – und war kommerziell der größte Erfolg im Metronom Theater.
Der letzte Aufschwung: „Tarzan“ bot große Schauwerte zu dünner Musik – und war kommerziell der größte Erfolg im Metronom Theater. © Stage Entertainment | Stage Entertainment

Man mag sich wundern: Denn auch „Bat out of Hell“, die letzte komplett neue Produktion am Musikweg und noch dazu Deutschlandpremiere, verfügte über köstliche Zutaten: Den Bombast-Rock von Meat Loaf, sogar in recht witziger deutscher Übersetzung, dazu ein wieder mal stark aufspielendes Ensemble und Kulissenpracht der düstereren Art. Vielleicht wollte, anders als bei den über die Bühne knatternden Motorrädern, die dünne Story eines „Peter Pan“ aus der Unterwelt hier nicht zünden.

Kurz nach der Premiere verkündete Stage das Aus

Beim letzten „Tanz der Vampire“ ließ Stage Entertainment am 10. Oktober 2019 zwar noch die Premiere funkeln – verkündete aber noch im selben Monat das Aus. Die Traumwelt des glanzvollen Entertainment zerbrach nun bereits zehn Tage vor dem angekündigten letzten Vorhang.