Oberhausen. Vom kreiselnden Intendanten-Karussell zu Kriegszerstörung und dem frühen Wiederbeginn für Kulturhungrige: Das Theater während der NS-Diktatur.
Kann es für Theater-Liebhaber – und erst recht für Schauspieler, Regie-Teams und alle anderen Bühnenberufe – Schlimmeres geben als den totalen Stillstand, die erzwungenen Theaterferien lange vor der Zeit? Noch schlimmer wäre wohl nur Theater als Lüge, als Propaganda für ein menschenverachtendes Regime – und da wiegle niemand ab, dass auf den Brettern, die die Welt bedeuten, doch sowieso „alles erfunden“ sei.
Im Rückblick auf 100 Jahre Theater Oberhausen soll es also um Schauspiel, Oper und Operette in dunkelster Zeit gehen: von der Weltwirtschaftskrise zur NS-Diktatur, zur Zerstörung – und einem rasanten Wiederaufleben nach Kriegsende. Gleich zwei Pleiten in den Anfangsjahren, dazu frühe Versuche von „Theaterehen“ während der 1920er und immer wieder Wechsel zwischen den Sparten Schauspiel, Musiktheater und Ballett: Derart wildbewegte Jahre der Weimarer Republik lassen sich in strenger Chronologie kaum nacherzählen. Immerhin gibt es ein festliches Eröffnungsdatum – an dem sich nun auch das Team um Intendant Florian Fiedler orientiert: Am 15. September 1920 gab man „Sappho“, Franz Grillparzers Tragödie von 1818.
Theater-Chronik: Von „Groß-Oberhausen“ zum Neubeginn
1929: Am 1. August entsteht „Groß-Oberhausen“ aus den drei Städten Oberhausen, Osterfeld und Sterkrade. Für das Theater bedeuten die Weltwirtschaftskrise und die folgenden 1930er Jahre auch eine Zeit des künstlerischen Einbruchs mit Intendanten-Wechseln in fast jeder Spielzeit.
1939: Zum 1. April übernimmt die Stadt das zuvor von der Bürgergesellschaft gemietete Theatergebäude. Am 1. Mai beginnt ein umfassender Umbau- und Erweiterungsbau. Zur Wiedereröffnung am 26. Dezember gibt’s Carl Maria von Webers romantischer Oper „Der Freischütz“.
1943: Durch einen Bombenangriff wird das Theater am 27. April vollständig zerstört. Der Spielbetrieb zieht nach Sterkrade in den „Kaiserhof – der im folgenden Jahr schwer beschädigt wird.
1945: Mit Kriegsende beginnt der Wiederaufbau des Kaiserhofs. Als erstes Theater im Ruhrgebiet beginnt Oberhausens erste Nachkriegs-Spielzeit am 15. Dezember mit einer Vorstellung des Opern- und Operetten-Ensembles.
Tragödie eines Sozialisten auf gleichgeschalteter Bühne
Zwölf Jahre später und „die Verhältnisse des Theaters boten kein erfreuliches Bild“: So schildert es der Chronist der frühen Jahre, Wilhelm Lange, in seinem Buch „Theater in Oberhausen 1911 bis 1960“. In der Weltwirtschaftskrise musste die gebeutelte Stadt ihre Förderung für das von der Bürgervereinigung getragene Schauspiel- und Opernhaus zusammenschnüren. Im politischen Elend der ausgehenden Weimarer Republik befeindeten sich auch Ensemble und Mitarbeiter des Hauses untereinander: Wilhelm Lange nennt’s „Cliquenbildung im Personal“.
Die Intendanten wechselten zudem in einer Frequenz, die gruseln lässt: Zwei vollständige Spielzeiten waren das höchste der Gefühle, dann übernahm der nächste Theaterchef. Schon ziemlich sarkastisch schreibt Lange: „Die Operette florierte, das Volksstück avancierte und in der Spieloper kehrten die alten Bekannten unentwegt wieder.“ Angesichts der künstlerischen wie politischen Misere mag man staunen, dass neben heutzutage glücklich vergessenen Schauspielen wie „Hockwanzel“ oder „Jugend von Langemarck“ im Spielplan noch Klassiker auftauchten, deren Texte eigentlich ein Aufbegehren gegen jede Diktatur verlangen: etwa Schillers „Maria Stuart“ oder Kleists „Prinz Friedrich von Homburg“. Sogar die „Heilige Johanna“ des Sozialisten (!) George Bernard Shaw kam im Zweiten Weltkrieg auf die Oberhausener Bühne.
Der große Will Quadflieg debütiert im Operettenfach
In den 1930er Jahren dauerte die Spielzeit nur jeweils sieben Monate; die Verträge fürs Ensemble lauteten auf siebeneinhalb Monate. Erst 1938 wurde dazu für viereinhalb Monate eine „Überbrückungsgage“ gezahlt. Keine Bedingungen, um sich gefragte Darsteller und Sänger für das Haus zu sichern. Doch ein ganz Großer der Schauspiel-Historie debütierte in der Spielzeit 1933/34 als 19-jähriger Volontär in Franz Lehars Operette „Friederike“: der Oberhausener Will Quadflieg (1914 bis 2003). Keine drei Jahre später spielte er bereits am Berliner Schillertheater bei Heinrich George.
Ein weiterer, unter Kennern klangvoller Name – und eine Konstante des Musiktheaters, während das Intendanten-Karussell kreiselte – war Werner Trenkner (1902 bis 1981): Der junge Komponist und Dirigent hatte für sein Werk zwischen Spätromantik und Moderne 1933 den renommierten Mendelssohn-Preis gewonnen. Im selben Jahr kam der Sachsen-Anhalter als Kapellmeister nach Oberhausen. 1935 ging er im Zorn über die antimoderne NS-Kulturpolitik als freischaffender Komponist nach Berlin – war aber bereits 1937 wieder in Oberhausen, jetzt avanciert zum Musikdirektor. Trenkners Kompositionen wurden nicht gespielt, aber sein Können als Dirigent setzte sich durch.
Schuld und Vergebung: „Der fliegende Holländer“
1939 erst wurde das einstige Gasthaus „Friedrichshöhe“ zum vollwertigen Theater: Die Stadt kaufte das Gebäude und Stadtbaumeister Ludwig Freitag, der Gestalter des Rathauses, machte sich an den Umbau. Endlich gab’s auch eine Drehbühne und einen eisernen Vorhang, einen Ballettsaal und eine Probenbühne. Die Schneiderei und der Fundus zogen in das ebenfalls angekaufte Wilmssche Haus (am heutigen Will-Quadflieg-Platz). Mit dem kompetenten Musikdirektor Trenkner erlebte Oberhausen die erste Wagner-Oper: „Der fliegende Holländer“ singt von Schuld und Vergebung.
Britische Flieger brachten die Zerstörung im Bombenkrieg: In der Nacht des 27. April 1943 war das vier Jahre zuvor aufwendig erneuerte Theater zerstört. Der Saal des „Kaiserhofs“ in Sterkrade wurde zum Interimstheater. Hier sollte es auch nach der Befreiung von der NS-Tyrannei weitergehen. Josef Heckhausen war der erste Nachkriegs-Intendant und Gründer einer GmbH „Stadttheater Oberhausen“: Ihm gelang der Coup, bereits am 15. Dezember 1945 – nur sieben Monate nach Kriegsende – eine neue Spielzeit zu starten. Keine andere Bühne im Ruhrgebiet war schneller.
Gewaltiger „Kulturhunger“ füllt den Kaiserhof
Sieben Schauspiele, zwei Märchen, sechs Operetten und ein zuverlässig ausverkauftes Haus: Der „Kulturhunger“ nach zwölf Jahren Barbarei war gigantisch. Harald Jähner, der Berliner Feuilletonist, hat diesem Lebensgefühl in seinem grandiosen Buch „Wolfszeit“ ungemein nuanciert nachgespürt. Oberhausens früher Theaterchronist Wilhelm Lange konstatierte eher nüchtern: „Die Operette blieb natürlich die Haupteinnahmequelle.“