Mülheim/Essen. Das Ende des Flughafens ist vorerst auf Eis gelegt. CDU und Grüne haben den Entwurf für eine „Perspektive 2034+“ gekippt. Wie geht’s weiter?
Der Wettbewerb für das Flughafen-Gelände ist vorerst auf Eis gelegt. Im Planungsausschuss am Donnerstag kippte die schwarz-grüne Koalition überraschend den zwar seit Wochen vorliegenden, aber eben nicht beschlossenen Entwurf für eine „Perspektive 2034+“. Damit scheint die Idee der Verwaltung eines Stadtquartiers für 6000 Mülheimer mit Gewerbepark vom Tisch. Das Durcheinander aber ist ebenfalls maximal.
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CDU und Grüne kritisieren „unerwünschte Folgen für Natur und Landschaft“
Denn nach einer Vertagung des Beschlusses im Februar, nach monatelanger Debatte um das Gelände bereits vor dem Kommunalwahlkampf 2020, nach zehn Jahren beschlossenem Aus und nach gut dreißig Jahren Hü und Hott um einen Flughafenbetrieb auf dem 140 Hektar großen Areal, ist nicht einmal mehr klar, dass es ab 2034 keinen Flughafen mehr geben wird. Vielleicht sogar das Gegenteil.
Knapp vor der Sitzung hatte die Koalition von CDU und Grünen ihr Veto gegen das städtische Konzept in einer Presseerklärung publik gemacht: „Der Grund sind Verfahrensfragen und unterschiedliche Einschätzungen über die Änderbarkeit des Auslobungstextes in Mülheim und Essen“, heißt es darin.
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Keine Akzeptanz für „Trabantenstadt“
Doch die Bedenken sind tiefreichender als nur formaler Art. Sie stellen das Konzept der Mülheimer und Essener Verwaltungen selbst unmissverständlich infrage: Denn eine Bebauung für 6000 Bewohner und 2000 Beschäftigte „wäre mit vielen unerwünschten Folgen für Natur und Landschaft verbunden. Die Schaffung der erforderlichen Infrastruktur (Kita, Schule, Kanalisation, Verkehr, Gesundheit und Nahversorgung) ist immens und würde auch die Fähigkeiten der Stadt enorm strapazieren.“ Dabei sei für CDU und Grüne „erkennbar, dass für eine solche Trabantenstadt in der Bevölkerung keine Akzeptanz besteht“.
Den Befürwortern des Flughafens aus der SPD-Fraktion bot diese Notgrätsche eine willkommene Konterchance. Sie hatten ohnehin einen Antrag vorbereitet, die Weiterentwicklung des Flughafens plus weiteres Gewerbe mit in das Verwaltungskonzept aufzunehmen. „Schwarz-Grün hatte 2010 ja das Ende des Flughafens besiegelt“, merkte Genosse Filip Fischer an, „wir sind froh, dass sich die Meinung wohl auch auf Druck der Bürger geändert hat“. Die SPD will keinen einfachen Erhalt, sondern eine Perspektive für den Flughafen erarbeiten. Sie hofft, dass die Defizite des Flughafens – aktuell wird er von beiden Städten mit insgesamt etwa 400.000 Euro bezuschusst – durch einen Ausbau und Investition ausgeglichen werden.
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Klarer Stopp für starke Wohnbebauung und Gewerbe – aber sonst?
Den politischen Veteranen im Parlament wie Lothar Reinhard (MBI) schien allerdings nach Euphorie wenig zu Mute: „Wir diskutieren darüber seit den 90ern“, entgegnete dieser entnervt. Nach 30 Jahren sei man keinen Schritt weiter, weil man wieder eine völlig neue, ergebnisoffene Vorlage diskutieren wolle. Er habe Zweifel, dass damit mehr Klarheit in die Debatte komme.
Reinhards Sorge ist berechtigt. Denn selbst wenn die Mehrheit im Rat gegen die vorgeschlagene Bebauung für 6000 Menschen plus Gewerbe und Naturbereiche ist – was ist die Alternative? Aktuell können sich die Stadtverordneten allenfalls auf den Erhalt von Natur und der Kaltluftschneise als kleinsten gemeinsamen Nenner einigen. Ob mit oder ohne Flughafen, mit mehr oder weniger Gewerbe, vielleicht sogar als Standort alternativer Energieerzeugung – das ist nun wieder völlig offen.
Soll der Bürger nun für die Politik entscheiden?
Das übrigens gilt nicht weniger für die Stadt Essen, die am Flughafen mit beteiligt ist. Die Ratssitzung am vergangenen Mittwoch brachte auch dort kein Ergebnis zum Verwaltungskonzept außer: Beratungsbedarf.
Müssen Fördergelder erstattet werden?
Bei der Ausschreibung des Wettbewerbs drängt zusätzlich die Zeit. Denn für diesen sind öffentliche Fördermittel von etwa 60.000 Euro des Landes geflossen, die gegebenenfalls erstattet werden müssen, sollte der Zeitplan – ursprünglich sollte die Auslobung am 30. März versendet werden – nicht eingehalten werden.
Schon Mitte April war das erste Bürgerforum zur öffentlichen Beteiligung vorgesehen, am 10. Juni dann das zweite. Dieser Zeitplan war bereits im Februar gekippt worden. Bedenken äußerte die Verwaltung im Planungsausschuss, ob man gegenüber den Förderern eine zweite Verlängerung begründen könne.
Muss das jahrzehntelange Zaudern der Politik am Ende ein Bürgerentscheid zur Zukunft des Flughafens aus dem Weg räumen? Auch diese Idee brachte die Mülheimer Politik ein. Doch selbst ein solcher Königsweg kommt einem Münzwurf gleich, aber keinem begründeten Konzept. Denn offenbar gebe es ebenso eine „Zerrissenheit in der Stadt“, konstatierte Oberbürgermeister Marc Buchholz im Planungsausschuss. Zudem: Müsste nicht auch die Essener Bevölkerung daran beteiligt werden?
Buchholz baute daraufhin die politische Brücke: „Ich verstehe, dass Sie der Verwaltung einen neuen Auftrag gegeben haben.“ Nun sollen die Parteien Wünsche und Ideen einreichen, die von der Verwaltung zu einem Wettbewerbskonzept bis zur Ratssitzung am 22. April umgeschrieben werden sollen. Diese allerdings müssen spätestens anschließend durch den Essener Rat gehen. Dafür will sich die Politik städteübergreifend weiter koordinieren.