Mülheim. Die Menschen in Mülheim-Raadt bewerten den Stadtteil als wenig kinderfreundlich. Familie Mons versteht das, macht es sich aber trotzdem schön.
Eine Eisdiele muss her! Oder zumindest ein Eiswagen, der regelmäßig vorbeikommt. Die Versorgung mit Süßem ist elementar für einen Stadtteil. Da sind sich Benedikt (8) und Johanna (10) einig. Fürs Kinderglück in Raadt wäre auch ein zweiter Spielplatz schön, am besten nah an der Parsevalstraße. Dort nämlich wohnt Familie Mons, und das tut sie richtig gern. Dass einige Nachbarn beim Stadtteilcheck der WAZ miese Noten für den Punkt „Kinderfreundlichkeit“ verteilt haben, versteht sie trotzdem.
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Denn es fehlt ja nicht nur der Eiswagen. Das größte Problem ist der Nahverkehr. Schulen gibt’s im Stadtteil nicht, und so bricht die Fünftklässlerin morgens zur Luisenschule auf und der Drittklässler zur Hölterschule. Weil die Straßenbahn lang schon nicht mehr bis zum Flughafen durchfährt, muss Johanna zuerst eine Station mit dem Bus fahren und dann am Hauptfriedhof in die 104 oder die 112 umsteigen. Das ist mühselig, weil zeitaufwendig, und oft funktioniert auch der Anschluss nicht. Martin Mons (44) ärgert sich häufig über den „Murks“, der im Übrigen dazu führe, „dass man in Raadt auf ein Auto angewiesen ist“.
Silke Mons wünscht sich einen Schulbus für die Kinder
Nach den Herbstferien wird sich auch Benedikt ins Abenteuer Nahverkehr stürzen; bislang hat seine Mutter ihn zur Schule gebracht. „Er war mir einfach noch zu jung“, so Silke Mons. Doch irgendwann müsse das mit der Selbstständigkeit ja losgehen. „Ideal wäre ein Schulbus“, sagt die 41-Jährige. Für Laufgruppen ist der Weg zu weit, und das Fahrrad ist keine wirkliche Option für den Grundschüler. Zumal Silke Mons auch den Radweg entlang der Zeppelinstraße moniert: „Der ist zu viel schmal für Radfahrer und Fußgänger gleichzeitig. Und die Straße ist zu nah dran.“
Beim Thema Radweg hat ihr Mann eigene Ideen: Er ist selbst in Raadt aufgewachsen und kann sich noch gut an die durchgehende Straßenbahn erinnern. Die heute völlig verwilderte Trasse wiederzubeleben, wäre eine tolle Sache. „Einspurig würde reichen, die Bahnen können ja heutzutage in beide Richtungen fahren.“ Positiver Nebeneffekt: Die zweite Spur könnte zum immer wieder angedachten Radweg umgebaut werden.
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Zum Sport geht’s mit dem Auto nach Saarn und Heißen
Ins Auto steigt die Familie auch, um nachmittags zum Sport zu kommen. In Raadt ist Tennis, Fußball und Reiten möglich. Hockeyspieler Benedikt aber kämpft für den KHTC in Saarn und seine Schwester turnt in Heißen. Johanna nutzt immerhin die Musikschule im Stadtteil, lernt Saxophon bei „Tonart“ am Flughafen.
Sie war ein Baby, als ihre Eltern im Mai 2011 das Haus in Raadt kauften. Sie haben lang gesucht und die Konkurrenz war groß. Drei Tage erst stand die Immobilie im Internet, da hatten sie sie überglücklich ergattert. 50 Mitbewerber gingen leer aus.
Das Aus für das Gemeindezentrum war ein Unglück
Johannas Weg in den evangelischen Kindergarten „Raadthäuschen“ war kurz. Das war reizvoll an Raadt. Und überhaupt, die nahe Christuskirche war für Silke Mons ein Glücksfall. „Ich hatte als Kind ein enges Verhältnis zur Kirche. Das habe ich mir auch für meine Kinder gewünscht.“ Leider kam es anders. Benedikt war nur noch kurz im „Raadthäuschen“, dann kam das Aus für das Gemeindezentrum und der Junge wechselte zu „Stöpsel“ in Holthausen. Noch heute sind die vier betrübt über den Wegfall des Treffpunktes. Wie schön allein der Martinsumzug war: Er endete am Wohnstift, mit Lagerfeuer, Musik, Glühwein, Puhmann – und Begegnungen. „Da haben nicht nur wir was verloren, davon hatten auch die älteren Menschen etwas“, erinnert sich Martin Mons.
Benedikt liebt an Raadt vor allem sein Zuhause: „Da gibt es nix, was ich verbessern könnte.“ Auch draußen ist er oft glücklich. Der Verkehr rauscht nicht vor der Haustür vorbei, sondern über die Zeppelinstraße. Und auf dem nahen Feld sowie der Straße Richtung „Liebfrauenhof“ kann man „gut spielen, Skateboard und Inline Skates fahren“. Die Natur hat es Johanna angetan, „es ist schön, dass wir direkt am Wald sind“. Das Rumbachtal ist auch gut für coole Nachtwanderungen, so schon häufiger geschehen an Kindergeburtstagen.
Martin Mons erinnert sich gern an die Tante Emma-Läden seiner Kindheit
Martin Mons erinnert sich gern an die Tante Emma-Läden, die es in seiner Kindheit gab. Heute ist auch der Einkauf nur noch mit dem Auto möglich; am Oppspring gibt es Lebensmittel und in Heißen Drogerieartikel. Ins angrenzende Essen-Haarzopf fährt die Familie selten, da finde man schlecht Parkplätze.
Der Stadtteil-Check kurz und kompakt
3250 Leserinnen und Leser haben am Mülheimer Stadtteil-Check teilgenommen.
Die Ergebnisse der Umfrage sind nicht repräsentativ, aber: „Der Stadtteil-Check liefert wegen der sehr großen Beteiligung ein gutes Stimmungsbild“, sagt Dr. Ana Moya, die für die Auswertung zuständige Statistik-Expertin der Funke Mediengruppe. Im Stadtteil-Check finden Sie:
- Alle Stadtteil-Zeugnisse in der Übersicht
- Alle Analysen der Redaktion in der Übersicht
- Warum Mülheim besser abschneidet als die Nachbarn Oberhausen und Duisburg
- Raadt: Keine Kita, nur ein Spielplatz und weite Wege
- Mülheimer sagen: Raadt ist alles andere als kinderfreundlich
- Warum Kinder gerne auf der Heimaterde wohnen
- Mintard: Wo Älterwerden ohne Auto zum Problem wird
- Senioren in Speldorf: Klagen auf hohem Niveau?
Trotz aller Kritikpunkte, das Leben in Raadt macht Eltern und Nachwuchs froh. „Es ist nicht kinderfreundlich wegen des Angebotes von außen“, sagt Martin Mons, „sondern durch das, was man selbst daraus macht.“ In den Wald gehen, Radfahren, etwas mit den Kindern unternehmen, das mache glücklich. „Wenn ich abends nach Hause komme, denke ich oft: Wow, ist das schön hier.“ Der Stadtteil sei begehrt, die Preise für Häuser stiegen kontinuierlich. Seiner Frau rühmt noch die Nachbarschaft: „Hier kümmert sich jeder um jeden.“ Wenn jetzt bloß noch der Eismann käme. . .