Mülheim. Lebensmittel kosten deutlich mehr. Schränkt man sich im Supermarkt ein, scheut man erst recht den Weg zum Hofladen – zum Leidwesen der Landwirte.

Erdbeeren, Spargel, Eier von glücklichen Hühnern: Angesichts der Preissteigerungen scheinen solche Lebensmittel zu Luxusgütern zu avancieren. Hofläden in Mülheim bekommen das bereits zu spüren: Wer früher zehn Eier gekauft hat, nimmt heute vielleicht noch sechs mit – wenn er überhaupt noch im Hofladen einkauft, denn viele machen einen Bogen um die Lädchen auf dem Land, beobachten Mülheimer Landwirte.

Erdbeeren, ein Luxusgut? Für Christiane in der Beeck-Bolten sind die kleinen roten Früchte vor allem eines: „Eine Herzensangelegenheit, deshalb werden wir auch nicht darauf verzichten.“ Kein Gedanke daran, ihre Felder umzupflügen und die Ernte, die gerade kaum einer kaufen will, zu vernichten, wie jüngst im Münsterland geschehen. Gleichwohl spüre auch sie auf ihrem Dümptener Bauernhof die Kaufzurückhaltung ihrer Kundinnen und Kunden.

Verschiedenen Faktoren verhageln Mülheimer Landwirten das Hofladen-Geschäft

In der Beeck-Bolten ist überzeugt: Es sind nicht nur die Preissteigerungen, sondern im speziellen Fall des Dümptener Hofes auch die Baustelle an der Oberheidstraße, die die Kundschaft zu Umwegen zwingt, und im besonderen Fall der Erdbeere auch das unbeständige Wetter: „Wenn die Sonne nicht scheint, hat kaum jemand Lust auf Erdbeeren. Auch das Selbstpflücken ist rückläufig. Dabei wäre jetzt genau die richtige Zeit, die Erdbeeren sind gerade ideal – und wir verkaufen sie in diesem Jahr billiger als in den Vorjahren. Das finde ich paradox: Sie sind günstiger denn je, gelten aber in den Köpfen als Luxus.“

Christiane in der Beeck-Bolten registriert deutlich weniger Absatz bei den Erdbeeren, die sie auf dem Dümptener Hof und an Verkaufsständen im Mülheimer Stadtgebiet anbietet.
Christiane in der Beeck-Bolten registriert deutlich weniger Absatz bei den Erdbeeren, die sie auf dem Dümptener Hof und an Verkaufsständen im Mülheimer Stadtgebiet anbietet. © FUNKE Foto Services | Gerd Wallhorn

Bilanziert sie ihre Umsätze, kommt in der Beeck-Bolten zu dem Schluss: „Wir liegen 30 bis 50 Prozent unter dem Durchschnitt verglichen mit dem Standardjahr 2019.“ Die vergangenen beiden von Corona geprägten Jahre könne man nicht als Referenz nehmen: „Corona hat uns die Hofläden voll gemacht“, blickt Christiane in der Beeck-Bolten zurück, die anderen Landwirte sind derselben Meinung.

Auch interessant

Denn als kaum mehr erlaubt war, als im Supermarkt einzukaufen, ist der Besuch im Hofladen für viele zum kurzweiligen Familienausflug geworden. In der Hochzeit der Pandemie kam hinzu, dass die Menschen mehr Zeit mit Kochen verbrachten, sich auch mal besondere Lebensmittel aus dem Hofladen gönnten. Doch das sei inzwischen abgeebbt, sagt die Bauernschaft – und selbst ein Teil der Stammkundschaft bleibe weg.

Spargelfelder an der Grenze von Mülheim und Essen dürfen sich ausruhen

Auch interessant

20210609_Froendenberg_Erdbeeren_Kleinrensing_11.jpg
Von Theresa Langwald und Katrin Simoneit

„Die Leute entscheiden übers Portemonnaie, auch unsere Verkaufsstände in den Stadtteilen haben weniger Zulauf“, sagt die Chefin des Dümptener Bauernhofes. Doch günstiger könne sie ihre Waren nicht anbieten, auch sie müsse kalkulieren: „Dünger, Mindestlohn, Pflanzenmaterial – alles deutlich teurer als 2019.“

Auch interessant

Spargel, zwar königliches Gemüse, aber Luxus auf dem Teller? Jochen Unterhansberg vom Buchholz-Hof, der gerade auch Erdbeeren im Angebot hat, registriert durchaus einen Kaufverlust von 20 bis 30 Prozent und spricht ebenfalls von verschiedenen Faktoren für die Kaufzurückhaltung: „Die Leute sind jetzt wieder viel mehr unterwegs und verreisen.“ Aber doch meint Unterhansberg mit Blick auf den Krieg in der Ukraine und die Inflation: „Viele sind verunsichert, keiner weiß ja, wohin das noch führt.“

Landwirt Jochen Unterhansberg registriert einen Kaufverlust von 20 bis 30 Prozent. Er will die Ernte auf den Spargel-Feldern des Bucholz-Hofes allmählich einstellen, weil die Nachfrage nach dem königlichen Gemüse zu gering ist.
Landwirt Jochen Unterhansberg registriert einen Kaufverlust von 20 bis 30 Prozent. Er will die Ernte auf den Spargel-Feldern des Bucholz-Hofes allmählich einstellen, weil die Nachfrage nach dem königlichen Gemüse zu gering ist. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Am Buchholz-Hof stelle man die Ernte allmählich ein, lasse den Spargel sprießen und gönne den Feldern Ruhe. „Dass unsere Produkte vernichtet werden, weil keiner sie mehr kauft, so wie in Münster geschehen, davor haben wir lange zurückgeschreckt“, sagt der Landwirt, der die Aktion durchaus begrüßt: „Es ist ein deutliches Signal.“ Für den Buchholz-Hof aber stehe fest: „Wir geben keine Flächen auf, sondern hoffen aufs nächste Jahr und darauf, dass sich das Kaufverhalten der Kundschaft wieder normalisiert.“

Mülheimer Familie hat Hofladen gerade erst übernommen und sieht Existenz gefährdet

Auch interessant

Eier von glücklichen Hühnern – auch das ein Luxus? „Kunden, die vorher immer zehn Eier gekauft haben, nehmen jetzt höchstens noch sechs mit – fürs Sonntagsfrühstück“, beobachtet Stefan Löckenhoff. Der 40-Jährige hat erst im April den Hofladen seiner Schwiegereltern auf dem Schultenhof an der Mendener Straße übernommen und kürzlich im frisch renovierten Lädchen neu eröffnet. Ihn treffen die Umsatzeinbrüche besonders hart: „Ich habe alles auf eine Karte gesetzt und meinen Job gekündigt für den Hofladen.“ Es sollte sein Standbein sein auf dem uralten Hof, nahe bei der Familie und mit Werten, die ihm und seiner Frau, die als Grundschullehrerin arbeitet, wichtig sind: Lebensmittel, deren Ursprung sie kennen, Produkte, hinter denen sie voll stehen, etwa mit Blick auf bessere Bedingungen in der Tierhaltung: „Die Kälber der Kühe, von denen wir die Milch bekommen, bleiben länger bei den Müttern.“

Handverlesen sind die Produkte im Laden auf dem Schultenhof, die besagten Eier liefern die rund 200 freilaufenden Hühner, die den Hofbesucher schon an der Einfahrt begrüßen. Löckenhoffs, deren zwei kleine Kinder die sechste Generation auf dem Hof bilden, hatten einen Plan und eine genaue Vorstellung von ihrem Hofladen, den die Seniorchefin fast 40 Jahre betrieben hat. Doch dann brach der Krieg in der Ukraine aus und mit ihm die Preisexplosion.

Stefan, Jule (8) und Mareike Löckenhoff im neuen Hofladen auf dem Schultenhof an der Mendener Straße. Das Paar hat den Laden von den Eltern übernommen und setzt auf ausgewählte Produkte. Doch derzeit bleiben die Kunden aus, der Umsatz ist eingebrochen.
Stefan, Jule (8) und Mareike Löckenhoff im neuen Hofladen auf dem Schultenhof an der Mendener Straße. Das Paar hat den Laden von den Eltern übernommen und setzt auf ausgewählte Produkte. Doch derzeit bleiben die Kunden aus, der Umsatz ist eingebrochen. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

„Das Ostergeschäft ging noch, aber seitdem ist es extrem ruhig“, erzählt Stefan Löckenhoff und bilanziert: „Es kommen vielleicht noch zwei Drittel der sonstigen Kunden und die kaufen deutlich weniger.“ Dabei sei auch für seinen Betrieb alles teurer geworden: „Das Futter für die Hühner kostet 50 Prozent mehr, vom Diesel für den Trecker ganz zu schweigen.“

Weniger schwarz sieht Johann Steineshoff vom Heißener Hof. Während der Corona-Zeit habe er mit seiner Landfleischerei gemeinsam mit seiner Schwester, die den Hofladen betreibt, neue Kundschaft hinzugewonnen. Der Umsatz sei auch heute noch höher als vor der Pandemie, sagt Steineshoff. Zwar bemerkt auch der Metzgermeister etwas weniger Zulauf, sieht als Grund aber vor allem die zahlreichen Möglichkeiten, die die Mülheimerinnen und Mülheimer jetzt – nach Beendigung der Corona-Beschränkungen – wieder haben: „Die Leute können wieder essen gehen oder in Urlaub fahren – ich kann verstehen, dass sie das erstmal nachholen.“

Auch interessant

Auch er, sagt der Chef vom Heißener Hof, habe die Preise anheben müssen – „aber nicht so extrem wie im Supermarkt. Wir produzieren hier vor Ort und verkaufen auch hier direkt, haben also zum Beispiel keine Transportkosten.“ Seine Stammkunden, da ist Steineshoff sicher, werden weiterhin kommen und kaufen.

Vorsitzender der Ortsbauernschaft in Mülheim hört die Klagen von vielen Seiten

Hermann Terjung ist Vorsitzender der Ortsbauernschaft und vertritt die Interessen seiner Landwirtskollegen, bei ihm kommt viel an – im Moment sind es vor allem Klagen über Flaute in der Direktvermarktung, also dem Verkauf ab Hof. „Das ist extrem eingebrochen“, sagt Terjung, der selbst auch ab Hof verkauft und zudem mittwochs einen Stand auf dem Saarner Wochenmarkt hat. „Wie ausgestorben“, schildert der Vorsitzende der Ortsbauernschaft seine Eindrücke. „Ich höre es von vielen Berufskollegen.“

Auch interessant

Viele Verbraucherinnen und Verbraucher kauften derzeit eher den günstigen Spargel beim Discounter, als den knackfrischen vom Mülheimer Feld. Aber auch Terjung weiß: Mit den Dumping-Preisen, mit denen Supermärkte Erdbeeren, Spargel, Eier oder Fleisch anböten, könne und wolle keiner der heimischen Hofläden mithalten.

Nächster Preisschock für Bauern: Die jüngst beschlossene Erhöhung des Mindestlohns

Terjung sieht einen gesellschaftlichen Auslöser für die Misere: „Lebensmittel sind in Deutschland nichts wert. Fürs Hundefutter wird mehr ausgegeben als für die eigene Leberwurst. Man spart als Erstes an den Lebensmitteln, fährt aber weiter Auto und fliegt in den Urlaub – das ist typisch deutsch.“

Was in naher Zukunft neben hohen Spritkosten und explodierten Düngemittelpreisen zusätzlich ins Kontor schlagen werde, prognostiziert der Vorsitzende der Ortsbauernschaft den Landwirten, sei die jüngst beschlossene Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro: „In der Saison arbeiteten 20, 30 Leute auf einem Hof, um bei der Ernte zu helfen, die nach Mindestlohn bezahlt werden. Das macht schnell mehrere tausend Euro pro Monat aus.“