Mülheim. Als die Bomben 1943 auf Mülheim fielen, schob Edith Reingen gerade Nachtwache im damaligen Kaufhof an der Wallstraße. Sie und ihre Kollegen suchten Schutz im Keller des Kaufhauses. Doch das nahende Feuer und der Rauch drohten ihnen zum Verhängnis zu werden.
Als die Bomber über Mülheim kreisten, hockte Edith Reingen zusammen mit neun ihrer Kollegen im Keller des Kaufhofs. In dieser Juninacht 1943 sollten mehr als 8000 Spreng- und 21.000 Phosphorbrandbomben die Stadt erschüttern. Hinzu kamen fast 270.000 Magnesium-Stabbrandbomben, 397 Luftminen und 810 andere Bomben, die auf Mülheim niedergingen. Der Rauch des brennenden Kaufhauses kroch immer weiter zu den Schutzsuchenden in den Keller hinein. „Ohne den Mut des Hausmeisters hätten wir das nicht überlebt“, ist sich Edith Reingen heute sicher.
Alter Kaufhof an der Wallstraße
Die 88-Jährige erinnert sich noch genau an den Tag des Angriffs. „Ich trug einen leichten Sommermantel.“ Diesen musste die damals 18-Jährige allerdings gegen Schutzanzug, Gasmaske und Helm tauschen. „Jeder von uns war eingeteilt für Nachtwachen im Gebäude“, erinnert sie sich. „Damals stand der alte Kaufhof noch an der Wallstraße.“ Als gelernte Kontoristin arbeitete Edith Reingen, geborene Beilker, in der Verwaltung des Kaufhofs, kümmerte sich um Zahlen und Statistiken. Jede Nacht wurden zehn der Mitarbeiter aus unterschiedlichen Abteilungen zur Nachtwache eingeteilt. „Wir sollten die Waren bewachen und im Brandfall löschen.“ Dafür standen große Kübel mit Löschwasser bereit, „die im Ernstfall allerdings nie ausgereicht hätten“, ist sich Edith Reingen sicher.
In dieser Nacht hörten die Kollegen, acht Frauen und zwei junge Lehrlinge, die Propeller der Maschinen über Mülheim donnern und versteckten sich aus Angst um ihr Leben im Keller des Kaufhauses. „Wir zitterten und hielten uns nasse Handtücher vor Mund und Nase, um den Rauch nicht einzuatmen.“ Eng kauerten sie sich aneinander. „Das war ein Getöse, wir hatten alle Angst!“ Schließlich konnten sie nicht wissen, was über ihren Köpfen passierte. „Wir wussten nur, dass es brennt.“
Das Feuer blieb
Der Hausmeister, „ein Mann mittleren Alters“, rannte in das brennende Gebäude und lotste die Eingeschlossenen durch den Keller bis hoch auf den Viktoriaplatz (heute Synagogenplatz). „Dort gab es Unterstände, unter die wir uns stellen konnten.“ Dann zogen die Flieger ab. Das Feuer blieb. „Und überall war Rauch.“ Die Gruppe wartete, bis der Tag anbrach und es hell wurde. „Dann sind wir alle in unterschiedliche Richtungen nach Hause gelaufen.“ Noch in ihrem Schutzanzug mit Gasmaske, Schutzhelm und dem Gesicht voll Ruß lief die 18-jährige Edith über die Schloßbrücke in Richtung Broich zu ihrem Elternhaus. „Alles um mich herum brannte. Die schöne Mülheimer Geschäftsstraße – alles war zerstört.“ Die Bilder sind bis heute präsent, wenn die Seniorin Aufnahmen vom Krieg im Fernsehen sieht, erinnert sie das schmerzlich an die Angst von damals.
Ihre Erlebnisse werden als Buch veröffentlicht
Edith Reingen ist gebürtige Mülheimerin und wuchs in Broich, Grenze Speldorf auf. Bis heute ist sie ihrer Heimat treu geblieben. Bis in die Fünfziger Jahre arbeitete die heute 88-Jährige bei der Firma Kaufhof als Kontoristin.
Bereits im vergangenen Jahr hatte die WAZ-Lokalredaktion Mülheim anlässlich des 70. Jahrestages des schwersten Luftangriffs auf die Stadt in der Nacht vom 22. auf den 23. Juni 1943 ihre Leser aufgerufen, ihre Erinnerungen an jene Nacht zu schildern. Nun startet die WAZ auch überregional einen Aufruf an alle Zeitzeugen. Am Ende sollen die Erlebnisberichte in einem Buch gebündelt und veröffentlicht werden.
Die WAZ-Redaktion Mülheim beteiligt sich und freut sich auf Ihre Beiträge, die vom Alltag im Bombenkrieg 1943/44 berichten. Schreiben Sie uns per Post an WAZ-Redaktion, Eppinghofer Str. 1-3, 45468 Mülheim oder per E-Mail: redaktion.muelheim@waz.de. Oder rufen Sie uns an: 44 308 31.
„Meine Mutter hatte sich solche Sorgen gemacht – und war überglücklich, als ich rußverschmiert zu Hause ankam.“ Dort war glücklicherweise, „bis auf einige Fensterscheiben“, alles heil geblieben. Im Gegensatz zu der Kaufhof-Filiale: Sie wurde so stark zerstört, dass der Verkauf in zwei Notverkaufsstätten an der Schloßstraße – in das Woolworth-Haus sowie das Eisenwarengeschäft Höfmann – ausgelagert werden musste. In den darauffolgenden Tagen ging die Arbeit für die junge Frau und ihre Kollegen trotzdem weiter. „Der Kaufhof hatte Büroräume in einer Rechtsanwaltskanzlei gegenüber angemietet, die vom Angriff verschont geblieben war.“ Stück für Stück wurde alles wieder aufgebaut, „die Frauen klopften Steine“.
Bereits einen Monat nach dem Bombenangriff konnte in den beiden provisorischen Ladenlokalen des Unternehmens der Verkauf wieder aufgenommen werden. Erst einige Jahre später, 1953, zog der Kaufhof dann in den modern ausgestatteten Neubau an der Friedrich-Ebert-Straße.