Mülheim.
Verliert das Stadtteilzentrum Saarn bald seinen letzten größeren Lebensmittel-Einzelhändler? Sorgen um die fußläufig zu erledigende Nahversorgung machen sich ältere Bürger, auch die Werbegemeinschaft, seitdem bekannt ist, dass Tengelmann im Saarncenter nicht mehr glücklich ist und eine Standortverlagerung ins Auge gefasst hat.
Mietvertrag läuft August 2014 aus
Der Mietvertrag zwischen der SWB als Eigentümerin des Saarncenters an der Düsseldorfer Straße und Tengelmann läuft zum 31. August 2014 aus. Auf 1150 m2 Verkaufsfläche bringt es Tengelmann dort. „Wir hätten gerne 1500 m2“, sagt Unternehmenssprecherin Jutta Tappe. Die Expansionsabteilung des Unternehmens sieht wenig Zukunft im Saarncenter. Eine modernere Filiale soll es sein, mit großzügigerer Warenpräsentation und besserer Verkehrsanbindung; sprich: Tengelmann möchte besser sichtbar sein von der Straße aus, auch die derzeitige Parkplatzsituation wird bemängelt.
Tengelmann denkt intensiv über eine Standortverlagerung nach. Tappe bestätigte, dass das Unternehmen über den Kauf von Grundstücken ein paar hundert Meter weiter Richtung Aldi-Europazentrale verhandelt. „Quasi um die Ecke“ sei das ja nur, beteuert Tappe, dass man keineswegs vorhabe, Saarn den Rücken zu kehren. Aber es wäre doch eine Verlagerung, die den verkehrsberuhigten Bereich der Düsseldorfer um seinen letzten größeren Supermarkt brächte. Vier Grundstücke gegenüber der alten Lederfabrik Möhlenbeck soll Tengelmann im Auge haben, um sie im Paket zu entwickeln, darunter ein Grundstück, auf dem zurzeit Gebrauchtwagen gehandelt werden.
Grundstücke sind gegen Ansiedlung von Einzelhandel geschützt
Ob daraus was wird, muss derzeit allerdings als völlig offen gelten. Die Grundstücke liegen außerhalb des von der Stadt eingegrenzten Stadtteilzentrums und sind deshalb per Festsetzungen im Bebauungsplan gegen eine weitere Ansiedlung von großflächigem Einzelhandel geschützt. Die Stadt hatte es einst versäumt, zum Schutz der Einkaufsmeile im Dorf Saarn rechtzeitig andere Ansiedlungen in der Peripherie zu verhindern (Aldi, Lidl, zwei Getränkemärkte). Tengelmann muss für die Verwirklichung seines Ziels auf die Stadtpolitik setzen. Sie müsste den Bebauungsplan und den „Masterplan Zentren und Einzelhandel“ entsprechend aufweichen.
Zumindest der Masterplan wird schon bald Thema auf der politischen Agenda sein. Ihn gilt es laut Planungsamtsleiter Martin Harter zu aktualisieren. Dabei macht Harter klar, dass sein Amt für Saarn keine Erweiterung des Stadtteilzentrums über das Saarncenter hinaus wünscht. Der Einkaufsbereich für Saarn würde dadurch zu groß, eine Zentren-Ausweitung würde das Ziel einer fußläufigen Nahversorgung konterkarieren. Man wolle keinen „reinen Kofferraum-Einkauf“.
Aktualisierter „Masterplan Zentren und Einzelhandel“
Den Entwurf für einen aktualisierten „Masterplan Zentren und Einzelhandel“ hat das Planungsamt laut dessen Leiter Martin Harter bereits erarbeitet. Der Masterplan legt die Einzelhandelsbereiche für die Innenstadt und die Nebenzentren in den Stadtteilen fest. Dabei sollen dem Handel auch Entwicklungspotenziale aufgezeigt werden.In vier Terminen, so Harter, wird die Verwaltung ihren Entwurf nun mit Einzelhandelsverband, Wirtschaftsförderung und IHK im Konsultationskreis Einzelhandel diskutieren. Im nächsten Jahr will sich das Planungsamt mit einem Entwurf schließlich der politischen Debatte stellen.
Als Reaktion auf das Bekanntwerden der Tengelmann-Pläne kündigte Roswitha Passmann vom „Netzwerk Saarn 50+“ unlängst einen Brief an die Unternehmensleitung des Handelskonzerns an. „Wir werden Tengelmann bitten, im Dorf Saarn zu bleiben, denn viele ältere Menschen sind auf Tengelmann angewiesen.“ Man sorge sich insbesondere um die Nahversorgung für die Menschen, die rund um das Kloster Saarn zu Hause sind, verwies Passmann auch auf den MWB-Neubau für eine Wohngemeinschaft älterer Menschen.
Auch Werbegemeinschaft fürchtet um die Nahversorgung
Auch die Werbegemeinschaft fürchtet um den Verlust der wesentlichen Nahversorgung im Dorfkern, wo sich zuletzt viele älter gewordene Mülheimer Eigentumswohnungen gekauft haben. „Alt-Saarner“, so Geschäftsführerin Margit Schettler, „finden das schon sehr nachteilig.“ Einfach zu Hause losmarschieren, vielleicht mit dem Handwagen, und die wichtigsten Besorgungen zu Fuß erledigen – das könne manchem wohl schwerfallen, wenn sich auch noch Tengelmann aus dem Kern des Stadtteils verabschiede.
Die Werbegemeinschaft weiß natürlich, dass sie den Lauf der Dinge kaum wird beeinflussen können. Der Verbraucher selbst trage auch sein Stück Verantwortung für die Entwicklung, so Schettler. „Viele haben eine nostalgische Anwandlung vom Tante-Emma-Laden, aber der kann einen Händler hier nicht ernähren.“ Das Mietpreisniveau sei für so etwas zu hoch. Die Verbraucher seien auch nicht bereit oder imstande, die nötigerweise höheren Warenpreise zu zahlen. Und, gibt Schettler zu bedenken: „Wer gibt sich denn noch zufrieden mit einer Auswahl von fünf Joghurtsorten?“
Für die Nahversorgung im Dorf will die Werbegemeinschaft was tun. So soll es ab März den Samstag als zweiten Markttag geben.
SWB hat Kampf noch nicht aufgegeben
Die SWB als Tengelmann-Vermieterin im Saarncenter hat den Kampf um den Verbleib des Lebensmittelmarktes noch nicht aufgegeben. SWB-Sprecherin Christina Holz sagte gestern auf Nachfrage, dass ihr Unternehmen mit Tengelmann Gespräche führe, unter welchen Voraussetzungen der Markt im Saarncenter längerfristig bleiben könne. Dabei dürfte es darum gehen, ob eine bauliche Erweiterung möglich ist, eventuell unter Einbezug des rückwärtig gelegenen leerstehenden Marktes im 1992 fertiggestellten Ensemble. Er beherbergte erst Aldi und zuletzt Penny. Aldi hat jenes Gebäude noch für Jahre gemietet. Das Gerücht, die SWB plane als Marktersatz Altenwohnungen im Saarncenter, wies Holz zurück. „Das entbehrt jeder Grundlage.“
Gefeilt wird derweil auch an einer Nachfolge für den Rewe-Markt, der Ende August auf dem ehemaligen Areal der Lederfabrik Möhlenbeck an der Düsseldorfer Straße geschlossen hat. Immobilienverwalterin Imoba bestätigte, dass es sowohl Interessenten aus dem Einzelhandel für die gesamte, aber auch für eine dreigeteilte Fläche gebe. Auf jeden Fall, so Geschäftsführer Theo Höckesfeld, komme nur eine Einzelhandelslösung am Standort in Frage. Eine Nutzung etwa als Lagerhalle bringe zu wenig Mieteinnahmen, um die Investition in den Umbau aus dem Jahr 1997 zu refinanzieren.
Einzelhändler prophezeien den Niedergang
Einzelhändler Heinz-Wilhelm Paschmann (Edeka) prophezeit der Einkaufsmeile im Dorf Saarn den Niedergang, sollte Tengelmann als letzter Nahversorger aus dem Ortskern verschwinden. Der Stadtplanung wirft Paschmann vor, nicht dafür gesorgt zu haben, dass es direkt im Stadtteilzentrum einen Baugrund für großflächigen Lebensmittelhandel gegeben hat. „Es war ein Riesenfehler, den kurzfristigen Bedarf zu weit weg vom Ort zuzulassen“, sagt er.
Aldi, Lidl, einst Rewe, dazu zwei Getränkemärkte – all die Ansiedlungen im entlegenen Umfeld von Dorf Saarn kosteten dem Stadtteilzentrum lebenswichtige Frequenz, so Paschmann, der dabei nicht verschweigt, selbst Interesse am heutigen Lidl-Standort gehabt zu haben. Nur: Seine Flächenwünsche waren nicht mit den Vorgaben des Landes vereinbar, die eines Discounters schon. Für dessen Sortimentsbreite reichen die erlaubten 800 m2 Verkaufsfläche aus. Ein Vollsortimenter wie Edeka brauche für ein modernes Warenangebot mindestens 20- bis 25 000 Artikel im Sortiment – und dafür eine Fläche von rund 2000 m2.
Wiederholte Klage
Paschmann wiederholt aus aktuellem Anlass seine Klage darüber, dass die Stadt einst Bellscheidts Wiesen im Kern von Saarn nicht für den Bau eines Lebensmittelmarktes vorgesehen, dort statt dessen hochwertiges Wohnen favorisiert habe. Ein Stadtteilzentrum ohne Nahversorger für den kurzfristigen Bedarf, das könne nicht gutgehen.
Paschmann selbst betreibt auf der Saarner Kuppe einen Markt, der auch nur 1250 m2 groß ist und trotz Zumietung laut Paschmann zu wenige Parkplätze bereithält. Weil eine Erweiterung unmöglich ist, hat er für den modernisierten Markt zuletzt nur noch einen Fünf-Jahres-Vertrag abgeschlossen.