Mülheim. . In Mülheim gewinnen Discounter weiter Marktanteile. Das ärgert Edeka-Betreiber Heinz Wilhelm Paschmann - er sieht auch die Politik in der Verantwortung. Es fehle ein gerichtsfestes Konzept zu Gunsten der Nahversorgung in Ortszentren.

Entgegen dem von der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) festgestellten bundesweiten Trend, dass das Wachstum der Lebensmittel-Discounter gestoppt ist, zeigt sich in Mülheim, dass Discounter weiter Marktanteile gewinnen.

Mülheim ist Discounter-Stadt. Die Stadtplanung hat dazu ihren gehörigen Beitrag geleistet. Es mangelt weiter an einem tauglichen Einzelhandelskonzept, das den gestiegenen Ansprüchen der Verbraucher an Auswahl, Service und Qualität Raum verschafft.

Aktuell halten die großen Marken-Spieler in Mülheim 51 Märkte offen. Mehr als die Hälfte davon, nämlich 31, verteilen sich auf die Discounter Netto, Aldi, Lidl und Penny. Alsbald werden zwei weitere Lidl-Märkte hinzukommen, an der Düsseldorfer und an der Essener Straße.

Konzept zur Nahversorgung fehlt

Ein Umstand, der Heinz Wilhelm Paschmann nicht glücklich macht. Der Unternehmer betreibt in Mülheim fünf Edeka-Märkte, gerne würde er vorhandene erweitern, auch neue eröffnen. Nur: Ein neuer, modernen Maßstäben genügender Edeka-Markt mit 42 000 Artikeln im Vollsortiment wie der an der Mellinghofer Straße braucht Platz. „Ein Vollsortimenter“, sagt Paschmann, „kann heute unter 2000 m2 nicht mehr rentabel geführt werden.“

Die 2000 m2 bekommt Paschmann aber nirgends genehmigt. Grund ist ein Paragraf der Baunutzungsverordnung, der großflächigen Lebensmittel-Einzelhandel nur in deklarierten Kern- und Sondergebieten erlaubt. In Mülheims engen Handelskernen ist kein Platz ausgewiesen, im nahen (Wohn-)Umfeld sind nur Ladenflächen mit bis zu maximal 800 m2 zulässig.

Ein Dilemma, das seit Jahren, weil Mülheims Politik der Stadt kein gerichtsfestes Konzept zu Gunsten der Nahversorgung in Ortszentren verpasst hat, seine Kreise zieht. Etwa um die Innenstadt herum. Wie ein Gürtel haben sich Discounter um den City-Kern gelegt. Lidl an der Aktien-, Aldi an der Uhlandstraße, hinter dem Forum ein Netto, an der Kaiserstraße Netto und Aldi im Doppel.

"Discounter haben zum Niedergang der Kaufhäuser geführt"

Paschmann sieht damit die City zugeschnürt. Die Discounter-Dichte im Umfeld führe dazu, dass „die Leute für ihren kurzfristigen Bedarf nicht mehr in die Innenstadt müssen“. Den Händlern sei so die Kundschaft weggebrochen – mit bekannten Folgen. „Die Discounter“, so Paschmann, „haben auch zum Niedergang der Kaufhäuser geführt.“ Für ihr schmales Sortiment bräuchten Aldi und Co. nicht die vollen 800 m2, die genehmigt werden. So bleibe eine üppige Restfläche für wechselnde Angebote des mittelfristigen Bedarfs, die eigentlich den Nahversorgungszentren vorbehalten sein sollten.

„Wenn Aldi eine Bohrmaschine verkauft, dann kann ich meine Bohrmaschinen für Monate zurück ins Lager räumen“, soll ein Mülheimer Baumarktbetreiber mal gesagt haben. Die Discounter-Aktionsangebote treffen Modehändler in der City, Schreibwarengeschäfte und andere. Heute machten die Aktionswaren bei Discountern 25 bis gar 35 % des Umsatzes aus, sagt Paschmann. Den Umsatz, den die besagten Betriebe am Innenstadt-Gürtel machten, seien Verluste für die City.

Auf diese Weise nähmen Nahversorgungszentren Schaden. „Durch die falsche Ansiedlungspolitik, die die Stadt zulässt, sind auch falsche Impulse gesetzt. Mit Sorge blickt er nach Saarn. „Man ist dabei, das Dorf kaputtzumachen“, bewertet Paschmann die Genehmigung der in der Peripherie gelegenen Märkte von Aldi und bald auch Lidl äußerst kritisch.

Lange Liste von Fehlentwicklungen im Handel

Früher gab es im Dorfkern Coop und Edeka, heute spielt sich der Lebensmittelhandel vor den Toren der Saarner Ortsmitte ab, wo auch Rewe, Penny und Tengelmann sitzen. Das könne trotz noch stabiler Stammkundschaft nicht gutgehen, es werde Kaufkraft abgezogen. Die Politik habe dem Dorf Saarn einen Bärendienst erwiesen, als sie die an der Düsseldorfer Straße gelegenen Bellscheidts Wiesen seinerzeit für gehobene Wohnbebauung statt für einen großflächigen Supermarkt freigegeben habe.

Paschmanns Aufzählung von Fehlentwicklungen im Handel ist lang. Beim Heifeskamp habe die Politik mehr die „Dollarzeichen“ beim Verkauf des städtischen Grundstückes im Auge gehabt als die Schädlichkeit für die Nahversorgung in Styrum und an der Oberheidstraße in Dümpten, sogar für die Innenstadt. Speldorf bräuchte dringend einen Vollsortimenter im Zentrum, „um einen Lauf zu bekommen“. Stattdessen habe die Stadt Ansiedlungen am Hafen ermöglicht und in einem ehemaligen Gartencenter abseits des eigentlichen Ortskerns (Rewe).

Für Mülheim hat sich laut Paschmann zum „großen Nachteil“ entwickelt, dass die Stadt anders als etwa Duisburg bislang keinen funktionskräftigen Masterplan für den Einzelhandel auf die Beine gestellt habe, der klar regele, an welchen Stellen im Stadtgebiet welche Form von (Lebensmittel-)Einzelhandel möglich ist. Ohne Masterplan keine Handhabe gegen den Discounter-Boom an der Peripherie, mit Discounter-Boom ungesunde Entwicklungen in den Zentren.

Marktanforderungen für Vollsortimenter nicht erfüllt

Neue Handelszentren am Hafen und am Heifeskamp, so Paschmann, „hätte man nie zulassen dürfen. Da hat man sich in der Entwicklung völlig verzettelt.“ Mit Rhein-Ruhr-Zentrum und City habe Mülheim nun vier Zentren – dabei sei „die Innenstadt schwächstes Glied, weil es dort zu wenig kostenlose Parkplätze gibt“.

Paschmann ist bedient. Er hat(te) Interesse, sich im Speldorfer Depot anzusiedeln, seine Märkte in der Broicher Mitte, an der Oberheidstraße, in Dümpten und auf der Saarner Kuppe müssten aus seiner Sicht eine Erweiterung erfahren, um den Marktanforderungen an moderne Vollsortimenter zu erfüllen. Letztgenannten Markt an der Luxemburger Allee sieht er dazu wegen zu geringer Parkmöglichkeiten im klaren Nachteil gegenüber der relativ jungen Discount-Konkurrenz von Netto an der Kölner Straße.

Erst jetzt nimmt die Stadt(politik) einen neuen Anlauf für einen Masterplan Einzelhandel. Zu spät? Paschmann jedenfalls ist skeptisch. Er fragt sich: Ist mittlerweile überhaupt noch Platz für einen Vollsortimenter? Bei der Dichte an Discountern?

Planungsamtschef Martin Harter jedenfalls kündigt Entgegenkommen für Vollsortimenter wie Rewe, Edeka und Tengelmann an. Es sei richtig, dass man in der Vergangenheit in den Nahversorgungszentren zu wenig Raum gelassen habe für Neuansiedlungen. Im Masterplan müsse an die Zentren deshalb „ein bisschen mehr Fleisch dran“. Ziel der Planung jedenfalls sei, eine fußläufige Versorgung mit täglichen Bedarfsgütern sicherzustellen. Denn, so Harter: Der Einzelhandel werde möglicherweise wieder in die Zentren drängen, um darauf zu reagieren, dass im Alter die Mobilität eingeschränkt sei.