Mülheim. .
Andrea muss sich beeilen, wenn sie noch schnell die schöne Bluse in der Saarner Boutique kaufen will. 50 Euro soll diese kosten, aber Andrea kann sich das bei 36.000 Euro Brutto-Jahresgehalt leisten. Viel Zeit hat die 45-Jährige nicht, denn sie hat ihrem Sohn Jan versprochen, ihn vom Fußballtraining abzuholen.
Kommt Ihnen Andrea bekannt vor? Niemand ist mehr Mülheimerin als sie. Aber Sie können sie gar nicht kennen, denn sie existiert nur auf dem Papier. Sie ist eine Geburt der Statistik, sie ist die Durchschnittsmülheimerin, mit dem häufigsten Namen, dem durchschnittlichen Einkommen und dem Durschnittsalter. Auf Andrea trifft man im echten Leben nicht.
Hohe Kinderarmut
Die meisten Mülheimer sind in der Realität weit entfernt vom Durchschnitt. Entweder geht es ihnen viel besser oder viel schlechter als Andrea: „Mülheim ist die gespaltenste Stadt im Ruhrgebiet“, sagt Volker Kersting vom Referat für Stadtforschung und Statistik der Stadt. In keiner anderen Kommune gibt es derart große Unterschiede zwischen einzelnen Stadtbezirken. Mülheim ist zwar die Stadt in NRW mit den meisten Millionären hinter Düsseldorf, hat aber auch eine im Landesvergleich überdurchschnittlich hohe Kinderarmut (22 Prozent unter 15-Jährigen beziehen Sozialgeld, NRW-Durchschnitt: 17,6 %).
Die Grenze zwischen Arm und Reich, sie verläuft in Mülheim entlang der Ruhr zwischen A40 und Schloßbrücke. In den Bezirken Stadtmitte, Eppinghofen, Dümpten und Styrum leben teilweise mehr als die Hälfte der Kinder von staatlichen Leistungen. Die Kinderarmut in diesen Stadtteilen geht einher mit hoher Bildungsarmut. In Styrum, Eppinghofen und Stadtmitte startet jedes zweite Kind mit mangelhaften Deutschkenntnissen in die Grundschule, während in Saarn nicht mal jedes zehnte Kind Probleme mit der deutschen Sprache hat.
Seit Jahren werden Sportgutscheine verteilt
Die mangelhafte Bildung wiederum gehe oft einher mit fehlender Bewegung und Übergewicht. In Menden und Ickten sind weniger als sechs Prozent der Erstklässler übergewichtig, in Eppinghofen-West bringt jeder fünfte Schüler bei der Eingangsuntersuchung zur Grundschule zu viele Kilos auf die Waage.
Damit es künftig weniger werden teilt die Stadt seit drei Jahren Sportgutscheine aus. „Die Zahlen zeigen, dass Kinder, die Sport treiben, auch bessere schulische Leistungen aufweisen“, sagt Kersting. Ist das Kind beim der Schuleingangstest zum Grundschulstart in keinem Sportverein, bietet der Arzt, der die Schuleingangsunterschung durchführt, den Eltern einen Sportgutschein an. Mit dem Gutschein ist das erste Jahr im Sportverein beitragsfrei. „Wir wissen, dass viele Kinder den Sportgutschein in Anspruch nehmen“, sagt Kersting. Ob sie nach dem beitragsfreien Jahr im Verein bleiben, dazu hat er noch keine Zahlen. „Wir hoffen auf Klebeeffekte“, sagt er.