Mülheim. .

In unserer globalisierten Welt nimmt das Leben manchmal gar groteske Züge an: Im Supermarkt stehen wir vor über 40 Sorten Ketchup und auch die Vielzahl anderer Produkte ist nahezu erschlagend, darunter allein Hunderte verschiedene Wurstarten. Und es wird fleißig weggeworfen: Pro Kopf landen in Deutschland über 80 Kilo Lebensmittel jährlich auf dem Müll: 170 000 Lkw-Ladungen allein aus privaten Haushalten – teils noch in Originalverpackung.

Das krasse Gegenteil sind zunehmend mehr bedürftige Menschen, die in Abfall-Containern fischen. Mal ganz zu schweigen von denen, die am anderen Ende der Lebensmittelkette dieser Welt verhungern. Ein Schlaraffenland, das auch in Mülheim einen bitteren Beigeschmack bekommt. Das gravierende Problem: Ständig mehr bedürftige Menschen stehen der schrumpfenden Menge an Lebensmitteln gegenüber, die bei der Mülheimer Tafel eintreffen. Hier geht es jetzt nicht zuletzt um Wurst. Vor dem Winter bekommen die Verantwortlichen beim Diakoniewerk Arbeit & Kultur „kalte Füße“ und schlagen Alarm.

Menschenschlange

Fest steht die Menschenschlange an diesem Vormittag an der Georgstraße und wartet, dass die Ausgabestellen öffnen. Die Mitarbeiter in den weißen Kitteln stehen vor fast leeren Regalen. Bis auf die Brotecke sieht es mau aus. Besonders eisig ist die Lage in der Kühltheke. Ein paar Päckchen Mozzarella liegen unten, ganz oben Sahneschnittchen von gestern. Dazwischen: nichts.

Es gibt ein bisschen Grünzeug und fünf Baby-Ananas von höchstem Reifegrad. Eine einzige Packung Wurst ist hereingekommen. Der erste in der Schlange wird sie bekommen, die anderen 99 gehen leer aus. „Wenn nur einer mit der Wurst loszieht, dann ist das ungerecht“, findet Anke Werner, stellvertretende Geschäftsführerin. Zum Hunger kommt die Wut im Bauch. Und die kriegen die Mitarbeiter an der Ausgabe ab. „Für sie ist es täglich eine Herausforderung, mit dem Unmut der Leute umgehen zu müssen.“

Frische Sachen: Mangelware

Einzig die Brotregale sind noch gut gefüllt. Es mangelt besonders an frischen Lebensmitteln: Milch, Joghurt, Käse, Wurst, Obst und und und. „Dabei“, sagt Anke Werner „ist heute noch nicht einmal der schlechteste Tag“. Jedenfalls sieht es vor Verteilung der Lebensmittel in den Regalen so aus, als wären alle schon dagewesen.

Die Mülheimer Tafel wird durch Geld- und Sachspenden von Bäckereien, Lebensmittelhändlern und Herstellern, Supermärkten sowie einzelnen Aktionen von Privatpersonen, Kirchengemeinden und Organisationen unterstützt. „Obwohl im Prinzip alle Anbieter dabei sind“, so Werner würden die Waren immer weniger. „Und das geht schon seit geraumer Zeit so.“ Früher war das mal anders, die Saison der vollen Regale scheint vorbei. Kein Mülheimer Phänomen, sondern diese Tendenz an den Tafeln geht quer durch die ganze Republik, weiß Betriebsleiter Michael Farrenberg: „Das hat uns der Bundesverband schon vor Jahren mitgeteilt.“