Mülheim. .

Die NRW-Landesregierung hat gerade ein Gesetz zum präventiven, zum vorbeugenden Kinderschutz angekündigt. Damit will Familienministerin Ute Schäfer (SPD) die steigende Zahl von Fällen, in denen Kinder von den Jugendämtern aus den Familien genommen werden müssen, um sie zu schützen, stoppen.

Grundsätzlich begrüßen die Leiterin des Kommunalen Sozialen Dienstes (KSD), Martina Wilinski, und ihr Vorgesetzter, Sozialamtsleiter Klaus Konietzka, den Vorstoß aus Düsseldorf. Man sieht sich in Mülheim allerdings bereits gut aufgestellt. Frühe Hilfen von Anfang an – mit Schwangerenbetreuung und Besuchsservice für junge Mütter – gibt es hier ja schon. „Es kommt uns ja entgegen, wenn die Prävention auf eine gesetzliche Grundlage gestellt wird“, sagt Konietzka.

Frühes Erkennen einer Gefährdung des Kindeswohls

Denn seit Jahren sorgt ein präventives Netzwerk in Mülheim, geknüpft zwischen Sozialamt, Wohlfahrtsverbänden, Kitas, Schulen, Kinderärzten und vielen anderen Beteiligten für ein frühes Erkennen einer möglichen Kindeswohlgefährdung.

Tatsächlich sind die Zahlen von Inobhutnahmen, wenn die Behörde also Kinder zu ihrem Schutz aus ihren Familien nehmen muss, seit 2007/2008 in Mülheim kontinuierlich – bis 2010 – gesunken. Allerdings gibt es einen Anstieg um sieben Fälle seit 2010 von 28 auf 35 in 2011. „Das ist“, betont Klaus Konietzka, „für uns nicht erschreckend, sondern zeigt uns, dass unsere Präventionsketten greifen“. Ein rechnerischer Anstieg von 25 % klinge zwar erst einmal hoch – „absolut betrachtet ist es nicht viel“.

Ziel ist die Rückführung des Kindes

Nicht hinter jeder Inobhutnahme stecke eine tragische Geschichte, sagt Martina Wilinski und nennt ein Beispiel: Ein Jugendlicher will nach einem Diebstahl nicht mehr nach Hause und meldet sich beim Jugendamt. Das bringe ihn in einer Schutzstelle unter, „und dann wird zu Hause die Situation geklärt“. Ziel einer Inobhutnahme, so Wilinski, „ist immer auch die Rückführung des Kindes.“ Fünf Kinder/Jugendliche wünschten im Jahr 2010 selbst eine Inobhutnahme, zwölf waren es im vergangenen Jahr.

Weitaus höher lag die Zahl der Kinder, die wegen einer Gefährdung aus den Familien genommen wurden: 2010 waren es 23 Kinder, 2011 genau so viele. Die häufigsten Gründe: Vernachlässigung, Missbrauch, Misshandlung. Doch es ist nicht immer ein einziger Grund allein, betont KSD-Leiterin Martina Wilinski. Hinter Misshandlungen stecke immer auch eine Überforderungssituation der Eltern, materielle Armut gehe oft mit einer Art emotionaler Armut einher – „der Alltag ist aus den Fugen geraten“.

Probleme wachsen Familien über den Kopf

Klaus Konietzka spricht von „erschöpften Familien“, auf die viele Probleme auf einmal einstürmten: Geldsorgen, berufliche Probleme, Probleme in der Partnerschaft, mit der Erziehung und, und, und. Das wachse Familien über den Kopf, Leidtragende sind die Schwächsten in der Familie, die Kinder. Gute Erfahrungen hat das Sozialamt mit seiner ganzheitlichen Problemsicht gemacht. Anlaufstellen in den Stadtteilen, etwa in Styrum, bündeln Hilfen zur Arbeit, zum Lebensunterhalt, zur Erziehung, zur Beratung bei Trennung oder Schulden.

Jugendämter sind verpflichtet, Hinweisen auf die Gefährdung eines Kindes nachzugehen. „Die Bevölkerung ist da sensibler geworden“, sagt KSD-Leiterin Martina Wilinski. Nachbarn, Lehrer, Erzieherinnen oder Kinderärzte meldeten sich eher. Sicher trage auch die Berichterstattung über tragische Fälle dazu bei.

Seit 2008 sind die Meldungen an das Jugendamt, den Schutz von Kindern betreffend, kontinuierlich angestiegen. Waren es 2008 noch 100 Meldungen, denen die Mitarbeiter nachgingen, so waren es 2011 schon 215 und im laufenden Jahr (2012) bereits 133. Beispiel 2011: Von 215 Interventionen wurden in 27 Fällen konkrete Hilfen eingeleitet. Akute Gefährdungen lagen in 18 Fällen vor, wobei es 12 Inobhutnahmen gab und sechsmal das Gericht eingeschaltet wurde. In 75 Fällen wurde kein akuter Handlungsbedarf gesehen, 95 Mal eine Beratung eingeleitet.