Mülheim. .
Karin und Dieter Wallrafen sind erfahrene Reisende und haben schon viel von der Welt gesehen – Israel, Simbabwe, Burma oder Indien. Doch die Reise mit der Costa Concordia war die wohl kürzeste und dramatischste, die das Ehepaar aus der Heimaterde je unternommen hat.
Knapp zwei Tage waren sie nur unterwegs, aber die hatten es in sich: Sie verließen mit als letzte Passagiere das sinkende Unglücksschiff. Und kamen mit nichts außer ihren Bordkarten im Gepäck wieder zurück.
Vier Tage sind Karin und Dieter Wallrafen wieder zu Hause, doch zur Ruhe gekommen sind sie seitdem nicht. Die Bilder vom Untergang, die eigene Angst, der hohe Adrenalinpegel – die Bilder bleiben. „Aber es hilft, viel darüber zu sprechen“, sagen sie.
Freitag
17.30 Uhr: Die Wallrafens bringen ihr Gepäck in die Kabine im untersten Deck. „Danach sind wir gleich ins Restaurant auf Deck vier zum Abendessen gegangen.“
19 Uhr: Die Costa Concordia legt in Rom ab.
21.30 Uhr: Nach dem Essen geht es noch ins Theater des riesigen Kreuzfahrtschiffes. Eine Zaubershow, die Stimmung ist ausgelassen. „Schon nach einer Viertelstunde hörten wir ein Rumsen, eine Erschütterung, das Licht ging aus.“ So schlimm wird es nicht sein, sagen sie sich. Immerhin beruhigt eine Stimme aus dem Lautsprecher die Passagiere. Die Tür des Theaters geht auf, Leute mit Schwimmwesten stürmen herein. „Da wussten wir, dass es doch ernst ist.“
21.50 Uhr: Die Wallrafens bleiben ruhig, machen sich aber auf den Weg in ihre Kabine, um Schwimmwesten zu holen. „Da sahen wir, dass das Deck leichte Schieflage hatte.“ In ihrer Kabine hat sich der Teppich bereits mit Meerwasser voll gesogen, es ist dunkel. In der Eile nehmen Karin und Dieter Wallrafen ihre Jacken, Schwimmwesten und eine Taschenlampe und studieren schnell den Rettungsplan an der Zimmertür. „Die Rettungsübung war erst für den nächsten Tag angesagt, daher wussten wir ja nicht, wie wir zu den Rettungsbooten kommen.“ Es muss schnell gehen, denkt sich Dieter Wallrafen und handelt wie automatisch. Nichts wie raus aus der Kabine, das Wasser steigt.
Ca. 22 Uhr: Sie laufen die Treppen nach oben, zurück auf Deck vier. „15 Minuten lang standen wir vor den Rettungsbooten und durften nicht hinein.“ Die Wallrafens warten mit hunderten anderen Passagieren auf der Schiffsseite, die sich aus dem Wasser neigt. „Die Stimmung war zwar hektisch, aber noch nicht panisch.“
Ca. 22.10 Uhr: Endlich dürfen die Menschen in die Rettungsboote. „Etwa 150 saßen in unserem.“ Das Schiff neigt sich immer mehr zur Seite.
22.20 Uhr: Das voll besetzte Rettungsboot, in dem die Wallrafens sitzen, wird ausgefahren. Das Notsignal, sieben mal kurz, einmal lang, ertönt – viel zu spät. „Die Mannschaft bemühte sich, das volle Rettungsboot zu Wasser zu lassen, doch durch die starke Neigung der Concordia gelang ihnen das nicht richtig.“ Panik bricht aus. „Die Leute haben so laut geschrien, dass sich die Crew nicht mehr verständigen konnte.“ Die Wallrafens versuchen ruhig zu bleiben.
22.30 Uhr: Das Schiff hängt längst so schräg, dass das Rettungsboot nicht hinabgelassen werden kann – es verkeilt sich. „Die Crew handelte klug und schaukelte das Boot so, dass es gefährlich rumpelnd über die Bordwand schabte und ins Wasser platschte.“ Als eine der Letzten erreichen die Wallrafens das Ufer der Insel Giglio. Tausende Menschen warten dort bereits und beobachten das sinkende Schiff.
Samstag
1.30 Uhr: Das Schiff ist gekentert, die Eheleute in Sicherheit. „Wir setzten uns in eine Kirche, langsam kehrte Ruhe ein.“
8.30 Uhr: Mit einer anderen Fähre werden sie und die anderen Passagiere auf eine Nachbarinsel gebracht, die mit dem Festland verbunden ist. Ein erster Anruf bei der Familie. „Wir haben überlebt, mehr gab es nicht zu sagen.“ Sie werden registriert und gelangen mit dem Bus nach Rom.
12.30 Uhr: In der italienischen Hauptstadt nimmt sie ein deutscher Botschafter in Empfang. „Dann durften wir ins Flugzeug Richtung Düsseldorf.“
18 Uhr: Endlich zu Hause. Familie und Freunde nehmen die beiden glücklich in Empfang.
Lange werden die Wallrafens aber nicht in Mülheim bleiben. Denn die nächste Kreuzfahrt mit einem Schwesternschiff der Concordia steht bereits in zwei Wochen an. Die Reise haben sie bereits vor der Concordia gebucht. „Wir gehen an Bord“, sagt Dieter Wallrafen. Nicht nur wegen der Reisekosten, die sonst verloren gingen. Sondern, um das Erlebte besser zu bewältigen. „Wenn wir jetzt nicht wieder einsteigen, kommen wir vielleicht nie darüber hinweg.“