Giglio. Der Mitschnitt eines Telefonats belastet den Kapitän des havarierten Kreuzfahrtschiffs “Costa Concordia“. Demnach war er bereits von Bord des sinkenden Schiffs, als noch Hunderte Passagiere auf die Rettung warteten. Derweil wurde laut einem Medienbericht das erste deutsche Todesopfer im Wrack identifiziert.
Nach der Havarie des Kreuzfahrtschiffes "Costa Concordia" ist Medienberichten zufolge das erste deutsche Todesopfer identifiziert worden. Bei dem Toten handele es sich um einen Mann, der am Montag als sechstes Opfer geborgen worden sei, berichtete tagesschau.de unter Berufung auf den italienischen Staatsrundfunk RAI. Insgesamt zwölf Deutsche gelten als vermisst.
Kompromittierendes Telefonat belastet Kapitän der "Costa Concordia"
Im Zusammenhang mit der Havarie der "Costa Concordia" sind Mitschnitte von Telefonaten öffentlich geworden, die den Kapitän belasten. Die italienische Nachrichtenagentur Ansa veröffentlichte am Montagabend Zitate aus einem von den Blackboxen aufgezeichneten Telefonat zwischen Francesco Schettino und einem Offizier, der im Hafen der Insel Giglio Dienst hatte. Darin wird der schon kurz nach dem Unglück von Zeugen geäußerte Verdacht erhärtet, wonach der Kapitän früh von Bord gegangen war. Der Hafenmitarbeiter wies Schettino darin an, sich zurück auf das Schiff zu begeben.
Demnach erreichte der Offizier Schettino um 01.46 Uhr auf dem Handy, als noch hunderte Menschen an Bord des sich langsam zur Seite neigenden Schiffes waren. Darin forderte der Mitarbeiter des Hafens: "Jetzt begeben Sie sich zum Bug, Sie klettern die Rettungsleiter hoch und leiten die Evakuierung!" Der Offizier wurde im Verlauf des Telefonats immer ungehaltener. "Sie müssen uns sagen, wie viele Leute da noch sind, Kinder, Frauen, Passagiere, die genauen Zahlen in jeder Kategorie!", forderte er Schettino auf.
"Nein, nein, ich bin da"
"Was machen Sie? Geben Sie die Rettung auf?", fragte der Offizier. "Nein, nein, ich bin da, ich koordiniere die Rettung", antwortete Schettino, der von den Zeugen allerdings schon vor Mitternacht am Ufer gesehen wurde. Der Offizier sagte, es gebe "bereits Leichen". "Wie viele?", fragte Schettino zurück. Der Offizier darauf: "Das müssen doch Sie mir sagen! Was machen Sie? - Jetzt kehren Sie nach da oben zurück und sagen Sie uns, was wir machen können!"
Schon 01.42 Uhr sagte der Kapitän in einem anderen Telefonat mit der Hafenmeisterei: "Wir können nicht mehr an Bord des Schiffes gehen, weil es zur Heckseite kippt." Der Offizier fragte völlig überrascht: "Kommandant, haben Sie das Schiff verlassen?" Der Kapitän darauf: "Nein, nein, natürlich nicht!"
Offenbar keine siebte Leiche im "Costa Concordia"-Wrack geortet
Unterdessen dementierten Retter am Dienstag einen Zeitungsbericht in Italien, dass im Wrack des havarierten Kreuzfahrtschiffes ein weiteres Todesopfer geortet worden sein soll. Die Zahl der Toten liege weiterhin bei sechs, sagte ein Sprecher der Küstenwache am Dienstag. Auch die Feuerwehr wies den Bericht der italienischen Zeitung "La Stampa" zurück, wonach die Leiche in dem Wrack entdeckt, aber noch nicht geborgen worden sein soll.
Einer detaillierten Auflistung der Küstenwache zufolge werden nach dem Schiffsunglück vom Freitagabend folglich noch immer 29 Menschen vermisst. Darunter seien insgesamt 14 Deutsche, sechs Italiener, vier Franzosen, zwei US-Bürger sowie ein Ungar, ein Peruaner und ein Inder, sagte ein Sprecher. Die "Costa Concordia" war am Freitag vor der Küste der Insel Giglio auf einen Felsen aufgelaufen und dort havariert.
Kaum noch Hoffnung auf Überlebende
Das Kreuzfahrtschiff war am Freitag vor der westitalienischen Küste auf Grund gelaufen. Der Kapitän wurde in Untersuchungshaft genommen. Ihm wird vorgeworfen, absichtlich viel zu nah an der Insel Giglio entlanggefahren zu sein. Die Behörden hatten am Montag nur noch wenig Hoffnung, Überlebende zu finden. Alle über Wasser liegenden Bereiche des teilweise versunkenden Wracks seien durchsucht worden, teilte die Feuerwehr mit. Bislang wurden sechs Leichen geborgen.
Die Taucher am Wrack der havarierten "Costa Concordia" haben über Nacht ihre Suche nach den Vermissten unterbrochen. Die italienischen Spezialkräfte setzten ihre Arbeit am Montagabend vorübergehend aus, nachdem sie noch lange mit Scheinwerfern unter Wasser nach den Vermissten des Unglücks gesucht hatten. Die Feuerwehrleute, die ebenfalls am Wrack im Einsatz sind, wollten ihre Arbeit nach eigenen Angaben aber die Nacht hindurch fortsetzen.
Reederei distanziert sich von Kapitän
Vier Tage nach dem Schiffsunglück vor der toskanischen Küste haben sich die italienische Reederei Costa Crociere sowie deren Geschäftsführer in Hamburg vom Verhalten des Kapitäns deutlich distanziert. Mit einem eigenmächtigen und nicht genehmigten Manöver sei der Schiffsführer Francesco Schettino vom Kurs abgewichen. Das Kentern des Kreuzfahrtschiffes "Costa Concordia" mit etwa 4.200 Menschen an Bord sei somit auf menschliches Versagen zurückzuführen, sagte der Vorstandsvorsitzende Pier Luigi Foschi am Montag. Harsche Kritik am Verhalten des Kapitäns äußerte auch die Staatsanwaltschaft. Nach Angaben der Polizei wurden bis zum Montag zwölf Deutsche vermisst.
Bei der letzten Überprüfung der Technik und der Sicherheit des Schiffs im vergangenen Jahr habe es keine Beanstandungen gegeben, sagte Foschi. Die Routen der Schiffe des Unternehmens seien genau festgelegt, bei Abweichungen würden sofort Alarmsignale ertönen. Im Fall der "Costa Concordia" sei diese Route korrekt programmiert gewesen. "Die Tatsache, dass sie von diesem Kurs abwich, ist einzig auf ein Manöver des Kapitäns zurückzuführen", hieß es weiter. Die Kreuzfahrtgesellschaft habe von diesem nicht autorisierten Manöver keine Kenntnis gehabt.
Riskantes Manöver, um dem Chefkellner eine Freude zu machen?
Die Hauptsorge des Unternehmens sei nun die Sicherheit und das Wohlergehen der Passagiere und der Besatzung sowie sicherzustellen, dass kein Treibstoff aus dem Schiff in die Gewässer vor der toskanischen Insel Giglio auslaufe, sagte Foschi. Costa Crociere werde dem Kapitän mit juristischer Hilfe beistehen. Von dessen Verhalten distanziere sich das Unternehmen aber ausdrücklich.
Die italienische Staatsanwaltschaft kritisierte Kapitän Schettino indessen mit scharfen Worten. "Wir sind betroffen von der Skrupellosigkeit des waghalsigen Manövers", das zur Katastrophe geführt habe, sagte Staatsanwalt Francesco Verusio am Montag gegenüber Journalisten. Sein Verhalten sei "unentschuldbar". Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen fahrlässiger Tötung, vorzeitigem Verlassen des Schiffs sowie Herbeiführung von Schiffbruch gegen Schettino.
Laut Medienberichten in Italien, soll der Kapitän das riskante Manöver veranlasst haben, um dem Chefkellner an Bord eine Freude zu machen. Schettino habe das Schiff so nah an die Insel steuern lassen, um seinem Mitarbeiter die Möglichkeit zu geben, seine Familie auf der Insel zu grüßen.
Havarie könnte zu größtem Versucherungsschaden in der Seefahrtsgeschichte werden
Die Havarie des Kreuzfahrtschiffes könnte sich nach Einschätzung von Analysten und Branchenexperten zum größten Versicherungsschaden in der Seefahrtsgeschichte auswachsen. Die bisherigen Angaben der Versicherer deuteten auf eine Summe zwischen 500 Millionen und einer Milliarde Dollar hin, schrieb Expertin Joy Ferneyhough von der Bank Espirito Santo in London in einer Analyse. Ohne Einbeziehung der Inflation würde das den Anfangsschaden der Exxon-Valdez-Katastrophe in Alaska von 1989 übertreffen.
Industriekreisen zufolge war die "Costa Concordia" für 405 Millionen Euro (513 Millionen Dollar) versichert, darunter bei XL, RSA und Generali. Den weltweit drittgrößten Rückversicherer Hannover Rück kostet das Unglück mindestens zehn Millionen Euro. Auch die Allianz hat bestätigt, als Versicherer betroffen zu sein. Allerdings könnten die Untersuchungen Jahre dauern, um alle Haftungsansprüche zu befriedigen, erklärte der Konzern.
Wie stark die Versicherungsbranche am Ende von dem Unglück betroffen sein wird, lässt sich nach Einschätzung von Experten derzeit noch nicht sagen. Sollte etwa noch der Tank leckschlagen und Treibstoff ins Mittelmeer gelangen, dürfte die Rechnung zudem um ein Vielfaches größer ausfallen. (afp/rtr/dapd)