Giglio. Helfer durchsuchen alle 2000 Kabinen des gekenterten Kreuzfahrtschiffes. Bis jetzt wurden fünf Todesopfer geborgen. Staatsanwalt ermittelt gegen den Kapitän, der den Luxusliner auf einen Felsen manövrierte
Auch am zweiten Tag nach dem Kentern des Kreuzfahrtschiffes "Costa Concordia" vor der italienischen Westküste war das ganze Ausmaß der Katastrophe noch unklar. Fast 15 der mehr als 4000 Passagiere an Bord des Luxus-Liners galten am Sonntag noch als vermisst. Nach Angaben des Auswärtigen Amtes in Berlin sind darunter auch Deutsche. Mindestens fünf Menschen kamen ums Leben - zwei französische Urlauber, ein peruanisches Besatzungsmitglied, ein Italiener und ein Spanier. 70 Menschen wurden verletzt. Wie durch ein Wunder konnte in der Nacht zum Sonntag ein südkoreanisches Paar unverletzt gerettet werden. Die Hochzeitsreisenden hatten seit der Havarie am Freitagabend in der Kabine ausgeharrt. Auch ein Mitglied der Crew konnte am Sonntag gerettet werden. Die Einsatzkräfte hatten seine Rufe gehört und den Mann mit einem gebrochenen Bein per Hubschrauber von Bord holen können.
485 der insgesamt 4229 Passagiere waren nach Angaben des Deutschen Reiseverbands (DRV) Bundesbürger. Die Mehrheit der Urlauber stammte aus Italien. Doch auch Franzosen, Briten, Spanier und Amerikaner waren an Bord. Viele der Passagiere waren schon etwas älter. Auch viele Rollstuhlfahrer waren an Bord. Unter den Verletzten sind zehn Deutsche. Diese sollten noch im Laufe des Tages die Krankenhäuser verlassen, sagte eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes in Berlin. Der Verbleib einiger Deutscher sei aber nach wie vor ungeklärt, sagte sie.
Szenen wie auf der Titanic
Das 290 Meter lange Schiff war auf seiner ersten Etappe einer einwöchigen Kreuzfahrt, die unter anderem nach Barcelona und Mallorca führen sollte. Nur wenige Stunden nach dem Ablegen im Hafen Civitavecchia bei Rom lief es in ruhiger See auf einen Fels auf. Dadurch wurde der Rumpf aufgeschlitzt. Einströmendes Wasser brachte das Schiff zum Kentern. An der Stelle unweit vom Strand der Insel Giglio ist das Meer nur 15 bis 20 Meter tief. An Bord brach Panik aus. Menschen sprangen nach Augenzeugenberichten über Bord, andere lieferten sich einen Kampf um die Schwimmwesten. Die meisten Urlauber waren noch beim Abendessen, als das Schiff auf Grund lief. "Wir hörten ein lautes Rumpeln, Gläser und Teller fielen von den Tischen, das Schiff geriet in Seitenlage und die Lichter gingen aus", sagte Passagier Luciano Castro. "Was folgte, waren Panik-Szenen: Leute schrien, rannten wild umher. Neben uns brach eine Schwangere in Tränen aus und schrie panikartig."
Überlebende kritisierten die Besatzung. Sie hätten so gut wie keine Anweisungen vom Personal bekommen. Es habe lediglich den Hinweise gegeben, der Strom sei ausgefallen. Auch am Sonntag ragte das gekenterte Schiff noch halb aus dem Meer. Experten fürchten, dass das voll betankte Schiff seinen Treibstoff verlieren könnte. Zunächst gab es dafür aber keine Hinweise.
Alle Kabinen werden abgesucht
Die Suche nach den Vermissten ging auf Hochtouren weiter. Taucher suchten in eisigem Wasser die mehr als 2000 Kabinen einzeln ab.
Kreuzfahrten boomen
Kreuzfahrten erfreuen sich besonders bei deutschen Urlaubern immer größerer Beliebtheit - ein boomendes Geschäft für die Touristikindustrie. Der Urlaub auf dem Schiff ist nach Angaben des Deutschen Reiseverbands (DRV) das am schnellsten wachsende Segment der Branche. In der Bundesrepublik sehen die Anbieter noch besonders große Wachstumschancen, wie ein DRV-Sprecher am Samstag sagte.
Im Jahr 2010 verzeichneten die deutschen Anbieter allein bei Hochseekreuzfahrten ein Plus von 19 Prozent auf 1,2 Millionen Passagiere. Der Umsatz der deutschen Branche mit dem Urlaub auf hoher See wuchs 2010 um sieben Prozent auf mehr als zwei Milliarden Euro.
Zu den weltweit größten Kreuzfahrtanbietern zählt der US-Konzern Carnival , dessen italienisches Tochterunternehmen Costa Cruises das nun verunglückte Schiff "Costa Concordia" unterhält. Zu Carnival gehört auch der deutsche Marktführer Aida. Weitere große Anbieter in Deutschland sind Hapag Lloyd und TUI Cruises, ein Gemeinschaftsunternehmen des Reisekonzerns TUI und des in den USA ansässigen Branchenriesen Royal Caribbean. (rtr)
Die Ursache des Unglücks war weiter ungeklärt. Kapitän Francesco Schettino wurde festgenommen. Ihm wird nach Angaben der Polizei unter anderem fahrlässige Tötung vorgeworfen. Er verließ das Schiff nach der Katastrophe offiziellen Angaben zufolge zügig, noch bevor alle Menschen von Bord gebracht werden konnten. Ein Sprecher der Betreibergesellschaft Costa Crociere sagte, die "Costa Concordia" sei auf ihrer normalen Route unterwegs gewesen, als sie einen Felsen gerammt habe. Der Kapitän sagte in einem Fernsehinterview, der Felsen sei auf keiner Seekarte eingezeichnet gewesen. Einheimische betontenj dagegen, das Riff müsste erfahrenen Kapitänen bekannt gewesen sein. Schettino behauütet zudem: "Wir waren die letzten, die das Schiff verlassen haben", sagte er. Das war allerdings nicht der Fall. Ein französisches Paar, das in Marseille an Bord der "Costa Concordia" gegangen war, sagte, es habe den Kapitän in einem Rettungsboot gesehen - lange bevor alle Passagiere von Bord gewesen seien.
Der italienischen Nachrichtenagentur ANSA sagte Staatsanwalt Francesco Verusio, der Kapitän habe eine Route gewählt, die zu nah an der Küste verlaufen sei. Das bestätigten Augenzeugen auf der Insel Giglio. Sie erklärten, sie hätten das Schiff noch nie so nah an der Küste gesehen.
Die italienische Staatsanwaltschaft prüft, ob sie die Ermittlungen ausweitet. "Wir untersuchen, ob noch mehr Menschen zur Verantwortung gezogen werden müssen", so Verusio. "Die Befehlsstrukturen haben nicht so funktioniert, wie sie es hätten sollen."
Die 450 Millionen Euro teure "Costa Concordia" war 2005 in Dienst gesellt worden. Das Schiff ist unter anderem mit sieben Restaurants, einem großen Spa-Bereich sowie Bars, Kinos und Diskotheken ausgestattet. Es gehört über Costa Crociere zum Kreuzfahrtkonzerns Carnival . Das US-Unternehmen zählt zu den Branchenriesen und besitzt unter anderem auch den deutschen Marktführer Aida.