Mülheim. . Darf der Bürger nun entscheiden oder darf er nicht? Wie es derzeit um das Bürgerbegehren Bruchstraße steht.
Die Zeit hat beim Bürgerbegehren Bruchstraße schon immer eine große Rolle gespielt. So war es, als das Bündnis für Bildung über die Sommerferien Unterschriften sammeln musste, um die Einspruchsfrist nicht zu verpassen. So war es bei der Frage der Rechtsgrundlage für die Zulässigkeit - bei der die neue Gemeindeordnung angeblich 24 Stunden zu spät kommt. So wird es sein, wenn über Auswege nachgedacht wird, den Bürger doch noch an die Urnen zu rufen - weil bereits Anfang Februar die Anmeldungen fürs neue Schuljahr laufen und die Realität Politik und Justiz überholen könnte.
Daher gab es nur Stunden nach dem etwas überraschenden Plazet von Stadtdirektor Frank Steinfort einen Vorschlag, das Dilemma aufzulösen. SPD und MBI beantragten eine Sondersitzung des Rates Anfang Januar, damit die Stadtverordneten die Bürgerfrage zu ihrer machen und in einem Ratsbürgerentscheid doch noch rechtzeitig klären lassen können. Fast bittend erklärten die Fraktionsvorsitzenden Dieter Wiechering (SPD) und Lothar Reinhard (MBI), die Politik möge das Thema nicht Juristen und Gerichten überlassen.
40 Stimmen im Rat
Danach sieht es nicht aus. Für einen Ratsbürgerentscheid zum Erhalt des Schulstandortes in Eppinghofen bräuchte es eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Rat, also 40 Stimmen. Bei der eindeutigen Haltung der CDU, die von „Täuschung gutgläubiger Menschen“ (Fraktionschef Wolfgang Michels) spricht, wäre eine solche Entscheidung nur mit fünf Stimmen der FDP möglich. Doch die sagt nein. „Vor einigen Tagen war ich noch unsicher, ob man sich knallhart über 13 000 Bürger hinwegsetzen kann“, sagte Fraktionschef Peter Beitz.
Seitdem aber feststehe, dass es keine Unwissenheit war, die den Initiatoren zum Verhängnis geworden ist, sondern dass sie wider besseres Wissen gehandelt haben, hat er kein Mitleid mehr mit ihnen. SPD-Geschäftsführer Arno Klare habe den Rechtshinweis von Stadtdirektor Frank Steinfort auf eine mögliche Unzulässigkeit der Fragestellung ignoriert (die NRZ berichtete). Für Beitz ein „eiskaltes Kalkül“, um möglichst viele Unterschriften sammeln zu können. Jetzt will sich die FDP „nicht moralisch unter Druck setzen lassen“.
Votum wird mitgetragen
Steinfort wiederum verweist darauf, dass sein Votum, wie er sagt, „von der gesamten Verwaltungsspitze mitgetragen wird“, also auch von Oberbürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld (SPD). Er stützt seine Sicht auf drei Gesichtspunkte.
Erstens fehle der Hinweis darauf, dass ein erfolgreiches Begehren Auswirkungen auf andere Schulstandorte habe ja in der Tat und infiziere gleichsam das gesamte Anliegen, weil der Aufruf zur Unterschrift damit in Gänze manipulativen Charakter erhalte. Zweitens gelte nun mal, Stand heute Mittag zur Ratssitzung, die alte Gemeindeordnung - auch wenn der Landtag am Donnerstag eine neue, bürgerfreundlichere, längst beschlossen hat. Die Verkündung, die das Gesetz in Kraft setzt, komme eben selbst am Freitag zu spät, „das ist intertemporales Verfahrensrecht“. Und: Selbst wenn die neue Gemeindeordnung gegolten hätte, sieht Steinfort keinen Automatismus für eine Zulässigkeit des Begehrens: „Dann gäbe es da immer noch diesen Formulierungsfehler.“
Den bestreitet das Bündnis für Bildung und spricht von einer Selbstverständlichkeit statt einem Versäumnis: „Ein Händler hängt ja auch kein Plakat in sein Schaufenster, auf dem steht, ‘Wenn Sie diesen Computer kaufen, haben sie weniger Geld für andere Dinge des Lebens’.“ Argumente und Geld für eine Klage werden daher schon gesammelt. Und die hat Aussicht rechtzeitig, also vor den Schulanmeldungen, entschieden zu werden. „In solchen Fällen erkennen wir die Eilbedürftigkeit des Anliegens und urteilen in der Regel zügig“, sagte ein Sprecherin des zuständigen Verwaltungsgerichts in Düsseldorf auf Anfrage.
„Es ist pervers“
Voraussetzung für eine Klageanlass aber ist, dass der Rat heute die Unzulässigkeit feststellt. Der Grund: Nur dann ist das Begehren formal und sofort abgeschlossen. Das Bündnis könnte unverzüglich vor Gericht gehen. Das Problem: CDU und FDP werden für Unzulässigkeit stimmen, viele kleinere Fraktionen aber nicht. Stimmt die SPD nach ihrer Überzeugung, mithin für Zulässigkeit, erwiese sie dem Anliegen mithin einen Bärendienst. „Es ist pervers“, sagte Wiechering, „aber es kann sein, dass wir anders plädieren müssen. Manchmal ist Politik eine bittere Angelegenheit.“
Was Wiechering meint: Erkennt der Rat auf Zulässigkeit, müsste und würde OB Mühlenfeld den Beschluss einkassieren. Das aber geht nicht sofort. Die Bezirksregierung erhielte den Fall zur Vorlage und der Rat in einer Sondersitzung Gelegenheit, sich der Beanstandung zu beugen. Bis ein endgültiger, ablehnender Bescheid vorläge, vergingen Wochen und erst danach könnte überhaupt Klage eingereicht werden.
Der Antrag von SPD und MBI auf eine Sondersitzung zum Ratsbürgerentscheid - der die Frage des zulässigen Bürgerbegehrens obsolet machte - ist daher bewusst auf Januar gelegt worden. Die Überlegung dahinter: Bis dahin könnte ein Urteil des Verwaltungsgerichts vorliegen oder absehbar sein. Für alle, die heute noch diese Umweglösung zu einem Bürgervotum ablehnen, gäbe es dann eine „letzte Gelegenheit“, gesichtswahrend die Kurve zu kriegen.
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