Mülheim. .
„Prekär“ – das ist wohl das meist gebrauchte Wort, wenn es um die Situation der an den Rand der Gesellschaft gedrängten Menschen geht: Langzeitarbeitslose, Hartz IV- und Sozialhilfe-Empfänger, aber auch prekäre Beschäftigungsverhältnisse wie Ein-Euro-Jobber und die sogenannten Jobhopper, die täglich an mehreren Stellen arbeiten.
Und manchmal reicht es immer noch nicht zum Leben. Prekär, das heißt: misslich, schwierig, bedenklich. Misslich ist die Lage der Mülheimer, die täglich in Trauben vor dem Diakoniewerk „Arbeit & Kultur“ an der Georgstraße stehen und darauf warten, Essen an der Ausgabestelle der Mülheimer Tafel und Gebrauchsartikel zu erhaschen, die andere übrig lassen oder spenden.
Projekt läuft über drei Jahre
Hinter den Tresen der kleinen Läden, im Verkauf, in der Küche, der Schreinerei, in der Elektrowerkstatt und der Kleiderkammer sind andere beschäftigt: 70 Langzeitarbeitslose nehmen am Modellprojekt „Bürgerarbeit“ über einen Zeitraum von drei Jahren teil. Nicht wenige davon hatten nie eine wirkliche Chance. Wie der gelernte Elektriker Reiner Baumann (56), der immer bei kleinen Firmen je nach Auftragslage arbeitete, und irgendwann dann ganz ohne Job dastand.
Oder Kollege Andreas Sitarz (49), Vater von vier Kindern und ebenfalls ausgebildeter Elektriker, der vor acht Jahren mit der ganzen Familie aus Polen kam und bislang nicht richtig Fuß fasste. Erst gar keine Chance nach ihrer dreijährigen Ausbildung bekam die junge Beiköchin Lareen Buttgereit (26), die sich so sehr eine „normale Stelle“ in einer Großküche wünscht.
Bund trägt Hauptlast
Die Bürgerarbeit ist ein Modellprojekt des Bundesarbeitsministeriums, das im Juli 2010 startete. Der Bund zahlt der Stadt 1080 Euro pro Bürgerarbeiter, die Stadt bezahlt die Kosten für die Sozialversicherung.
Dortmund richtet zu den 400 Bürgerarbeitsplätzen 120 weitere ein. Bis zu 60 Langzeitarbeitslose will man so in feste Arbeit bringen, sagt Oliver Wozny vom Sozialamt.
Besseren Einstieg in Arbeitsmarkt ermöglichen
Sie alle sind freiwillig beim Projekt, „die meisten von ihnen waren schon in Programmen, die es vorher gegeben hat“, erläutert Ulrich Schreyer, Geschäftsführer vom Diakoniewerk „Arbeit & Kultur“. Eine Forderung seit langem: „Der Einstieg in den Arbeitsmarkt muss dauerangelegt und sozialversicherungspflichtig sein.“
Wenngleich das Modellprojekt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales darauf abzielt, Langzeitarbeitslose in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse zu bringen, könnte sich das aber als Mogelpackung erweisen. Denn es würde dabei „keine Arbeitslosenversicherung bezahlt“, betont Schreyer. Was nach drei Jahren und dem Auslaufen der Maßnahme bedeute, dass die Teilnehmer keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld hätten, sondern gleich wieder auf Hartz IV zurückfielen.
Arbeitslose aus der Statistik raus
Schon während der „Bürgerarbeit“ hätten die allermeisten mit monatlich 780 Euro Verdienst kaum mehr als Sozialhilfe. Sie bekämen weder Fahrtkosten noch Weihnachtsgeld, „da müssen wir gucken, dass wir das ein bisschen abfedern“. Unterm Strich: „Ein schlechtes Programm mit einer schlechten Ausstattung, aber es ist trotzdem gut, dass es dieses Programm gibt.“
Hartz IV - Fluch oder Segen?
Als Träger müsse das Diakoniewerk pro Stelle noch mehrere hundert Euro dazusteuern, wodurch der Bund Geld spare. Zudem würden zusätzlich europäische Mittel fließen. Und nicht zuletzt seien die Arbeitslosen aus der Statistik heraus. „Besser kann man es politisch nicht verpacken.“
Noch weniger Geld für die Arbeitsmarktpolitik
Als ein zusätzliches, ergänzendes Instrument sieht Sozialdezernent Ulrich Ernst das Projekt „Bürgerarbeit“. Schon vor Jahren habe die Diskussion in Mülheim begonnen, wie man Arbeit für die schaffen könne, die so schnell keine finden würden, und Instrumente entwickelt. Deutliche Veränderungen und Probleme sieht er da durch die gesetzlichen Veränderungen bei den Ein-Euro-Jobs auf die Stadt zukommen.
„Die Ein-Euro-Jobs können wir so nicht mehr umsetzen, weil der Bund einen Riegel vorgeschoben hat.“ Es werde noch weniger Geld für die Arbeitsmarktpolitik zur Verfügung stehen. Schon in diesem Jahr habe der Bund gespart und Kosten auf die Kommunen abgewälzt, so Ernst: „Im nächsten Jahr werden es noch einmal 12 Prozent weniger sein, um Menschen in Arbeit zu bringen.“