Mülheim. . Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist gerade für Menschen ein Drahtseilakt, die im Alltag auf sich alleine gestellt sind. Auch deshalb sind viele Alleinerziehende arbeitslos. Doch der Fachkräftemangel könnte dieser Gruppe neue Chancen eröffnen.

Im Juni waren in Mülheim 742 Alleinerziehende arbeitslos gemeldet. Nichts Neues: Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist gerade für jene Menschen ein Drahtseilakt, die bei der Bewältigung des Alltags auf sich alleine gestellt sind. Das weiß auch die Agentur für Arbeit. Doch sie sieht Hoffnung, begründet durch einen wachsenden Mangel an Fachkräften.

Ein Fakt: Der große Teil der arbeitslosen Alleinerziehenden (zu 93,7 % Frauen) wird nicht von der Agentur für Arbeit betreut, sondern von der Sozialagentur. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass es sich um ein verfestigtes Problem handelt. Die Sozialagentur betreut nur Menschen, die entweder noch nie Fuß gefasst haben am Arbeitsmarkt oder schon länger als ein Jahr lang ohne Job dastehen.

742 Betroffene in Mülheim. Bei aktuell 6850 offiziell genannten Arbeitslosen macht das einen Anteil von mehr als zehn Prozent – eine Angelegenheit, um die sich die Gesellschaft dringend kümmern muss, lange nicht entschieden gekümmert hat. Es gab ja genug andere Arbeitskräfte am Markt . . .

Chancengleichheit am Arbeitsmarkt

Marion Steinhoff, Beauftragte der örtlichen Arbeitsagentur für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt, sieht nun den Wendepunkt gekommen. Mache sich der Fachkräftemangel heute schon im produzierenden Gewerbe breit, sagt sie, werde er bald den Büro- und Dienstleistungsbereich, der klassischerweise mehr Berufe für Frauen biete, erreichen. Arbeitgeber könnten sich in zunehmendem Maße nicht mehr erlauben, das große Potenzial jobsuchender, meist gut ausgebildeter Alleinerziehender links liegen zu lassen. Das Stigma, es sei ein Risiko, eine alleinerziehende Person zu beschäftigen, sei ohnehin nicht stichhaltig. Wer zu Hause allein verantwortlich sei, bringe Organisationskraft und andere Fähigkeiten mit.

Hoffnung gibt also die viel beschworene Umkehr am Arbeitsmarkt: Nicht länger sollen Arbeitgeber sich die Rosinen herauspicken können, die demografische Entwicklung soll vielmehr die Arbeitnehmer in die angenehme Situation versetzen, den Arbeitgeber zu wählen, der die besten Bedingungen bietet. So die Theorie, die freilich noch von vielen, die im Berufsleben stehen oder auf Jobsuche sind, angezweifelt wird.

Für Steinhoff jedenfalls steht fest: Arbeitgeber, die künftig in noch ausreichender Zahl qualifizierte Mitarbeiter rekrutieren wollen, werden nicht umhin können, auch Alleinerziehenden ein attraktives Arbeitsumfeld zu bieten.

55 Prozent der Frauen arbeiten in Teilzeit

„Die Betriebe müssen flexiblere Arbeitszeitmodelle anbieten.“ Telearbeit zu Hause sei eine Möglichkeit, das Einrichten von Mutter-Kind-Büros oder die Beteiligung an Betreuungskosten. Und Betriebskindergärten seien im Kommen. In Oberhausen gebe es schon welche beim Energieversorger EVO, bei einem Bildungsträger und beim Fraunhofer Institut, in Kürze auch in Mülheim bei Siemens. Vielleicht könnten kleine Firmen künftig gar Betreuung bei größeren Unternehmen buchen.

„Das Merkmal Familienfreundlichkeit“, so Steinhoff, „spielt mittlerweile, sowohl für Frauen als auch für Männer, eine wichtige Rolle bei der Auswahl des Arbeitgebers.“ Da täten Firmen gut daran, „sich rechtzeitig aufzustellen“.

Natürlich müssen auch fernab der Betriebe ausreichend Betreuungsangebote vorhanden sein, um Alleinerziehenden eine Hürde zum (Wieder-)Einstieg ins Berufsleben zu nehmen.

Steinhoff sieht Mülheim da mit dem Ausbau der U3-Plätze und der Ganztagsschule „auf einem guten Weg“, obwohl noch einiges zu tun sei: Betreuungszeiten müssten flexibler zu buchen sein. Schließlich arbeiteten in Deutschland 55 % der Frauen in Teilzeit. In jedem Fall mangele es an Angeboten in Randzeiten. Beispiel Einzelhandel: Die Öffnungszeiten werden immer länger, wo aber soll eine Alleinerziehende nach 16 Uhr ihr Kind unterbringen? „Da gibt es nicht viel mehr als Tagesmütter“, so Marion Steinhoff, die sich ergänzend institutionelle, für Geringverdienende finanzierbare Angebote wünscht.

Auch Alleinerziehende, sagt die Beauftragte für Chancengleichheit, müssten ein Stück weit umdenken. Viele Bewerber suchten eine Beschäftigung täglich von 8 bis 12 Uhr. Dabei seien zwei volle Tage und ein halber leichter zu organisieren – und für Arbeitgeber attraktiver, weil so eine Vollzeitstelle mit zwei Personen besetzt werden könne.