Mülheim. . Seit genau 30 Jahren arbeitet Richard Grohsmann als Sozialpädagoge im Jugendzentrum Stadtmitte. Für ihn war das ein Grund zum Feiern, für uns ist es Anlass, mit dem 56-Jährigen zu reden: über die Jugend von heute und vieles mehr.

Als Sie 14 waren, gehörten Sie selber zu den Jungs, die das Jugendheim an der Georgstraße besuchten. Was haben Sie da gemacht?

Richard Grohsmann: Das Übliche: Freunde getroffen, Billard gespielt, gekickert. Aber das war alles nur vordergründig. In erster Linie wollten wir Mädchen treffen.

Und heute? Womit beschäftigen sich die 14-Jährigen im Jugendzentrum?

Grohsmann: Sie setzen sich gerne an den Computer und chatten. Aber aus pädagogischen Gründen haben wir das limitiert, auf 30 Minuten pro Person und Tag plus 30 Minuten Spielen an der Wii oder Playstation. Die Jugendlichen sollen sich auch mit echten Menschen auseinandersetzen und nicht nur vor der Kiste hocken.

Wie sieht der Anteil von Jungen und Mädchen aus?

Grohsmann: Das hat sich verschoben. Als ich 1981 anfing, kamen zu etwa 80 Prozent Jungen, und es herrschte eine traditionelle Rollenaufteilung. Die wenigen Mädchen waren Anhängsel und wurden untergebuttert. Heute ist das Verhältnis 60 zu 40, wir bieten sowohl Jungen- als auch Mädchengruppen an.

Vermutlich kamen in den 70er und 80er Jahren mehr deutsche Jugendliche, oder?

Grohsmann: Ja, das hat sich sich auch verändert: Mehr als 80 Prozent unserer Jugendlichen haben einen Migrationshintergrund. Das ist das Schöne an der Georgstraße: Bei uns ist die ganze Welt vertreten.

Das scheint Sie zu freuen.

Grohsmann: Ja, das finde ich toll. Es ist eine Bereicherung.

Erwachsene aus verschiedenen Kulturen bleiben gerne unter sich. Beobachten Sie das beim Nachwuchs auch?

Grohsmann: Überhaupt nicht. Wenn sich Kinder bei uns streiten, dann über banale Dinge: ,Der hat mir Spielzeug weggenommen’ oder ,Die ärgert mich immer’. Sie hören aber nie: ,Ich spiel nicht mit dem, weil er schwarz ist.’ Kinder haben keine Vorurteile, sondern die werden ihnen erst von Erwachsenen eingepflanzt.

Ihr Studium, Ihre Ausbildung liegt mehr als drei Jahrzehnte zurück. Ist vieles, was Sie damals über die Arbeit mit Jugendlichen gelernt haben, veraltet?

Grohsmann: Sagen wir es so: Wir bewegen uns an der Basis und bekommen viele Trends mit. In der offenen Kinder- und Jugendarbeit werden neue Methoden erfunden, um die sich später alle reißen.

Welche zum Beispiel?

Grohsmann: Generationenübergreifende Arbeit, Antigewalt-Training, Jungenarbeit. Alles Dinge, die wir schon seit Jahren machen.

Es heißt oft, die Jugendlichen hätten sich verändert. Sehen Sie das auch so?

Grohsmann: Ja, ganz gewaltig. Soll ich mit dem Positiven oder dem Negativen anfangen?

Wie Sie möchten?

Grohsmann: Jugendliche sind heute viel weltoffener, einerseits durch die Informationstechnik, aber auch durch Umgang mit Menschen aus anderen Kulturen.

Andererseits aber...

... gibt es bei gewaltsamen Auseinandersetzungen oft keine Hemmschwelle mehr. Früher war Schluss, wenn jemand am Boden lag und signalisierte, er will nicht mehr. Keinem wäre eingefallen, dann noch nachzutreten.

Haben Sie solche Fälle selbst schon erlebt?

Grohsmann: Nein. Bei uns im Jugendzentrum kamen Prügeleien früher sogar häufiger vor. Sie sind selten geworden. Insgesamt betrachtet nimmt die Gewalt jedoch an Härte zu. Aber die Gründe dafür möchte ja keiner hören.

Doch. Welche sind es?

Grohsmann: In vielen Familien müssen beide Eltern arbeiten, um den Lebensunterhalt zu verdienen. Keiner hat mehr Zeit, sich um die Kinder zu kümmern. Das geht durch alle Schichten.

Dennoch sind die Chancen extrem ungleich verteilt.

Grohsmann: Das liegt an unserem Schulsystem. Es hat handfeste Gründe, warum skandinavische Länder bei den Pisa-Studien weit vorne liegen. Dort wird keiner zurückgelassen, es gibt auch keine Sonderschulen. In Deutschland dagegen werden die Kinder schon früh aussortiert und auch Freundschaften nach vier Jahren Grundschulzeit auseinandergerissen. Manche bleiben auf der Strecke. Und wenn kein Geld z.B. für Nachhilfe da ist, sind die Kinder dazu verdammt, den selben Lebensweg zu gehen wie ihre Eltern.

Eine gerechtere Schule: Wie müsste die aussehen?

Grohsmann: Man müsste an der Gesamtschule Verbesserungen vornehmen. Leider hat man in Mülheim ja der Zukunftsschule den Todesstoß versetzt. Und jetzt steht auch die Hauptschule an der Bruchstraße zur Disposition, die mit dem Stadtteil eng verwoben ist.

Betrifft das auch Ihre Arbeit im Jugendzentrum?

Grohsmann: Sehr. Wir machen viele Projekte mit der Hauptschule gemeinsam, wenn es sie nicht mehr gibt, hinterlässt sie in Eppinghofen ein riesiges Loch. Da bricht etwas weg, was ganz zentral und wichtig ist. Ich hänge nicht an der Hauptschule, alle wissen, dass diese Form bald überholt sein wird, aber der Standort muss erhalten bleiben, egal, ob dort eine Gesamt- oder eine Gemeinschaftsschule hinkommt. Und noch etwas will ich loswerden.

Bitte ...

Grohsmann: Dass die Stadt das Grundstück offenbar verscherbeln will und der Gewinn wichtiger ist als die Jugendlichen in Eppinghofen, das ist ein Skandal.

Zur Person - verwurzelt in Eppinghofen

Richard Grohsmann (56) ist geboren und aufgewachsen in Eppinghofen, quasi in Nachbarschaft des Jugendheims an der Georgstraße, das bis 1981 eine städtische Einrichtung war, ehe es vom Verein Soziale Kinder- und Jugendarbeit e.V. übernommen wurde. Als Kind und Jugendlicher ging Grohsmann selber in dem Haus ein und aus. Auch während seines Sozialpädagogik-Studiums an der Fachhochschule in Düsseldorf zog er nicht aus Mülheim weg, sondern pendelte täglich. Im Juni 1981 begann er als Diplom-Sozialpädagoge am Jugendzentrum Stadtmitte, wo er zuvor bereits sein praktisches Anerkennungsjahr geleistet hatte. Im Sommer 1982 wurde Richard Grohsmann Leiter der Einrichtung, die sich unter www.skj-mh.de/stadtmitte ausführlich vorstellt.