Mülheim. . Auch wenn in Berlin höhere Hartz-IV-Sätze vereinbart wurden, sieht die Stadt noch erhebliche Defizite. Die Kommune befürchtet, auf den Kosten der Reform sitzen zu bleiben. Die Awo gibt zu bedenken, die Erhöhung seit laut Studien nicht groß genug.

Vorbei scheint das politische Geschachere um den Regelsatz für Bezieher von Hartz IV: Fünf Euro zusätzlich für das Haushaltssäckel sollen sie zunächst erhalten, weitere drei ab 2012. Hinzu wollen SPD und CDU ein 400 Millionen Euro großes Bildungspaket schnüren, von dem gerade arme Kinder profitieren sollen. Doch zwischen Bund und Kommunen könnte der Streit erst beginnen.

Kommune bleibe auf Kosten sitzen

Wenn auch in Mülheim noch nicht klar ist, wie viel Geld aus dem Kompromiss in der Ruhrstadt ankommt, der Protest regt sich bereits: „Die Städte mahnen an, dass die Einigung wieder einmal das Konnexitätsprinzip verletzt“, so Stadtsprecher Volker Wiebels. Obwohl der Bund sich bereit erklärt hat, ab 2013 die Grundsicherung zu übernehmen, bliebe Mülheim wie alle anderen Kommunen „auf einem Teil der Kosten sitzen“.

Dieser Teil könnte durch höhere Verwaltungs- bzw. Personalkosten entstehen, denn die Kommune soll die im Kompromiss vereinbarten Bildungsgutscheine selbst verwalten. Offen bleibt, wie viele von Hartz-IV betroffene Familien in Mülheim davon Gebrauch machen können. Sozialdezernent Ulrich Ernst und Sozialamtsleiter Klaus Konietzka waren für eine Stellungnahme bis Redaktionsschluss nicht zu erreichen.

Bildungsgutscheine nur bei Versetzungsgefahr?

Bedenken äußerten jedoch Wohlfahrtsverbände und Grüne gegenüber möglichen bürokratischen Hürden bei der Vergabe von Gutscheinen. Ingrid Tews, Vorstand des Kreisverbandes der Mülheimer Grünen, kritisiert, dass nur arme Kinder, die eine Versetzungsgefährdung nachweisen können, Nachhilfe bekämen, „das ist bereits zu spät“. Von der Höhe des Gutscheins sei zudem höchstens eine Vereinsmitgliedschaft bezahlbar, so Tews: „Wir sollten Ganztagsschulen besser ausstatten, um bildungsschwache Kinder zu stärken.“

Auch Awo-Geschäftsführer Lothar Fink begrüßt zwar die Einigung: „Endlich, nachdem das Verfassungsgericht schon vor einem Jahr die Hartz-IV-Sätze als verfassungswidrig eingestuft hat.“ Richtig findet der Awo-Geschäftsführer, dass man die Diskussion in den Zusammenhang mit Mindestlöhnen bzw. Geringverdienern und Aufstockern gestellt habe. Denn häufig seien die Einkommensgrenzen zwischen diesen Gruppen fließend. Die Politik habe nun wohl gemerkt, glaubt Fink, dass das Zögern den Betroffenen, aber auch allen Parteien geschadet hat.

Nicht mehr als ein Schritt in die richtige Richtung

Doch mehr als ein Schritt in die richtige Richtung sei diese Einigung nicht: „Für eine Familie bedeuten fünf Euro mehr gerade einmal ein einfaches Mittagessen bzw. etwas mehr Kaufkraft im Portmonee.“ Eine Studie u.a. der Diakonie Rheinland Westfalen Lippe geht um eine Erhöhung von 69 Euro mehr im Monat aus, die notwendig wären. Fink wägt jedoch ab: „Man muss einerseits fragen, inwieweit es motiviert, wenn die Regelsätze hoch sind. Andererseits sollen Menschen, die auf Hartz IV angewiesen sind, auch davon leben können.“

Fünf Euro mehr in der Börse, dafür aber weniger Geld in der Kommune für Weiterbildungsmaßnahmen und Ein-Euro-Jobs – wie passt das in das System von Fördern und Fordern? „Ich bin kein Fan von Ein-Euro-Jobs“, sagt Fink, vielleicht helfe es, Langzeitarbeitslose wieder für eine geregelte Arbeit zu motivieren, „in der Fläche sind sie nicht das richtige Instrument.“

Der jetzige Kompromiss könne allerdings für sozialen Sprengstoff sorgen, wenn er aus der Arbeitslosenversicherung bezahlt werden soll, warnt Fink: „Dann geht er auf Kosten von Integrations- und Bildungsmaßnahmen. Man muss aber auch etwas für die Leute tun, die gerade keine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben.“