Mülheim. Der Glasfaser-Ausbau in Mülheim scheint just voranzukommen. Dabei wird jedoch viel versprochen. Worauf bei Vorverträgen zu achten ist.
In Holthausen wird gerade mächtig gebaggert, in Saarn, in der Innenstadt - auch sprichwörtlich: Vor der Tür reißen nur wenige Unternehmen den Bordstein auf, um Glasfaser zu verlegen, an der Tür aber wird um umso mehr um Unterschriften für Vorverträge gebuhlt. Nicht selten mit Versprechen auf sensationelle Kostenersparnisse - wenn man „jetzt gleich“ zuschlägt. Doch sollte man Vorverträge schließen? Steht man bald ohne Internet da, wenn man nicht unterschreibt? Bis wohin wird Glasfaser verlegt? Wir haben die Verbraucherzentrale Mülheim und Experten gefragt.
„Die Entscheidung ist für Verbraucherinnen und Verbraucher aktuell nicht einfach“, sagt Christiane Lersch, Leiterin der Mülheimer Verbraucherzentrale. Zwar seien gleich vier Anbieter - Eon, Telekom, Medl und Ruhrfibre - in der Stadt, die einen Glasfaseranschluss anbieten. Die meisten aber werben bislang mit sogenannten Vorverträgen oder „Bestellungen“.
Die Ausbausituation in Mülheim: unübersichtlich bis chaotisch
Wer aber gerade wo in der Stadt ausbaut oder in Kürze ausbauen wird, ist kaum zu durchschauen. Ruhrfibre - von der Stadt Ende 2023 noch als wichtiger Spieler für den Ausbau gelobt - ist noch immer in der Planung und kann weder Stadtgebiete noch einen Ausbaubeginn benennen. Die Medl ist mit geförderten Anschlüssen von sogenannten weißen Flecken und Schulen etwa in Mintard, Broich, Saarn, Innenstadt und Raadt beschäftigt. Die Fertigstellung erwartet man Mitte bis Ende 2025.
Im Zuge dessen hat man 214 weitere Flecken ausgemacht, für die weitere 80 Kilometer Glasfaser verlegt werden müssten - knapp ein Viertel ist davon gebaut. Zudem hat man mit der Mülheimer Wohnungsbaugesellschaft SWB eigenwirtschaftliche Verträge geschlossen. So hat das Medl-Netz bereits Arme in viele Stadtteile ausgestreckt, von dort aus man „links und rechts“ eigenwirtschaftlich weitere Haushalte anschließen könnte.
Auch die Telekom ist in der Mülheimer Innenstadt aktiv, weitere Stadtteile sollen in der Planung sein. Westconnect und Eon gehen dagegen aktuell offensiv mit Vermarktungen in Holthausen, Heimaterde, Speldorf, Broich und Saarn vor. Hier hat man jeweils Fristen festgelegt, bis wann sich Privathaushalte und Unternehmen für einen kostenlosen Hausanschluss anmelden müssen. Danach soll der Anschluss rund 1500 Euro kosten.
Das Problem der Vorverträge: Wann geht es denn los?
Hier aber stellt sich schon die erste Frage: Wann kommen die Bagger, wenn der Vorvertrag unterschrieben ist? Oft wird an der Tür oder auf dem Werbeflyer zwar viel versprochen, aber offen gelassen, wann genau der Ausbau beginnt. Der Grund: Anbieter prüfen damit zunächst, wie wirtschaftlich ein Ausbau wird. Je mehr Interessenten es in einem Wohngebiet gibt, desto wahrscheinlicher ist dieser.
Was aber passiert, wenn dabei nicht genügend Interessenten zusammenkommen? Möglicherweise kommt dann eine zweite Umfrage-Welle, vermutet Christiane Lersch, Leiterin der Verbraucherzentrale Mülheim, und der Anschluss kann sich dann auch für diejenigen verzögern, die als erste bestellt haben. „Fragen Sie erst einmal in der Nachbarschaft nach, wer einen Vorvertrag zugesagt hat oder es plant“, rät sie. Auch eine Anfrage, wann andere Anbieter einen Ausbau im Viertel planen, sei sinnvoll, um die Chancen einschätzen zu können.
Denn nicht selten haben solche Vorverträge eine Dauer von bis zu zwei Jahren, in denen man gebunden ist und nicht einfach zu einem weiteren Anbieter wechseln kann. Genau hinzuschauen lohnt sich, rät Leiterin Lersch. Grundsätzlich gelte an der Haustür wie am Telefon: Nicht unter Druck zusagen oder unterschreiben! Und wenn man doch überrumpelt wurde, gibt es ein 14-tägiges Widerspruchsrecht.
FTTH, FTTC und „DSL-Gigabit“: Auf welche Anschlüsse muss man achten?
Beim Strom oder Gas ist der Tarifcheck vergleichsweise einfach, denn die Versorgungsnetze liegen bereits. Bei Glasfaser aber muss diese Struktur erst aufgebaut und auch bezahlt werden. Entsprechend unterschiedlich sind die Angebote für einen reinen Anschluss bis in den Keller - dem Fibre-to-the-building oder FTTB -, bis in die einzelne Wohnung, also Fibre-to-the-home (FTTH). Oder für Anschlüsse in Verbindung mit Tarifen für Internet, Telefon und TV.
Nur FTTH garantiere, dass die Glasfaser-Geschwindigkeit auch beim Kunden, etwa dem Mieter, ankomme, sagt Lersch. Wenn vom Anschlusspunkt im Keller dagegen nur alte Kupferleitungen in die Wohnung führen, werden Glasfaserleistungen nicht erreicht. Eigentümer wie Mieter sollten also auf das Kürzel FTTH achten. Vor Formulierungen wie DSL-Gigabit oder Gigabit-Internet warnt hingegen die Verbraucherzentrale: Dahinter stehe in der Regel kein echter Glasfaseranschluss.
Leitung fertig: Aber wer bietet nun das schnelle Internet?
Und auch andere Kostenfallen sind ausgelegt: Oft sei der Glasfaser-Anschluss nur dann kostenfrei, wenn man einen langfristigen Vertrag von mindestens zwei Jahren eingehe, hat die Verbraucherzentrale festgestellt. Zwar bieten einige Telekommunikationsunternehmen einen kostenfreien Glasfaser-Anschluss mit „open access“ (freier Zugang) an - und damit ohne eine Vertragsbindung an ein bestimmtes Produkt. Doch wer danach vermeintlich frei zwischen Angeboten wählen will, muss mit nachträglichen Anschlussgebühren rechnen. Bei Eon zum Beispiel sind es knapp 400 Euro.
Oder aber das Netz-Unternehmen kann nur bestimmte Tarifanbieter zur Verfügung stellen. So kooperiert etwa Ruhrfibre in Essen aktuell nur mit Vodafone, Westconnect in Mülheim mit Eon, 1&1 und Novanetz. Und hier liegt das weitere Problem des Glasfaserausbaus: Produktanbieter müssen sich nicht auf fremden Netzen einmieten, sondern können auch ein eigenes, also zweites oder gar drittes Glasfasernetz in die Straße und sogar ins Haus legen.
Die Telekom hat bereits „doppelte Glasfasernetze“, sprich einen Überbau vorhandener Netzstrukturen mit dem eigenen angekündigt. Für manchen ist das Teil eines hart ausgetragenen Wettbewerbs, der vor allem kleine Anbieter abschrecken soll. Auch für die Leiterin der Verbraucherzentrale stellt sich die Frage, ob andere zukünftig „die Lust haben, sich fremd einzumieten und auch die Chance bekommen“, meint Lersch. Sie rät dennoch dazu, auf den Hinweis „open access“ zu achten.
Glasfaser ja, aber was braucht man wirklich?
Glasfaser sei eine sinnvolle Technologie, sagt Lersch, man müsse ja nicht gleich den schnellsten Gigabit-Tarif nehmen. Selbst Firmen mit vielen parallelen Videokonferenzen kämen mit maximal 500 Mbit pro Sekunde aus. „Man sollte lieber kleiner anfangen, denn Hochstufen machen Unternehmen meist gern, runter ist schwieriger.“
Wichtig aber sei, die alten Kabel- oder DSL-Verträge rechtzeitig kündigen zu lassen, um doppelte Kosten zu vermeiden - in der Regel durch den Glasfaseranbieter. Mieter können übrigens zwar den Einbau eines Glasfaser-Anschlusses nicht verweigern - sie müssen diesen allerdings nicht nutzen, sondern können bei ihren alten Verträgen bleiben, so Lersch.
Kritik an der Ausbaustrategie: Bremst das Versprechen auf kostenlose Anschlüsse?
Hendrik Dönnebrink, Geschäftsführer der Mülheimer Medl, die selbst ein solches ‚offenes‘ Glasfaser-Netz sowohl gefördert als auch eigenwirtschaftlich baut, sieht in der aktuellen Form des Netzausbaus einen Grund, warum es so schleppend läuft: Eine Bremse sei - das mag überraschen - gerade das Versprechen eines „kostenlosen Anschlusses“. Denn viele Eigentümer fordern das inzwischen, weil es so beworben wird.
„Aber wann tatsächlich die Bagger rollen, wird nicht gesagt“, kritisiert Dönnebrink. Investoren hätten gerade viel Geld für den Ausbau übrig, beobachtet der Medl-Chef, jeder wolle sich mit eigener Infrastruktur behaupten. „Wir haben eine totale Ineffizienz und Flickschusterei bei der Netzinfrastruktur, weil es zu viele Ankündigungsweltmeister und Rosinenpicker gibt. Das widerspricht jeder Ausbaustrategie, die politisch gewünscht ist.“
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