Mülheim. Für 24 Millionen Euro Fördermittel lässt Mülheim Glasfaser verlegen. Auch dorthin, wo Bedarf und Bedürftigkeit unklar sind: an Wald und Villen.

Mit mehr als 24 Millionen Euro Steuermitteln von Land und Bund will Mülheim das schnelle Internet und damit Glasfaser-Anschlüsse besonders dort ausbauen, wo es den großen Netzbetreibern bislang offenbar nicht lukrativ genug war. Etwa an 48 Schulen. In den Genuss des steuerfinanzierten Hochgeschwindigkeitsnetzes soll zudem „ein Teil der Bürger“ kommen, wie es heißt. Unter den 1200 Haushalten sind auch solche, die in durchaus einkommensstarken Gebieten der Stadt wohnen.

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Für die Wirtschaft zu teuer – für Land und Bund „förderfähig“

Steuerfinanziertes Glasfasernetz etwa für Millionäre? Zumindest sehen die Pläne von Medl und Verwaltung vor, das Netz zum Beispiel in den weniger dicht besiedelten Gebieten etwa im Südwesten der Stadt anzulegen. Und diese führt auch in solche, in denen dichte Besiedlung durch einen gewissen komfortablen Zuschnitt der Grundstücke quasi verunmöglicht ist. Dieser Aufwand war Netzbetreibern bislang dort zu teuer.

„Als weiße Flecken, also unterversorgt und förderfähig, gelten Adresspunkte, deren Internetanschluss eine maximale Datenübertragungsrate von bis zu 30 Mbit/s hat und für die eine privatwirtschaftlich finanzierte Erweiterung der Bandbreite nicht absehbar ist.“ Das besagt die Förderrichtlinie von Land und Bund.

„Turbo-Internet für alle“ kündigte die Stadt im Februar an, v.l.: Stadtkämmerer Frank Mendack, Hendrik Dönnebrink (Geschäftsführer Medl), Beigeordneter Peter Vermeulen und OB Marc Buchholz. Eine Betrachtung der Einkommensverhältnisse oder eine Abfrage des tatsächlichen Bedarfs gab es dabei nicht.
„Turbo-Internet für alle“ kündigte die Stadt im Februar an, v.l.: Stadtkämmerer Frank Mendack, Hendrik Dönnebrink (Geschäftsführer Medl), Beigeordneter Peter Vermeulen und OB Marc Buchholz. Eine Betrachtung der Einkommensverhältnisse oder eine Abfrage des tatsächlichen Bedarfs gab es dabei nicht. © FUNKE FotoServices | Kerstin Bögeholz

Glasfaser im Uhlenhorster Wald: Mülheim ermittelte „förderfähige Adressen“ über Netzbetreiber

Mülheim hat diese Adressen „im Rahmen eines Markterkundungsverfahrens“ – über eine Abfrage bei den Netzanbietern – ermittelt, heißt es aus dem Rathaus. Die Kommunikationsunternehmen gaben an, wo eine Versorgung von weniger als 30 Mbits im Download besteht oder ob diese in absehbarer Zeit erreicht werde. Dort, wo das nicht der Fall sei, greifen die Förderbedingungen von Land und Bund.

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Und so wird das Hochgeschwindigkeitsinternet für – nach einer Schätzung der Stadt – 160.000 Euro pro Kilometer auch dorthin verlegt, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen: Entlang des Uhlenhorstwegs bis über die Waldgrenze, kilometertief in den Ganghoferweg hinein sowie in Hammerstein und Schengenholz. Nördlich davon erhalten die „weißen Flecken“ Am Großen Berg und Uhlenhorst Weg ebenso den Anschluss ans digitale Dorf.

Der Breitbandausbau im Mülheimer Südwesten führt teils tief in den Wald hinein.
Der Breitbandausbau im Mülheimer Südwesten führt teils tief in den Wald hinein. © funkegrafik nrw | Anda Sinn

Ebenso bislang digital unterprivilegierte Gebiete am Freundhofweg, Rottweg, Großenbaumer- und Markenstraße dürfen sich in den kommenden fünf Jahren über einen aus der Kasse von Land und Bund bezahlten Hochgeschwindigkeitszugang zum World Wide Web freuen.

Glasfaser mit der Gießkanne: Eine Betrachtung der Einkommensverhältnisse erfolgte bewusst nicht

Zu den Gebieten, in denen laut Förderrichtlinien „eine privatwirtschaftlich finanzierte Erweiterung der Bandbreite nicht absehbar ist“ zählen somit die sehr einkommensstarken Mülheimer Bezirke wie Speldorf-Süd und -Nordwest und Bezirke von Menden-Holthausen.

Ist das angemessen? „Eine Betrachtung der individuellen Lebens- und Einkommensverhältnisse erfolgte hierbei bewusst nicht“, antwortet die Stadt. Dies sei weder durch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur gewünscht noch geduldet. Der Stadtverwaltung falle daher „nicht die Rolle anheim, zu entscheiden, welchen Bürgern ein geförderter Anschluss zusteht“. Hingegen habe man sich „streng an den Förderrichtlinien des Bundesfördergebers orientiert“.

Datenschutz verhindert Analysen zur Einkommensverteilung

Die Zahl der Einkommensmillionäre in Mülheim liegt nach Angaben der Information und Technik NRW bei 75. Die Zahl stammt aus dem Jahr 2017, ist aber aus Datenschutzgründen die letzte zur Verfügung stehende Angabe. 2016 waren es 65.

Wie genau die Einkommensverhältnisse auf die Stadtteile verteilt sind, hat die Stadt zuletzt vor gut 15 Jahren untersucht. Das durchschnittliche Einkommen der Steuerpflichtigen betrug damals 30.600 Euro.

Ergebnis: „Im Süden und Westen der Stadt ist die Einkommensklasse durchweg mit überdurchschnittlichen Anteilen vertreten. In Holthausen-Südost verdienen die Steuerpflichtigen im Durchschnitt mehr als 66.000 Euro. In Speldorf-Nordwest verdient sogar jeder sechste Steuerzahler mindestens 100.000 €.“ In einigen statistischen Bezirken würden die Durchschnittseinkommen „durch vereinzelte besonders hohe individuelle Einkommen positiv beeinflusst“.

Warum gibt es diese Auswertungen seitdem nicht mehr? „Solche Sonderauswertungen waren damals noch möglich“, teilt IT NRW mit. „Ab dem Berichtsjahr 2008 liefert uns die Finanzverwaltung aus Gründen des Datenschutzes keine für solche Auswertungen benötigten Adressdaten.“

Dabei wissen viele der Betroffenen vermutlich noch gar nichts von dem staatlich geförderten Glück: Denn mögliche Bedarfe der Anwohner hatte die Verwaltung gerade nicht abgefragt. Die seien ja auch keine Grundlage des Förderverfahrens, antwortet die Verwaltung. Und eine anschließende Abnahmeverpflichtung des Bürgers gäbe es schon gar nicht.

So könnte also künftig Highspeed-Internet für hunderttausende Euro im Waldboden begraben liegen. Subventionierte Glasfaser, die dort womöglich gar nicht benötigt wird.