Mülheim. Jungs feuern Silvesterraketen aus der Hand ab, spielen mit Böllern: Ein Mülheimer Handchirurg kennt die Gefahren und gibt Erste-Hilfe-Tipps.

Die ersten Minuten des Jahres mit der schlimmsten Verletzung des Lebens: Es sind meist Jugendliche und junge Männer, die es an Silvester erwischt, weil sie riskant mit Feuerwerk hantieren. Dr. Christian Soimaru (51) ist Chefarzt der Klinik für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie am Evangelischen Krankenhaus Mülheim. Eines seiner Spezialgebiete ist die Handchirurgie. Er wird nicht müde, zu warnen.

Sie haben zum Interviewtermin zwei chirurgische Instrumente mitgebracht, um zu veranschaulichen, worüber wir reden. Das eine sieht aus wie ein großer Hobel.

Dr. Christian Soimaru: Genau. Es handelt sich um ein Dermatom. Damit wird von unverletzten Bereichen Haut entnommen, wenn etwa nach schwergradigen Verbrennungen Hautverpflanzungen notwendig sind. Besonders schwierig wird es, wenn große Teile der Körperoberfläche verbrannt sind. Wenn kaum noch unversehrte Haut zur Verfügung steht. Dann kommt die sogenannte Mesh-Technik zum Einsatz.

Was bedeutet das?

Mit dieser Technik wird die gewonnene, unversehrte Haut vor der Transplantation mit einem speziellen Instrument auf ein vielfaches Flächenmaß gestreckt. Die Fläche können wir so auf das Sechs- oder sogar Zwölffache vergrößern. Ähnlich wie bei einer Netzstrumpfhose. Die Haut wächst dann allmählich nach. So können wir mit wenig Entnahmestelle möglichst viele verbrannte Hautareale bedecken.

Dr. Christian Soimaru, Chefarzt am Evangelischen Krankenhaus Mülheim (EKM), zeigt ein Dermatom. Mit diesem chirurgischen Instrument werden bei Operationen unverletzte Hautschichten entnommen, um sie auf verbrannte Flächen zu transplantieren.
Dr. Christian Soimaru, Chefarzt am Evangelischen Krankenhaus Mülheim (EKM), zeigt ein Dermatom. Mit diesem chirurgischen Instrument werden bei Operationen unverletzte Hautschichten entnommen, um sie auf verbrannte Flächen zu transplantieren. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Anlass unseres Gespräches sind Verletzungsrisiken rund um Silvester. Sie möchten warnen. Insbesondere vor Verletzungen an den Händen.

Ich möchte im Vorfeld klarmachen, dass Verletzungen der Hände gefährlich sind und erhebliche Auswirkungen haben können. Wir betreiben hier Handchirurgie, behandeln aber auch Verbrennungen. An Silvester trifft oft beides zusammen. Und die Hand ist ein sehr komplexes Gebiet. Sie ist ja nicht nur ein Greiforgan, sondern auch ein Kommunikationsorgan, was einem nicht immer bewusst ist. Wir gestikulieren, wenn wir reden. Außerdem sind die Hände in der Regel nicht von Kleidung bedeckt. Vernarbungen auf dem Handrücken sind offen sichtbar.

Können Sie kurz erklären, was Handverletzungen so kompliziert macht?

Die Hand ist durchzogen von Knochen, äußerst feinen Blutgefäßen und Nerven. Wenn beispielsweise Nerven durchtrennt worden sind, wachsen sie nach einer handchirurgischen Operation nur sehr langsam nach - bei ganz kleinen Kindern ist es ein Millimeter pro Tag, bei alten Menschen aber nur ein Millimeter pro Woche. Wenn man jahrelang kein Gefühl in der Hand hat, ist das eine relevante und sehr störende Einschränkung.

Was befürchten Sie in der Silvesternacht?

Ich sehe Jugendliche, die sich einen Spaß daraus machen, Raketen aus der Hand abzufeuern. Der Feuerstrahl kann schwere Verbrennungen verursachen, die Hand kann auch durch Holzsplitter des Raketenstabes verletzt werden. Oder es gibt diese Mutprobe: Wer hält den angezündeten Chinaböller am längsten in der Hand? Ich erfreue mich auch an einem schönen Feuerwerk. Wenn aber Alkohol im Spiel ist, sollte man es lassen.

Mit Blick auf Silvester warnt Dr. Christian Soimaru vor schweren Verletzungen durch Böller oder Raketen. Der 51-Jährige ist Chefarzt der Klinik für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie am Mülheimer EKM.
Mit Blick auf Silvester warnt Dr. Christian Soimaru vor schweren Verletzungen durch Böller oder Raketen. Der 51-Jährige ist Chefarzt der Klinik für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie am Mülheimer EKM. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Vor dem Jahreswechsel 2022/23 waren Sie und Ihre Kollegen ganz besonders alarmiert. Weil es das erste Silvester nach zwei ruhigen Corona-Jahren war, befürchteten Sie schwere Verletzungen, bis hin zu abgetrennten Fingern oder Händen. Wie schlimm ist es denn dann tatsächlich geworden?

Es ist überraschend glimpflich abgelaufen. Wir hatten zahlreiche Bagatellverletzungen, beispielsweise Brandblasen, die von alleine abheilen. Aber es kamen auch zwei Patienten mit schweren Handverletzungen, die stationär aufgenommen werden mussten.

Junge Männer?

Ja klar. Ich finde es wichtig, dass wir jedes Jahr erneut vor den Risiken warnen und versuchen, die Leute zu sensibilisieren. Weil immer wieder so viel passiert. Große Städte wie Köln richten mittlerweile schon Böllerverbotszonen ein. Damit an zentralen Stellen keine Knaller und Raketen mitten in der Menschenmenge abgefeuert werden. Aber ich fürchte, das bringt nicht viel. Diese Leute gehen dann woanders hin oder knallen im privaten Bereich.

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Wenn sich jemand verletzt hat, vielleicht sogar schon auf den Rettungswagen wartet: Können andere Erste Hilfe leisten?

Ja, das Beste ist Kühlen, weil Kälte die Eindringungstiefe der Verbrennung reduziert. Aber nicht mit Eis, denn das kann weitere Verletzungen nach sich ziehen, sondern unter kaltem Wasser oder mit einem feuchten Handtuch. Alte Hausmittel, die teilweise noch kursieren, wie Honig oder Backpulver, bitte auf keinen Fall anwenden. Sie verkleben nur das Gewebe und führen dazu, dass die Chirurgen mehr Haut abtragen müssen, als aufgrund der Verletzung notwendig wäre.

Nach Ihren langjährigen Silvester-Erfahrungen in der Notaufnahme: Wären Sie dafür, das private Böllern generell zu verbieten und stattdessen professionelle Feuerwerke zu veranstalten?

Nein, ich bin gegen eine Verbotskultur. Man sollte den Leuten nicht sagen: Lasst es komplett bleiben. Sie sollen nur vorsichtig sein. Und sie dürfen niemand anderen gefährden.

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