Mülheim. In Mülheim-Saarn sollten 15 Luxuswohnungen eigentlich längst gebaut sein. Doch das Bauland war einst eine Deponie, deren Inhalt sehr heikel ist.
Ein Bauprojekt für 15 „luxuriöse Eigentumswohnungen“ in Saarn ist von der Geschichte der Mülheimer Lederindustrie massiv beeinträchtigt. Explosionsgefahren und mitunter stark überhöhte Messwerte für Schwermetalle und anderes im Boden machen eine hochsensible Sanierung nötig. Ein Wunder fast, dass der Bauherr infolge der immer weiter verschärften Auflagen noch nicht in die Knie gegangen ist.
Die Rede ist vom Projekt „Aubergs Garten“ an der Voßbeckstraße 7-13 in Saarn. Dort will die Jahn Vermögensverwaltung (JVV) mit Sitz in Essen drei Neubauten mit insgesamt 15 Wohnungen erreichten. In der Vermarktung sind die Eigentumswohnungen bei „Greens Immobilien“. Sie sind mit Größen in der Spanne von knapp 120 bis zu 260 Quadratmetern für 679.000 bis 1,85 Millionen Euro am Markt. Laut Bauleiter Mahmoud Atris sind zwei Drittel der Wohnungen auch bereits verkauft. Nur: Die Käuferinnen und Käufer müssen reichlich Geduld aufbringen vor ihrem Umzug in die neuen vier Wände. Während auf der Internet-Seite des Saarner Immobilienmaklers immer noch vom Baujahr 2022 die Rede ist, ist hinter blickdichten Plastikplanen vor Ort immer noch nur eine wuchtige Baugrube zu entdecken, ist kein Beton gegossen, kein Stein gesetzt.
Am Bauland hatten sich dem Vernehmen nach in der Vergangenheit mehrere Investoren die Zähne ausgebissen. Zwar war schon lange klar, dass eine Altlastensanierung im Boden nötig sein würde. Aber das Ausmaß ließ frühere Eigentümer denn doch zurückschrecken. Die ehemalige Lederfabrik Möhlenbeck hatte hier eine Deponie angelegt und soll noch bis in die 1960er Jahre dort Gerb- und Lederreste entsorgt haben.
Mülheimer Behörde hat alte Untersuchungsergebnisse gesehen
Stichpunktartige Bodenuntersuchungen hatten Vorbesitzer der Fläche schon 1999 und 2010 bei Mülheims Umweltbehörde vorgelegt. Weitere Untersuchungsergebnisse aus 1991, 1999 und 2011 gelangten vor elf Jahren zur Unteren Bodenschutzbehörde. Umweltamtsleiterin Ulrike Bresa berichtet aktuell auf Anfrage dieser Redaktion und mit Bezug auf eine AfD-Anfrage im Umweltausschuss davon, dass für die Altdeponie und deren näheres Umfeld mittlerweile mehr als 30 Gutachten und Berichte über Untersuchungsergebnisse zu Boden, Grundwasser und Bodenluft vorliegen.
Der aktuelle Bauherr sei dennoch mit Schwierigkeiten konfrontiert worden, die er zuvor nicht eingepreist habe in seine Kalkulation, sagt Bauleiter Atris. So habe sich gezeigt, dass Gutachter, die von vorherigen Eigentümern eingesetzt worden waren, den Baugrund „nicht detailreich genug untersucht“ hätten. Infolgedessen ließ die Baugenehmigung für Investor JVV lange auf sich warten, weil die Stadt sie an ein adäquates Konzept zur Altlastensanierung gekoppelt hatte. Viermal habe dieses überarbeitet werden müssen, berichtet Atris. Erst Anfang dieses Jahres habe es seitens der Stadt eine finale Freigabe hierfür gegeben.
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Mülheimer Baugrund mit Schwermetallen und explosivem Methangas belastet
Der festgestellte Sanierungsbedarf ist enorm. Im Boden waren mit unterschiedlichster Ausprägung Belastungen festgestellt worden. So waren die Vorsorgewerte für Schwermetalle mitunter stark überschritten: für Chrom etwa bis um das 23-fache, für Blei bis um fast das Vierfache. Problematische Konzentrationen von Cadmium, Kupfer, Zink, Mineralölkohlenwasserstoffen und krebserregenden, polycyclischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK-16) wurden sowohl im Boden als auch im Sickerwasser nachgewiesen. „Anlass für die Sanierungsmaßnahme ist insbesondere die Entwicklung von Methangas“, so Umweltamtschefin Bresa. Dieses Deponiegas habe sich bei der Verrottung von Rindenmulch aus der pflanzlichen Ledergerbung gebildet.
Ein gewaltiges Problem könnte entstehen, wenn bei Arbeiten im Untergrund eine größere Methanblase freigesetzt würde. Kommt das faulig riechende Methan mit Luft zusammen, entsteht eine explosionsfähige Atmosphäre. Auf der Baustelle werden laut Bauleiter Atris nun spezielle Gasmessgeräte eingesetzt, um mögliche Gefahren frühzeitig zu erkennen. „Bis dato haben sie keinen Alarm geschlagen“, ist er froh – auch darüber, dass bislang keine Milzbranderreger aufgetaucht seien, die durch die Einfuhr infizierter Tiere oder Häute ein häufiges Problem in der Lederindustrie darstellten.
Mülheimer Behörde hat Bauherrin strenge Regeln für Sanierung auferlegt
Per Ordnungsverfügung haben die beteiligten städtischen Umweltbehörden strengste Vorgaben zur Altlastensanierung gemacht, auch um Gesundheitsgefährdungen für Anwohner vorzubeugen. Der Deponieboden ist bis zu einer Tiefe von acht Metern auszukoffern. Dabei muss der Aushub direkt abtransportiert werden, darf nicht auf dem Gelände zwischengelagert werden. Der Boden ist stets feucht zu halten, um Staubemissionen so gering wie irgend möglich zu halten. Geöffnete Deponiebereiche sind abzudecken, sofern nicht gerade an ihnen gearbeitet wird. Selbst Schuttrutschen müssen abgedeckt sein, Lkw und mobile Maschinen dürfen nicht ungesäubert die Baustelle verlassen...Die Liste ließe sich noch fortführen.
„Wir hatten teilweise mehr mit den mitunter nicht praktikablen Auflagen zu kämpfen, als dass man richtig arbeiten konnte“, blickt der Bauleiter auf die vergangenen Monate zurück. Allein die sommerliche Befeuchtung der Baustelle im Stundentakt sei herausfordernd gewesen. Teils berechtigte Beschwerden aus der Nachbarschaft hätten auch für Verzögerungen gesorgt, zusätzlich auch aufwändige Prüfungen, als die Bagger in Tiefen vorgestoßen seien, in denen die Bauarbeiter auf Schicht- beziehungsweise Grundwasser gestoßen seien. Das durfte letztendlich erst über den öffentlichen Kanal abgeleitet werden, als die Beprobungen Unbedenklichkeit attestiert hätten.
Sanierung der alten Mülheimer Deponie womöglich kurz vor dem Abschluss
Von der ursprünglich beauftragten Sanierungsfirma hat sich die Bauherrin laut Atris in der Zwischenzeit getrennt, weil man unter anderem auch eine Fachfirma habe finden müssen, die Expertise hat bei der Grundwasserreinigung. Diese teure Überraschung blieb dem Investor letztlich doch erspart. Trotzdem ist nun die Gelsenkirchener BRZ GmbH mit der Extrem-Baustelle betraut. Atris lobt ihre hohe Professionalität und hofft nun, die Deponiesanierung noch in diesem Dezember abschließen zu können. „Wenn nichts mehr dazwischenkommt.“
Für Investorin JVV sei die Sanierung „deutlich teurer“ gekommen als ursprünglich kalkuliert, sagt Atris. Die Verzögerungen hätten aber auch ihr Gutes gehabt. Weil die Preise für Baumaterialien nach den Preisexplosionen zuletzt wieder rückläufig seien, gebe es zumindest eine Teilkompensation. Und wann können die ersten Käufer einziehen? „Nicht vor Mitte 2025“, sagt Atris.
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