Mülheim. Sorgen rund um das Mülheim-Selbecker Projekt Fliedner-Dorf werden laut: Alte Gutachten sprechen von einer Schwermetall-Belastung durch Bergwerk.
Als „Top-Stadtentwicklungsprojekt“ ist das Wohnungsbauvorhaben des Fliedner-Dorfs in Selbeck gelobt worden. Bis zu 280 Wohnungen für möglicherweise 600 Menschen könnten im Eck von „Am Mühlenhof“ und Lintorfer Straße barrierefrei und inklusiv entstehen. Doch da haben wohl die Selbecker noch etwas mitzureden. Der hiesige Bürgerverein mahnt an: Der Dorf-Charakter des Stadtteils müsse erhalten bleiben. Und es gibt noch weitere Bedenken in Sachen „Altlasten“.
Die möglichen Belastungen im Boden brachte Detlef Habig vom Saarner Umweltverein im Umweltausschuss auf den Tisch: Nach seinen Informationen hat auf dem Nachbargelände im Osten ein altes Erzbergwerk ein bedenkliches Erbe hinterlassen, das möglicherweise über den Haubach und ehemalige Abraumhalden im Umfeld auf die Umgebung ausstrahlen könnte. Dies sei dringend zu prüfen.
Was schlummert an Altlasten noch im Selbecker Boden?
Auch interessant
Jahrzehnte ist es her, doch schlummert womöglich dort noch immer etwas im Boden? Thema waren die Altlasten noch in den 1990ern, als es um die Bebauung zwischen Markscheiderhof und „Am Timpen“ ging. „Das Gesundheitsamt weist in Bezug auf die ehemalige Hausmülldeponie und auf das ehemalige Bleibergwerk darauf hin, dass eine erste Gefahrenabschätzung in weiten Bereichen des Bebauungsplangebietes eine Belastung durch verschiedene Schwermetalle wie Arsen, Blei, Cadmium usw. zeigt“, heißt es als Stellungnahme zum Bebauungsplan, der 1999 im Planungsausschuss besprochen wurde.
Westlich des Erzbergwerks Neu-Diepenbrock II – und damit direkt unterhalb der Straße „Am Mühlenhof“ sowie in Teilen „Am Golfplatz“ – hat sich den Karten des Amtes für Umweltschutz zufolge die ehemalige Hausmüll- und Bauschutt-Deponie befunden.
Bedenkliche Schwermetall-Belastungen stellte die Behörde damals für einige Grundstücke im Boden fest, etwa auf Höhe der Kölner Straße 366-376. In dem Bereich des Bebauungsplans sei das Grundwasser kontaminiert mit der Altlast Neu-Diepenbrock III. Die Förderung von Grundwasser sei daher untersagt. Man stellte damals jedoch auch fest, dass diese Untersuchungen im Umfang zu gering seien für eine konkrete Gefahrenabschätzung. Es sei erforderlich, weitere Untersuchungen mit einem kleinen Proberaster durchzuführen.
Stadt Mülheim sieht keine Gefahr für das geplante Baugebiet, will aber neue Gutachten
Doch was heißt dies für das heutige, entfernt im Norden liegende Baugebiet? Man sehe hier keine Gefahr für die geplante Nutzung vorliegen, nahm die Stadt vor dem Umweltausschuss zum Antrag des Saarner Umweltvereins Stellung. Erst 2020 sei die für eine Bebauung ins Auge gefasste Fläche von einem Institut für Umweltanalyse untersucht worden. Ergebnis sei: Vom Boden gehe weder eine Gefahr für den Menschen noch für das Grundwasser aus.
Zwar habe man im Gebiet der ehemaligen Deponie südlich des Haubachs in der Vergangenheit Grenzwertüberschreitungen für Arsen, Blei, Cadmium und Zink festgestellt. Diese Ablagerungen würden aber mit einer Bodenschicht von einem Meter überdeckt, so dass diese für Menschen nicht bedenklich seien.
Alles zum Wohnen und Bauen in Mülheim
- Sinken bald die Preise fürs Eigentum?
- Parkstadt: Ärger im Beirat über öffentliche Kritik
- Immobilien Mülheim: Wo Sparpotenziale liegen
- Mülheim-West: Das sind die ersten Pläne zum Bauen
Im Umweltausschuss zeigte sich insbesondere der Umweltmediziner Dietrich Rohde über das Ergebnis der Verwaltung überrascht: Das damalige Gutachten und das neue passten nicht zusammen, bat Rohde um Einsicht. Und stützte zunächst die Bedenken des Umweltvereins. Umweltdezernent Felix Blasch stellte daraufhin klar: „Wir verheimlichen nichts. Ich kann aber mit den 20 Jahre alten Gutachten in der neuen Bauleitplanung nicht arbeiten.“ Die Stadt werde daher auch neue umweltmedizinische Gutachten im Zuge eines Bebauungsplanes erstellen.
Selbecker Bürgerverein mahnt „maßvolle Erweiterung“ an
Für den Selbecker Bürgerverein ist die Frage der Altlasten im künftigen Baugebiet nördlich des Haubaches zwar ebenfalls weiterhin zu klären. Doch ihn beschäftigen mehr noch die zukünftigen Auswirkungen eines Neubaugebiets mit 280 Wohnungen. Im Fokus: der dörfliche Charakter mit dem Zusammenhalt in der Gemeinde und die damit verbundene Lebensqualität.
Es spreche nichts gegen eine „maßvolle Erweiterung“ durch alters- und behindertengerechte Wohnungen, auch begrüße man, dass bezahlbarer, öffentlich geförderter Wohnraum geplant sei. Doch dafür seien aus Sicht des Bürgervereins weitere Maßnahmen zu ergreifen.
Kölner Straße weiter belastet: Alternativen zum Autoverkehr notwendig
Vor allem im Verkehr: Denn 280 Wohnungen bedeuten in der Regel wenigstens 280 zusätzliche Fahrzeuge auf der Kölner Straße. Mit dem weiteren Wohnbaugebiet auf der ehemaligen Rumbaum-Gärtnerei steige die Belastung durch den Autoverkehr weiter an. Nicht nur der Verkehrsfluss auf der Kölner Straße sei deshalb zu verbessern, sondern deutlich auch der öffentliche Nahverkehr, um den Individualverkehr nicht noch weiter zu steigern.
Außerdem bringt der Bürgerverein eine schon 1999 debattierte Alternative ins Spiel: einen zusätzlichen Rad- und Gehweg vom Selbecker Ortskern zum Fliedner-Gelände, um eine sichere Verbindung zum Kindergarten, zur Schule und zur Kirche zu ermöglichen.
Bürgerverein sieht Chancen für Erhalt des Kindergartens steigen
Apropos: Die Chancen für den Erhalt des Kindergartens, dessen Nachfolgeträger immer noch nicht feststeht, sowie den damit verbundenen Erhalt der Grundschule sieht man in Selbeck nicht nur deutlich steigen, der Bürgerverein fordert hierzu Klarheit und eine Prüfung, ob die Einrichtung nicht zu erweitern oder mit einem zweiten Kindergarten zu ergänzen wäre.
Und nicht zuletzt: Mit besonderer Wachsamkeit schaut man auf weitere Bauinteressen im Stadtteil. Denn Selbeck ist während des Baubooms der vergangenen Jahre stark gewachsen: Rumbaum, Hantenweg. Die Grünschneise zwischen „Am Timpen“ und „Am Mühlenhof“ müsse deshalb erhalten bleiben „zur Wahrung des ökologischen Gleichgewichts“, so der Selbecker Bürgerverein.