Mülheim. Die Wohngruppe „Haus Humy“ ist aus der Villa am Dickswall ausgezogen, hat nun einen neuen Standort in Mülheim. Was zwei Bewohnerinnen berichten.
„So richtig Anschluss habe ich nie gefunden“, sagt Vivien, während ihre zierliche Hand das Glas mit dem Sprudelwasser umschließt. „Ich habe heute noch nichts getrunken“, erklärt die 17-Jährige und nimmt einen großen Schluck. Seit elf Monaten lebt Vivien im „Haus Humy“, der Mädchenwohngruppe für Mädchen und junge Frauen, für die ihr eigentliches Zuhause keines mehr ist.
So ähnlich war es auch bei Vivien. „Wir sind viel umgezogen.“ Von Norddeutschland ging es nach Nordrhein-Westfalen und dort dann mehrfach hin und her. Fand die mittlerweile 17-Jährige mal Freunde, dann meist nicht auf Dauer. Und dann noch die Probleme Zuhause – zu einem Großteil ihrer Familie hat Vivien keinen Kontakt mehr, auch wenn sie es sich anders wünschen würde. Heute ist sie aufgeregt, ihr Vater kommt zur Einweihungsfeier zu Besuch; in das neue „Haus Humy“.
Mülheimer „Haus Humy“ ist nach zehn Jahren umgezogen
Von der alten Villa am Dickswall ging es nur wenige Hunderte Meter weiter in die Hingbergstraße, in eine pastellviolett angestrichene Stadtvilla mit verwinkelten Decken, steilen Holztreppen und jeder Menge Platz. Das Gerhard-Tersteegen-Institut (GTI), das das „Haus Humy“ Ende 2013 als „Wohnhaus auf Zeit für Mädchen mit ‚komplexem Problemhintergrund‘“ eröffnet hatte, schlägt damit nun ein neues Kapitel auf.
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„Uns geht es vor allem darum, den Mädchen einen geregelten und strukturierten Alltag zu ermöglichen“, sagt Anna Friedrich, Fachbereichsleitung beim Oberhausener Gerhard-Tersteegen-Institut. Sie kennt die Mädchen teilweise seit Jahren, verfolgt ihre Entwicklungen und Fortschritte, weiß aber auch um die teils sehr ernsten Umstände, aus denen sie kommen. „Wir sprechen vor allem von Vernachlässigung und Überforderung, von erziehungsschwachen Eltern, aber auch durchaus von herausfordernden Kindern.“ Anders als man es vielleicht erwarten würde, stammten die Mädchen aus allen gesellschaftlichen Schichten, „ja, auch aus Akademiker-Haushalten“.
Mülheimer Mädchen stammen vielfach aus „erziehungsschwachen“ Familien
Nicht selten seien die Elternhäuser von Gewalt, Unterdrückung und Missbrauch geprägt, teilweise spielten auch Sucht- und psychische Erkrankungen eine Rolle. Die Folge auf der anderen Seite bei den Mädchen: „Sie entwickeln soziale Auffälligkeiten, sind teils deutlich unselbstständiger als andere in ihrem Alter.“ Vielfach seien die Mädchen aus dem „Haus Humy“ gefährdet, ohne professionelle Hilfe in Muster der Selbstverletzung oder Essstörung zu verfallen oder aus ihnen nicht mehr herauszufinden.
Sieben Pädagoginnen (alle weiblich) und eine Hauswirtschafterin kümmern sich um die neun Mädchen im Alter von aktuell 14 bis 17 Jahren. „Am Sonntag zieht ein neues Mädchen ein“, erzählt Anna Friedrich. Der Bedarf in der Jugendhilfe sei enorm, in der Regel liege bei einem Neuzugang immer eine akute Krise vor. „Wir kommen mittlerweile immer erst dann dazu, wenn es schon sehr eskaliert ist und dringender Handlungsbedarf herrscht. Das war früher anders, da konnte noch mehr präventiv gearbeitet werden.“
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Mülheimer Mädchenwohnhaus: Es entstehen feste Freundschaften
Von alledem bekommt Vivien nicht unbedingt etwas mit. Für sie geht es aktuell vor allem darum, in ihrer Therapie Fortschritte zu machen. „Ich will nicht mehr so kindlich sein und selbstbewusster auftreten“, gibt sie eines ihrer Ziele preis. „Aber ich muss bis dahin noch viele Themen in der Therapie besprechen, zur Stabilisierung.“
Eine von Viviens engsten Bezugspersonen im „Haus Humy“ ist Paulina. Die 15-Jährige weiß noch genau das Datum, an dem sie eingezogen ist – so wie von ungefähr jedem anderen Mädchen auch. „Paulina ist unser Zahlen-Mensch“, sagt Anna Friedrich. Seit bald zwei Jahren lebt das Mädchen in der Wohngruppe, das Jugendamt hatte sie damals zu ihrem Schutz aus der Familie genommen.
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Für die Schule fährt Paulina von Mülheim nach Essen
Aktuell besucht sie die Schule, fährt dafür täglich nach Essen. In dem pastellvioletten Haus hat sie zwar das kleinste Zimmer bekommen, aber dafür das einzige mit einem Hochbett. „Das habe ich mir extra ausgesucht, weil darunter Schränke sind und ich mehr Platz für meine Sachen habe.“ Die 15-Jährige gibt eine Tour durch das Haus, steigt die steile Holztreppe zu ihrem Zimmer zügig hoch.
Am Rahmen des Bettes hängen Zeichnungen, es sieht wohnlich aus – als würde sie hier schon Monate wohnen und nicht erst Tage. Nach der Führung schließt Paulina ihre Zimmertür ab, läuft rüber zu Vivien, die beiden fangen an zu quatschen, lachen. „Hier ist eigentlich kein Tag wie der andere“, sagt Anna Friedrich und schaut zu den beiden Mädchen rüber.
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