Mülheim. Eine bekannte Stadtvilla in Mülheim verschwindet bald, „Haus Humy“ zieht um. An die neuen Nachbarn: „Das sind keine schwer erziehbaren Mädchen.“
Die riesige Rumbach-Baustelle in der Mülheimer City nervt viele. Sie bringt immer neue Engpässe und Umleitungen mit sich. Manche Innenstadt-Bewohnerinnen haben sie jahrelang direkt vor der Tür. Dies gilt etwa für die Mädchenwohngruppe „Haus Humy“ in der alten Villa am Dickswall 56, dem markanten Haus mit den lila umrahmten Fenstern. Die WG läuft unter dem Dach des Oberhausener Gerhard-Tersteegen-Institutes, einer gemeinnützigen GmbH für Kinder-, Jugend- und Familienhilfe.
Seit Ende 2013 leben am Dickswall Teenager, die raus mussten aus ihren Familien. Die im „Haus Humy“ eine Zuflucht finden, Betreuung rund um die Uhr, einen geregelten Alltag. Derzeit sind es neun Mädchen im Alter zwischen zwölf und 17 Jahren. Doch der nächste Umzug naht, diesmal für alle gemeinsam: Zum Jahresende wird die gesamte Wohngruppe an die Hingbergstraße 92 verlegt, Luftlinie nur ein paar Hundert Meter entfernt. Das Gerhard-Tersteegen-Institut (GTI) hat dort eine Immobilie gekauft, ein ehemaliges Wohngebäude, das gerade umgebaut wird.
Mülheimer Mädchenwohngruppe flüchtet vor Neubauplänen
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Das bisherige Haus am Dickswall ist alt und vor allem auf der Rückseite zum Muhrenkamp hin auch stellenweise feucht. Keineswegs sei es aber „marode“, stellt Tanja Schulte-Lippern, Geschäftsführerin des GTI, klar. Der bauliche Zustand des Hauses sei nicht der Grund, warum die Wohngruppe es verlässt. Vielmehr schrecken umfangreiche Neubaupläne ab. „Haus Humy“ flüchtet vor der nächsten Baustelle, denn im Bereich Dickswall 48 bis 60 sollen rund 60 neue Wohnungen entstehen.
Nach ursprünglicher Planung, die vor etwa zweieinhalb Jahren erstmals skizziert wurde, sollte die alte Villa noch stehenbleiben. Ringsherum sollen jedoch alle Gebäude abgerissen werden, auch die Kfz-Werkstatt Pitstop und die ehemalige Autovermietung Europcar. Neue Wohngebäude sollen die Baulücke schließen, die sich nicht nur am Dickswall entlang ziehen, sondern um einen begrünten Innenhof herum errichtet werden. Dort hätte dann – nach frühen Plänen – auch „Haus „Humy“ gelegen.
Nachbarn hätten Einblicke – „kein sicherer Rückzugsort mehr“
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Wohnblocks mit bis zu fünf Geschossen würden die Villa überragen. Von ihren Balkonen und Loggien aus könnten die neuen Nachbarn auf das Grundstück der Wohngruppe schauen. „Sie könnten dann wahrscheinlich von jedem Balkon und Fenster aus in die Villa reinlinsen“, sagt Tanja Schulte-Lippern. „Die betreuten Mädchen hätten dann keinen sicheren Rückzugsort mehr. So hoch umbaut, das ist kein schöner Standort mehr.“ Hinzu kommt die lärmige Großbaustelle rundherum, mit der über lange Zeit zu rechnen wäre. Das GTI hielt also Ausschau nach einer neuen Bleibe und hatte Glück.
Die Villa, in der „Haus Humy“ momentan noch seinen Sitz hat, wurde vor wenigen Jahren verkauft an die IPM, eine mittelständische Unternehmensgruppe mit Hauptsitz in Oberhausen. Der Mietvertrag läuft nach Angaben von GTI-Chefin Tanja Schulte-Lippern Ende November aus. Da sie nicht verlängern möchten, wird das Haus in zweiter Reihe abgerissen. Eine Sanierung würde zu teuer, heißt es auf Anfrage auch bei IPM. Unter Denkmalschutz steht die Villa nicht. Das geplante Neubauprojekt wird aber noch auf sich warten lassen und möglicherweise auch erneut modifiziert. Ende März endete erst die öffentliche Auslegung zum vorhabenbezogenen Bebauungsplan „Dickswall / Muhrenkamp“.
Bewohnerinnen und Betreuerinnen freuen sich auf den Umzug
Im alten Haus mit den lila umrahmten Fenstern haben die Mädchen jeweils Einzelzimmer, davon vier mit eigener Miniküche, um selbstständiges Leben zu üben. Hinzu kommen große Gemeinschaftsbereiche und Gesprächsräume, eine Terrasse mit Garten und einer Vogelnestschaukel – beliebt zum entspannten Abhängen. Vielleicht werden die Mädchen diese Schaukel im nächsten Frühjahr vermissen, doch wenn man kurz in die Runde fragt, sagen alle, dass sie sich auf den Umzug an die ruhigere Adresse freuen, Bewohnerinnen wie Betreuerinnen.
„Hier sind einige Mädchen, die haben schon manches durchgemacht“, sagt Tanja Schulte-Lippern, ohne genauer werden zu wollen. „Und für solche Mädchen muss man ein sicheres neues Zuhause finden. Keins auf dem Präsentierteller.“ Das neue Grundstück an der Hingbergstraße betritt man durch ein schmiedeeisernes Tor, geht über Kopfsteinpflaster in den Garten, den ein uralter Kastanienbaum überspannt, ein Naturdenkmal. Die Fläche im zweigeschossigen Gründerzeithaus ist etwa genauso groß wie im Gebäude am Dickswall, doch das Haus, wirkt weitaus gediegener: hohe Decken, Stuck, schmucke Türen.
Team will die Nachbarn informieren: Keine schwer erziehbaren Mädchen
Wie die GTI-Geschäftsführerin erläutert, besteht eine Eigentümergemeinschaft mit Häusern nebenan. Bei der nächsten Eigentümerversammlung im Mai will sich das Team den künftigen Nachbarn vorstellen: „Die machen sich Sorgen, dass es laut werden könnte, aber das stimmt nicht. Das sind hier keine schwer erziehbaren Mädchen. Sie haben nur alle schon etwas mitgemacht. Wir wollen den Nachbarn auch sagen, an wen man sich hier wenden kann, falls mal etwas ist.“
Ob die Gemeinschaft weiterhin „Haus Humy“ heißt, ist noch offen. Vielleicht wäre ein neuer Name passender. Die Wohngruppe denkt gerade darüber nach.