Mülheim. Der MWB als Mülheimer Wohnungsmarkt-Größe muss durch die Krise am Bau kommen. Lindgens und Co.: Wie es um seine Bauprojekte und Strategie steht.
Die ausgewachsene Krise am Bau hat Investitionsprojekte zuhauf in der Schublade verschwinden lassen. Zuletzt hatte Wohnungsmarktriese Vonovia verkündet, den Bau von 60.000 Wohnungen auf Eis liegen zu haben. An der Genossenschaft Mülheimer Wohnungsbau (MWB), in der Stadt mit der SWB das größte Wohnungsbauunternehmen, geht all das auch nicht spurlos vorüber. Der neue Aufsichtsratschef Helge Kipping benannte nun die Herausforderungen der Zeit. Vorstand Frank Esser skizzierte, was trotzdem noch möglich sein soll im Neubaugeschäft.
Von „explosiver Gemengelage“ spricht Duisburgs Sparkassen-Vorstand Kipping, der seit Juni Aufsichtsratsvorsitzender des MWB ist. Die Lieferkettenprobleme im Zuge der Corona-Pandemie, dann die Inflation und steigende Zinsen nach Ausbruch des Ukraine-Krieges hätten die Immobilienbranche „in eine Schockstarre versetzt“. Kipping macht die Wucht der Krise etwa daran fest, dass sich die Zinssätze für Immobilienkredite im Vorjahr vervierfacht haben. Das sei eine Dynamik, die es so zuvor nicht gegeben habe.
MWB-Vorstand: „Frei finanzierter Wohnungsbau funktioniert gar nicht mehr“
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Bekanntlich ist auch der MWB zurückhaltend geworden mit Bauprojekten. Die Pläne für eine autofreie Siedlung an der Scheffelstraße im Eppinghofer Dichterviertel etwa waren auf Eis gelegt worden. Man habe entschieden, nur Begonnenes fortzuführen und anderes zu schieben, so Kipping. Einen Testballon startete der MWB dennoch: mit dem Bau von sechs Einfamilienhäusern an der August-Schmidt-Straße. Zunächst gar keine Nachfrage, dann immerhin zwei Interessenten, erst aktuell dann mehr, zeigt Vorstand Esser auf, dass hohe Preise und Zinsen natürlich auch negativ auf die Nachfrage wirken. Beispiel Neubau von Mehrfamilienhäusern: Laut Kipping ließen sich diese aktuell nur rechnen, wenn man Kaltmieten in Höhe von rund 16 Euro ansetze.
„Der klassisch frei finanzierte Wohnungsbau funktioniert gar nicht mehr“, stellt Esser aktuell fest und etwa infrage, ob seine Genossenschaft in ihrer Projektgesellschaft mit der Sparkasse das Baurecht für das Areal der ehemaligen Lederfabrik Lindgens absehbar umsetzen wird. Die Partner stimmten gerade eine Strategie für das Projekt ab, das mit einem hohen Anteil frei finanzierter Wohnungen eben genau auf diese extrem schwierige Marktlage treffe. „Vor vier, fünf Jahren hätten wir sicherlich Dampf gemacht, jetzt müssen wir genau abwägen“, so Esser. „Projekte halbwegs schwarz zu rechnen, ist nicht einfach.“ Auf dem Lindgens-Areal sollen 250 Wohnungen entstehen. Auf zwei Baufeldern soll es auch einen Anteil von 30 Prozent für öffentlich geförderte Wohnungen geben.
MWB sieht gute Voraussetzungen für sozialen Wohnungsbau in Mülheim
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Stichwort öffentlich geförderter Wohnungsbau. Dies sei einer der wenigen Bereiche, der aktuell noch zu finanzieren sei, sagt Esser. Sein Aufsichtsratschef glaubt gar an eine Renaissance des sozialen Wohnungsbaus, weil das Land NRW hier mit Tilgungsnachlässen und zinsgünstigen Darlehen eine gute Förderkulisse geschaffen habe. So will der MWB, eine Baugenehmigung vorausgesetzt, auf dem Areal der ehemaligen Stadtgärtnerei in Holthausen schon bis Frühjahr 2025 ein Flüchtlingsquartier für rund 500 Bewohner bauen, das in zehn, spätestens 20 Jahren öffentlichen geförderten Wohnraum für alle Bürgerinnen und Bürger bieten soll. Auch auf dem alten Mannesmann-Sportplatz soll bezahlbarer Wohnraum geschaffen werden. Es ist aber noch kein Baurecht da.
Stichwort betreutes Wohnen. Weil sich hier höhere Mieten oder Kaufpreise für Eigentumswohnungen bei entsprechend zahlungskräftigem Klientel womöglich noch am Markt platzieren ließen, könnten sich Projekte in diesem Bereich noch lohnen, sagt Esser. Der MWB prüfe hier zurzeit die Realisierbarkeit für ein paar Bauflächen im Bestand. Dazu dürfte auch das Gelände am Priesters Hof in Holthausen zählen. Der MWB hatte das Grundstück samt altem Schulgebäude von der Stadt gekauft. Bislang hatte es die Idee gegeben, dort etwas Ähnliches entstehen zu lassen wie am Heißener Wohnhof Fünte. Interessenten fanden sich aber bislang nicht. Erlöse aus Bauträgergeschäften helfen dem MWB, im Mietwohnungsbestand Sanierungsprojekte zu finanzieren.
Autofreie Siedlung in Mülheims Dichterviertel: Rollen 2024 die Bagger an?
Schwierig wird es aufgrund der Marktsituation für das Projekt, an der Scheffelstraße in Eppinghofen eine autofreie Siedlung mit 40 Eigenheimen zu bauen. Der MWB hatte das Projekt 2022 auf Eis gelegt, ist laut Esser noch bestrebt, die vorhandene Baugenehmigung innerhalb der gesetzten Frist zu nutzen. Esser hofft, das lange schon wartende Vorzeigeprojekt im Sommer oder Herbst 2024 in Angriff nehmen zu können.
Der MWB richtet sich laut Kipping darauf ein, dass sich die Krise im Wohnungsbau noch zwei bis vier Jahre fortsetzen wird. Er gehe davon aus, dass sich die Inflationsrate dann wieder in einem verträglichen Korridor von rund zwei Prozent eingependelt haben wird – mit entsprechender Wechselwirkung mit der Zinspolitik. Die Genossenschaft sei „sehr solide aufgestellt“, die die Phase „ohne Druck“ durchstehen könne, sagt er.
Mülheimer Wohnungsbau wünscht sich Entbürokratisierung
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Was Kipping allerdings nicht glaubt: dass die Mietpreise sich noch einmal in eine andere Richtung als treppauf bewegen werden. Da gelte es Lösungen zu finden, denn zusätzlicher bezahlbarer Wohnraum sei dringend gebraucht. Mit ihrer aktuellen Förderung sei die Politik aber hier auch „auf dem richtigen Weg“. Nachbessern könne sie noch bei der Entbürokratisierung von Wohnbauvorhaben. Es müsse pragmatischer vorgegangen werden, sollten die ehrgeizigen Ziele im deutschen Wohnungsbau hier nicht gänzlich außer Reichweite geraten.
Ein Megathema wird auch für den MWB die klimagerechte Modernisierung seines Wohnungsbestandes. Die Genossenschaft werde nicht den Weg gehen wie etwa Vonovia, ganze Pakete mit Immobilien der Gebäudeklasse E abzustoßen. Der MWB habe fest vor, seine Bestände selbst in die vorgegebene Richtung zu entwickeln. Seit Jahren investiere man hierfür hohe Geldbeträge; schließlich sind bis zum Jahr 2033 schon alle Gebäude in die Energieklasse D zu bringen.
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Eine Dekarbonisierungsstrategie soll dem MWB-Aufsichtsrat im Herbst präsentiert werden. Man will ab 2024 verstärkt auch wieder Großprojekte wie einst an der Lerchenstraße in Angriff nehmen. Klar ist: Es wird herausfordernd, zumal laut Vorstand Esser auch der Spagat gelingen soll, die Mieten weiterhin bezahlbar zu halten. Die MWB-Durchschnittsmiete beträgt laut Genossenschaft aktuell weiterhin nur 6,15 Euro.