Mülheim. 47 Teenager, die durch die Umstellung auf G 9 irgendwie zwischen den Stühlen saßen, besuchen nun Mülheims Bündelungsschule. Was sie erzählen.
Ganz ohne Blaupause ist die Karl-Ziegler-Schule vor knapp fünf Wochen als Mülheims einzige sogenannte Bündelungsschule an den Start gegangen. 47 Jugendliche, die durch die Umstellung von G 8 auf G 9 irgendwie zwischen den Stühlen saßen, haben nun die Chance, dort 2026 das Abitur zu machen. Der „Weiße Jahrgang“ stellt die Schule allerdings vor Herausforderungen, berichten Schulleiterin Ute Gibbels und Oberstufenkoordinator Robin Datta. „Das gab’s so noch nie und wird’s nie wieder geben.“
Zum Hintergrund: Im Sommer 2022 hat letztmalig eine EF, also die Einführungsphase in die Oberstufe, nach neun Schuljahren begonnen. Im aktuellen Schuljahr gibt es diese eigentlich nicht – denn ab sofort dauert es wieder zehn Jahre, bis die Oberstufe beginnt. Also startet die nächste EF regulär 2024. Das Loch, das so entstanden ist, wäre für etliche Teenager zum Problem geworden, wenn das Land nicht die Idee der Bündelungsschule entwickelt und in Mülheim das Karl Ziegler dazu auserkoren hätte. Dort werden nun alle aufgefangen, die 2022 in die EF gekommen sind, wegen schlechter Noten aber wiederholen müssen. Und die, die die Realschule abgeschlossen haben und in die Oberstufe an einem Gymnasium wechseln wollten.
Kunterbuntes Trüppchen zwischen 15 und 18 Jahren lernt jetzt an Mülheims Karl Ziegler
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Weißer Jahrgang also. Dabei sind die 47 jungen Menschen eher ziemlich kunterbunt, zeigt der Besuch am Karl Ziegler. Das beginnt schon mit dem Alter: Latikaa ist noch 15, Jesse schon 18. Und das geht weiter mit den Schulen, die sie zuvor besucht haben: Gymnasien und Realschulen sind darunter. Und sogar eine Schule in Portugal, „wo alles anders war, und trotzdem gut“, erzählt Jesse.
Gibbels (60) und Datta (52), die Deutsch bzw. Mathe in der Bündelungsschule an der Schulstraße unterrichten, hatten „noch nie“ einen so heterogenen EF-Jahrgang. „Es ist eine Aufgabe, alle auf einen Leistungsstand zu bringen.“
Oberstufenkoordinator Robin Datta: „Wir haben ein echt hartes Jahr hinter uns“
Die Arbeit für das besondere Projekt hat bereits vor zwölf Monaten begonnen, erzählt Datta. „Wir haben ein hartes Jahr der Vorbereitung hinter uns.“ Noch bis zu den Ferien wusste niemand, wie viele Schüler und Schülerinnen zum Weißen Jahrgang zählen werden. „Alles zwischen 50 und 100“ war denkbar. Unter 42 allerdings wäre es eng geworden, „dann ist es fast unmöglich, eine Oberstufe auf die Beine zu stellen“.
Zum Stichtag lagen letztlich 60 Anmeldungen vor. Das war aber noch immer keine verlässliche Größe, zeigte sich: Sechs Realschüler schafften doch nicht die nötige Qualifikation und fünf weitere erschienen einfach nicht zum ersten Schultag. Ein Ärgernis, „denn jeder bis 18 ist schulpflichtig und wir müssen bei jedem, der angemeldet ist, herausfinden, wo er abgeblieben ist“, erklärt Gibbels. Das Hinterhertelefonieren war aufwendig. Und nicht jeder nahm die Sache wirklich ernst, wie eine Sprachnachricht auf Dattas Telefon belegt: Mit dem kecken Spruch „Schöne Grüße vom Schulhof des Berufskollegs“ verabschiedeten sich mal eben zwei weitere angemeldete Schüler.
Kooperationskurse mit anderen Gymnasien sind für den „weißen Jahrgang“ nicht drin
Auch der laufende Betrieb stellt die Schulleitung vor Schwierigkeiten. Da sind Fragen wie diese im Raum: Was passiert, wenn der Jahrgang kleiner wird? Und wenn dann im nächsten Jahr, in der Q 1, die abiturrelevanten Kurse gewählt werden müssen? Melike würde zum Beispiel gern einen Leistungskurs Kunst nehmen – „aber wer weiß, ob der überhaupt zustande kommt“. Die Ungewissheit bereitet ihr Sorgen, sagt die 16-Jährige. Kooperationskurse mit anderen Gymnasien, wie sie sonst oft angeboten werden, sind für den Weißen Jahrgang nicht drin. Gibbels hofft trotzdem auf Unterstützung der Nachbarschulen, „vielleicht finden sich dort Lehrer, die hier bei uns weitere Kurse anbieten können“.
Das sei ja auch wichtig, wenn Schüler aus der Stufe über dem weißen Jahrgang sitzenbleiben. Dort gibt es mehr Jugendliche und dementsprechend mehr Kurse zur Auswahl. „Diese müssen sie dann auch im Jahrgang drunter wiederfinden können“, so Gibbels. All die Wenns und Abers, all die Fragen machen den Oberstufenkoordinator unterdessen etwas unruhig: „Wir können eben einfach nicht aus Erfahrung schöpfen. Und wir können leider auch nichts von dem, was wir jetzt lernen, in Zukunft noch gebrauchen.“
„Wir packen es an. Es sind tolle junge Menschen, und sie glauben ja auch an uns“
Eine Spezialsituation, die herausfordernd ist, „viel Mehrarbeit bedeutet“, so Datta. Er hat sich trotzdem fest vorgenommen: „Wir packen das. Der weiße Jahrgang, das sind tolle junge Menschen, die im Übrigen ja auch an uns glauben“.
Phil (17) bestätigt das. Er war vorher auf einem anderen Mülheimer Gymnasium und muss eine Ehrenrunde drehen: „Das hier macht richtig Spaß. Es ist gut organisiert und man merkt, dass die Lehrer Lust darauf haben.“ Izzet (16) und Raffael (17) freuen sich, dass sie nach wenigen Tagen schon neue Freunde hatten und dass der Jahrgang gut harmoniert. Das Karl Ziegler als Bündelungsschule – das funktioniere. Leise Kritik gibt’s dennoch: „Das Gebäude ist zu klein und es gibt viel zu viele Schüler“, findet Latikaa. Und die Pausen sind zu kurz, sagt Mryana. „Die Mensa ist immer überlaufen und zu teuer. Ich muss also zum Bäcker in die Innenstadt und das schaffe ich nicht in den 15 Minuten.“