Mülheim. Was ist, wenn Austauschpräparate auch nicht mehr verfügbar sind? Ein Mülheimer Hausarzt blickt mit Sorge auf den kommenden Herbst und Winter.

„Es kann kritisch werden“, prognostiziert Allgemeinmediziner Dr. Stephan von Lackum mit Blick auf Herbst und Winter und spricht bereits jetzt von einer Schieflage bei manchen Medikamenten. Der niedergelassene Hausarzt und Vorsitzende der Mülheimer Kreisstelle der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNO) sagt: „Wir haben jetzt schon die Situation, dass wir einige Medikamente gar nicht haben. Manche Medikamente können wir austauschen – aber dieses Austauschen geht ja nur solange, wie die Ausweichpräparate noch da sind.“

Dabei könne man etwa nicht jedes Antibiotikum durch ein anderes ersetzen, erklärt von Lackum, gleiches gelte für gewisse Kreislaufmedikamente und solche bei Diabetes. „Das kann für die Betroffenen kritisch werden, gerade für Vorerkrankte, chronisch Kranke und stark gefährdete Patienten, wie nach einer Chemotherapie.“

Mülheimer Betroffene bekam Arznei nicht: „Das ist echt Mist, wenn du es brauchst.“

Dr. Stephan von Lackum ist niedergelassener Hausarzt in Mülheim-Speldorf und Vorsitzender der Mülheimer Kreisstelle der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNO).
Dr. Stephan von Lackum ist niedergelassener Hausarzt in Mülheim-Speldorf und Vorsitzender der Mülheimer Kreisstelle der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNO). © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Birgit König hat es schon erlebt. Die Mülheimerin berichtet: „Ich habe Diabetes, letztens habe ich mein Ozempic in fünf Apotheken nicht bekommen. Das ist echt Mist, wenn du es brauchst.“ Betroffen ist auch Guido Schramm: „Ich habe zwar bisher kein Problem beim Insulin gehabt, aber bei Ozempic sah das anders aus, da es in den Medien als Mittel zur Gewichtsabnahme angepriesen wird.“

Auch für Bine Koch gleicht der Gang in die Apotheke mitunter einem Glücksspiel: „Mein Mann ist seit 2000 auf Oxigesic. Plötzlich war das nicht zu bekommen, dabei ist er darauf angewiesen, kann schwere Entzugserscheinungen bekommen. Das Ausweichmittel musste noch höher dosiert werden, um annähernd an sein Medikament dran zu kommen.“

Um Szenarien wie diese zu vermeiden, fordert der Mülheimer Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung, dass „die Länder und die Bundesregierung sich durch Zukäufe der wichtigsten Medikamente für den Winter bevorratet“. Zwar dürfe die Industrie ihre Produktion für bestimmte Substanzen durch eine neue Gesetzgebung hochfahren und auch in Deutschland produzieren, doch von Lackum mahnt: „Das geht ja nicht diesen Winter, es dauert Jahre, bis die Bedarfe gedeckt sind.“

Mülheimer Apotheker: „Rücksprache mit Arztpraxen bindet immens Arbeitskraft“

„Es fehlen aktuell einige Mittel“, berichtet auch Peter Lamberti aus seiner Phönix-Apotheke in Styrum. Vor allem Antibiotika wie etwa das Breitband-Präparat Amoxicillin als Saft für Kinder seien derzeit nur schwer bis gar nicht zu bekommen, sagt der Sprecher der Mülheimer Apotheker.

Peter Lamberti ist Sprecher der Mülheimer Apotheker und Apothekerinnen.
Peter Lamberti ist Sprecher der Mülheimer Apotheker und Apothekerinnen. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

In manchen Fällen könne man auf andere Produkte ausweichen – das erfordere aber zumeist die Rücksprache mit dem Arzt. „Das bindet immens Arbeitskraft“, schildert der Apotheker. Teils könne sich die Apotheke damit behelfen, ein Medikament in einer anderen Stärke herauszugeben und dem Kunden dann genau die Einnahme zu erklären, damit er die verordnete Wirkstoffmenge erhält.

Was die Austauschbarkeit von Medikamenten angeht, habe die Bundesregierung immerhin kürzlich durch eine Gesetzesänderung für Erleichterung gesorgt, sagt Lamberti. Apotheker dürfen demnach durch eine inzwischen entfristete Sonderregelung ein anderes Medikament mit dem gleichen Wirkstoff herausgeben – ohne Rücksprache mit dem Arzt zu halten.

Bei Schmerz- und Fiebermitteln habe sich die Lage hingegen mittlerweile entspannt, registriert der Apotheker-Sprecher. Auch er hält eine unabhängige Medikamentenproduktion in Europa für wünschenswert. Mit Blick auf Herbst und Winter hofft Lamberti, dass die Infektionswelle nicht so stark ausfallen wird wie im vergangenen Jahr – damals hatte man die hohe Anzahl an Infektionen mit einer Art Nachholeffekt aus der Corona-Zeit erklärt. „Dann müsste es in diesem Jahr eigentlich milder verlaufen, aber in die Glaskugel gucken kann niemand.“

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