Mülheim. Monika C. wurde als Kind von ihrem Opa sexuell missbraucht. Begriffen hat sie das erst als Erwachsene. Lange ahnte sie, dass etwas nicht stimmt.
Ein bisschen Kind steckt in jedem von uns – ganz egal, wie erwachsen wir sind. Äußern kann sich das im Positiven, etwa durch Rumalbern und Lachen, oder aber im Negativen durch Zweifel und Ängste. Monika C. ist zwar 53 Jahre alt, aber bis heute ist da diese kindliche Stimme im Kopf, „die kleine Moni“, die sagt: „Das tut weh.“ Dabei, sagt Monika, habe sie das, was hinter ihr liegt, endlich verarbeiten können. Jahrzehnte, nachdem ihr eigener Großvater sie sexuell missbraucht hat, kann sie sagen: „Mittlerweile geht es mir gut.“
Mit Ende 20 erhält die Mülheimerin, die lieber anonym bleiben möchte, die Diagnose Depressionen. Nur wenige Jahre später, mit Mitte 30, scheidet sie aus dem Berufsleben aus, muss ihren geliebten Job als Kinderkrankenschwester aufgeben. An einen beruflichen Alltag ist für Monika C. nicht zu denken, sie ist erwerbsunfähig. „Alles, was spontan auf mich zukam, hat mich überfordert.“ Zu den Depressionen gesellt sich Fibromyalgie, eine chronische Schmerzerkrankung – „Es ging mir körperlich immer schlechter.“ Zu den körperlichen Beschwerden kommt die Rastlosigkeit hinzu. Da sind diese Puzzleteile, kleine Erinnerungen und Bruchstücke aus ihrer doch so behüteten Kindheit, die Monika C. stutzig werden lassen. Das Gedankenkarussell steht nie still. Ihr Gefühl sagt ihr: „Irgendwas stimmt da nicht.“
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Mülheimerin kommt ihrem Trauma näher, wird aber immer kränker
Je näher sie gedanklich ihrem Trauma kommt, umso schlechter wird ihr körperlicher Zustand. „Es war wie eine Mauer, mein Körper hat sich gewehrt.“ Eines Tages, „2004 war das“, verlässt Monika C. gerade das Zimmer nach einem Therapiegespräch, als sie eine deutliche Erinnerung überrollt. „Ich hatte die Klinke noch in der Hand und stand plötzlich auf dem Flur“, erinnert sie sich zurück. In ihrem Kopf sieht sie Szenen. Sie als Kind bei ihrem Opa. „Mit einem Schlag war mir klar: Du bist missbraucht worden.“
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Die Erinnerungen sind verschwommen, liegen Jahrzehnte zurück, lange vom Körper unterdrückt. Ein Schutzmechanismus, weiß Monika C. heute. „Ich wollte das verpackt lassen.“ Das Bild fügt sich, vermeintlich ulkige Anekdoten aus der Kindheit jagen ihr gepaart mit der neuen Erkenntnis Schauer über den Rücken. „Als Kind habe ich mich auf dem Spielplatz wohl oft ausgezogen“, erzählt die 53-Jährige. „Da hieß es dann: Die Moni macht sich eben gerne nackig!“ Oder als sie als Dreijährige im Krankenhaus landet, weil sie tagelang Essen und Trinken verweigert. „Welches gesunde Kind macht das ohne Grund?“
„Ich habe oft an mir und meinen Erinnerungen gezweifelt“
Es braucht viele Jahre, ehe Monika C. begreift, was ihr widerfahren ist, und noch einige weitere, um es anzunehmen, zu akzeptieren. „Ich habe oft an mir und meinen Erinnerungen gezweifelt“, erzählt sie. Beweise gibt es keine, ihren Großvater fragen kann Monika C. nicht mehr – „Er ist gestorben, als ich 14 war.“ Ihre Mutter – und Tochter des Großvaters – wiegelt Erinnerungen ihrer Tochter ab. „Wie war das damals, als ich im Krankenhaus war, weil ich nichts mehr gegessen habe? Da hat sie nur gesagt, sie weiß das alles nicht mehr so genau.“
Über den Punkt, etwas aufklären zu wollen, ist die Mutter einer 16-Jährigen längst hinaus, wie sie selbst sagt. „Ich weiß, was mir passiert ist, aber in der Vergangenheit zu bohren, bringt mich nicht weiter.“ In der Opferrolle sieht sie sich nicht, zumindest nicht mehr. „Das ist jetzt ein Teil von mir und hat mich zu der Frau gemacht, die ich bin.“ Zu dieser Erkenntnis zu erlangen, hat viel Kraft und Zeit gekostet. „Im Grunde habe ich erst vergangenen Sommer damit Frieden geschlossen“, sagt Monika C. Die Neugierde zu erfahren, was genau damals mit ihr passiert ist, konnte sie hinter sich lassen. So wie ihren Opa mit acht Jahren, als die Eltern mit ihr wegzogen. „Rückblickend vielleicht auch ein Schutzmechanismus. Das kann ich aber nur vermuten, wir haben nie darüber gesprochen.“
Mit ihren Erfahrungen möchte Monika C. anderen Geschädigten helfen und hat deshalb eine Selbsthilfegruppe initiiert. Lesen Sie hier mehr dazu.