Mülheim. In Mülheim kamen Profis und Private zusammen, um über das Trauern zu sprechen. Ihre Botschaft lässt hoffen: Es gibt Wege aus dem tiefen Schmerz.

„Reden wir über unsere Trauer!“ Das galt für den ersten Thementag Trauer, zu dem das Trauernetz Mülheim am Samstag auf den Kirchenhügel eingeladen hatte. Rund 100 Frauen und 30 Männer folgten dem Aufruf, nicht nur aus beruflichem, sondern auch aus persönlichem Interesse. „Wir haben eine gute, große Resonanz bekommen. Es zeigt uns, dass das, was wir hier tun, richtig ist und von den Menschen gebraucht wird“, so der Koordinator des Trauernetzes, Krankenhausseelsorger Berthold Boenig.

Nicht nur er kann sich nach der gelungenen Premiere mit Workshops und einem Markt der Möglichkeiten die Fortsetzung des Thementages Trauer vorstellen. Ob Tod, Krankheit oder Trennung – die Gespräche zwischen Petrikirche, Petrikirchenhaus und Marienkirche zeigten: Trauern und Abschiednehmen will in verschiedenen einschneidenden Situationen gelebt werden.

„Wir müssen wieder lernen, unsere Trauer zu zeigen und über sie zu sprechen“

Familientrauerbegleiterin Mechthild Schroeter-Rupieper, deren anschaulicher Eingangsvortrag vielfach gelobt wird, sagt: „Wir müssen wieder lernen, unsere Trauer zu zeigen und über sie zu sprechen. Wenn wir unsere Trauer unterdrücken, sind wir wie ein Schnellkochtopf ohne Sicherheitsventil. Dann explodieren wir irgendwann, in dem wir Aggressionen und Depressionen entwickeln.“

Autorin Mechthild Schroeter-Rupieper beim Trauertag am Petrikirchenhaus. Bekannt ist sie unter anderem für ihre Therapiegruppen für Kinder und Jugendliche, die Eltern verloren haben. Auch in Mülheim hat sie schon Gruppen angeboten.
Autorin Mechthild Schroeter-Rupieper beim Trauertag am Petrikirchenhaus. Bekannt ist sie unter anderem für ihre Therapiegruppen für Kinder und Jugendliche, die Eltern verloren haben. Auch in Mülheim hat sie schon Gruppen angeboten. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Schroeter-Rupieper plädiert dafür, „dass Trauerbegleitung Teil der Lehreraus- und -fortbildung wird“. Dass eine solche helfen kann, traumatische Trauer- und Abschiedserfahrungen so zu verarbeiten, „dass das eigene Leben mit Narben im Herzen und anders als vorher, aber trotzdem gut weitergehen kann“, weiß Schroeter-Rupieper aus ihren Therapiegruppen, die sie auch schon in Mülheim für Kinder und Jugendliche angeboten hat, die zum Beispiel ihre Eltern verloren haben.

Verwandte bei Flugzeugabsturz verloren: „Doch ich wurde mit meiner Trauer gesehen“

„Ich wurde mit meiner Trauer gesehen und es hat mir gutgetan, dass ich einen speziellen Raum hatte, in dem ich mit Menschen über meine Trauer sprechen konnte, die mich aufgrund ihrer eigenen Erfahrung verstehen konnten“, sagt die 25-jährige Enya Korrytko, die heute als Trauerbegleiterin und Ergotherapeutin im Marienhospital arbeitet.

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Korrytko hat vor acht Jahren Freunde und Verwandte verloren, die mit der Germanwings-Maschine abstürzten, die ein depressiver Copilot auf dem Rückflug aus Barcelona gegen eine Bergwand in den französischen Alpen gesteuert hatte. Dass sie ihre traumatische Trauer überwinden und ihren Lebensweg weitergehen konnte, führt sie auch darauf zurück, „dass ich in den dreieinhalb Jahren der Trauergruppenarbeit mit Mechthild Schroeter-Rupieper Werkzeuge an die Hand bekommen habe, die mir auch heute und morgen helfen können, meine Trauer aktiv zu gestalten“.

„Viele Männer handeln noch immer nach dem Motto: Das mache ich mit mir selbst aus“

Sabine Dams, die in der Evangelische Ladenkirche und für die Stadtdienste der PIA arbeitet, ist sich mit Schroeter-Rupieper einig, „dass sich Männer noch schwerer als Frauen damit tun, ihre Trauer zu zeigen und darüber zu sprechen, weil ihnen die väterlichen Vorbilder fehlen“ und weil viele immer noch nach dem Motto handelten: ,Das mache ich mit mir selbst aus’.

„Reden wir über unsere Trauer!“ Rund 100 Frauen und 30 Männer kamen zum Trauertag. Die Stände waren zwischen Petrikirche und Petrikirchenhaus aufgebaut.
„Reden wir über unsere Trauer!“ Rund 100 Frauen und 30 Männer kamen zum Trauertag. Die Stände waren zwischen Petrikirche und Petrikirchenhaus aufgebaut. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Dass das keine gesunde Strategie ist, weiß auch Peter Behmenburg vom gleichnamigen Pflegedienst. Mit einer Frau, die ihren demenzkranken Mann bis zum Tod gepflegt hat, leitete Behmenburg den Workshop Trauer und Demenz. Sein Resümee: „Unsere Trauer über einen schmerzlichen Abschied in Raten muss raus. Und dafür brauchen wir Menschen, mit denen wir darüber sprechen und die uns – etwa in Form einer Angehörigengruppe oder einer Tagespflege – entlasten und stärken können.“

„Pflegekräfte mehr wertschätzen, besser bezahlen und besser ausbilden“

Entlastung brauchen auch jene Pflegekräfte und Mitarbeitende in Sozialen Diensten, die in ihrem körperlich und emotional anstrengenden Arbeitsalltag ständig mit Tod, Trauer und Abschied konfrontiert werden. Für Krankenschwester und Alltagsbegleiterin Beate Ader „funktioniert das aber nur, wenn wir diese Menschen mehr wertschätzen, besser bezahlen, besser ausbilden und ihnen vor allem verlässliche Arbeits- und Freizeiten garantieren“.

Für ihre Thementagskollegin Frauke Walter, die im Sozialen Dienst der Evangelischen Altenhilfe arbeitet, war die Veranstaltung des Trauernetzes Mülheim, das unter trauernetz-mh.de auch im Internet zu finden ist, ein Anstoß, „um Kontakt mit dem Ambulanten Hospiz aufzunehmen, um gemeinsam zu überlegen, wie man Mitarbeitende in der Pflege und im Sozialen Dienst dabei unterstützen kann, ihre alltägliche Trauererfahrung so zu bewältigen, dass sie seelisch gesund und handlungsfähig bleiben“.

Als nächstes plant das Trauernetzwerk am 19. November 2023 um 17 Uhr eine stadtweite Segenszeit für Trauernde.