Mülheim. Die Ökumenische Trauerbegleitung in Mülheim holt Menschen aus der Einsamkeit. Wie Verlust sich anfühlt, wissen alle aus persönlicher Erfahrung.

Die stillen Feiertage liegen fast alle im November. Doch Trauer trifft Menschen zu jeder Jahreszeit. Um sie aufzufangen, gibt es in Mülheim die Ökumenische Trauerbegleitung links der Ruhr. Wir haben sieben Aktive aus diesem Kreis zum Gespräch getroffen.

Worüber trauern die Menschen, die zu Ihnen kommen?

Andrea Schlüter: Sie haben fast immer einen Todesfall erlebt. Oft kommen wir schon bei Beerdigungen mit Angehörigen in Kontakt.

Britta Dickhoff-Quijs: In meinen Gruppen ist es etwas anders: Sie werden von einigen Teilnehmern schon im Vorfeld besucht, wenn etwa die Mutter zu sterben droht. Das Thema heißt generell „Leben mit dem Verlust“, das kann auch eine Trennung oder Scheidung sein. Einmal kam allerdings ein älteres Paar, das wollte sich schon prophylaktisch auf den Verlust des Partners vorbereiten. Die habe ich wieder weggeschickt. Das geht nicht, unter all den Trauernden.

Suchen Männer und Frauen gleichermaßen Hilfe?

Der Friedhof in Broich.
Der Friedhof in Broich. © Hans Blossey

Bernd Heßeler: In den Gruppen sind in der Regel mehr Frauen, weil sie im Durchschnitt älter werden und ihre Partner überleben. Sie gehen ihre Trauer auch dynamischer an als Männer.

Delia Blömer: Wenn ein Paar vielleicht 50 Jahre zusammen war und dann der eine stirbt, ist das sehr schwierig. Gerade für betagte Personen ist es ganz wichtig, einen solchen Schritt zu tun und sich nicht zurückzuziehen.

Früher haben verwitwete Frauen längere Zeit Schwarz getragen, waren also auf den ersten Blick als Trauernde erkennbar. Gibt es das heute auch noch?

Delia Blömer: Sehr selten. Im Trauercafé habe ich erst ein einziges Mal eine Frau getroffen, die Schwarz getragen hat.

Britta Dickhoff-Quijs: Als mein Sohn gestorben ist, wollte ich gar nichts anderes als Schwarz tragen. Denn Farbe ist ja auch Ausdruck der Seele.

Sind Sie Trauerbegleiterin geworden, weil Sie selber einen Schicksalsschlag erlebt haben?

Britta Dickhoff-Quijs: Ja. Direkt nach meinem Psychologiestudium hatte ich das Bedürfnis noch nicht. Erst seit dem Tod meines Sohnes kann ich Trauernde ganz anders empfangen.

Haben alle in dieser Runde ähnliche Erfahrungen gemacht?

(Alle nicken.)

Wie lange dauert Trauer?

Bernd Heßeler: Sie verschwindet nie ganz. Sie verändert sich aber im Laufe der Zeit.

Delia Blömer: Selbst nach Gruppen, die sehr intensiv arbeiten, fragen Teilnehmer: „Der Kurs ist vorbei, und was jetzt?“ Darum haben wir im Weiteren auch Angebote geschaffen, bei denen sich die Menschen nur noch seltener treffen, drei bis vier Mal im Jahr.

Kann man sich für die Trauergruppen mehrfach hintereinander anmelden? Vielleicht über Jahre?

Viele stille Trauertage sind im November..
Viele stille Trauertage sind im November.. © Karoline Poll

Martin Bader: Nein, das geht nicht. Wir wollen keine Kuschelecken schaffen. In „trauern“ steckt ja auch das Wort „trauen“.

Woran liegt es, dass offenbar immer mehr Menschen Trauerbegleitung brauchen?

Martin Bader: Viele alte Leute stehen alleine da, wenn beispielsweise die Kinder nicht mehr greifbar sind. Und natürlich hat auch die Kirche ihre Bedeutung als Peergroup verloren. Trauer führt oft zu Rückzug, Einsamkeit. Wir versuchen, wieder Kontakt herzustellen.

Andela Canzler-Hiegemann: Besonders bei Leuten, die jahrelang ihre Angehörigen zu Hause gepflegt haben, sind manchmal alle sozialen Kontakte abgebrochen.

Unterstützen Sie auch Kinder oder Jugendliche, die jemanden verloren haben?

Bernd Heßeler: Kinder- und Jugendarbeit machen wir nicht, denn dafür braucht man eine spezielle Ausbildung. Es gibt solche Angebote in anderen Städten. Wir wollen es aber angehen.

Andrea Schlüter: Diese Fortbildungen sind rar gesät und mit erheblichem finanziellen und zeitlichen Aufwand verbunden. Wir hatten aber schon mal Jugendliche im Trauercafé.

Können Sie unterscheiden, ob jemand trauert oder schon an einer Depression leidet?

Bernd Heßeler: Das lernt man in der Ausbildung als Trauerbegleiter.

Andela Canzler-Hiegemann: Es gibt bestimmte Anzeichen für eine Depression, auf die wir auch achten: Schlaflosigkeit, Morgentief, starke Stimmungsschwankungen, Ess-Störungen, körperliche Leiden.

Delia Blömer: Wir haben ein Netzwerk aufgebaut und für solche Fälle auch Ansprechpartner im St. Marien-Hospital.

Man sagt, die dunkle Jahreszeit drückt aufs Gemüt. Ist das auch Ihre Erfahrung?

Martin Bader: Nicht unbedingt. Zeiten der Trauer sind sehr individuell und oft mit Erinnerungen verbunden. Wenn der Hochzeitstag kommt oder der Baum im Garten Blüten trägt, den man gemeinsam gepflanzt hat.

Angelika Leuers: Gerade schönes Wetter kann auch eine Konfrontation sein. Die Sonne scheint, allen geht es gut...

Andrea Schlüter: Ich glaube schon, dass die Jahreszeit eine Rolle spielt. Aus diesem Grund haben wir extra einen Gesprächskreis für Trauernde im Herbst.

>>>Die Teilnehmenden der Gesprächsrunde

An dem Gespräch haben teilgenommen: Bernd Heßeler (Trauerbegleiter), Delia Blömer (Trauerbegleiterin), Andrea Schlüter (Gemeindereferentin), Martin Bader (Diakon), Andela Canzler-Hiegemann (Heilpraktikerin für Psychotherapie), Dr. Britta Dickhoff-Quijs (Psychotherapeutin) und Angelika Leuers (Atemtherapeutin).

Damit war fast das komplette Team der Ökumenischen Trauerbegleitung links der Ruhr vertreten. Außerdem gehören Pfarrer Christoph Pfeiffer, Barbara Bartel und Eva.-M. Stiepermann dazu.