Müheim. Ein Mülheimer Netzwerk fängt Trauernde auf, nicht nur im November. Drei Ehrenamtliche schildern ihre Erfahrungen, auch mit belastendem Erbstreit.

Allerheiligen, Allerseelen, Volkstrauertag und Ewigkeitssonntag. Der Monat November steht unter dem Vorzeichen von Tod, Trauer und Gedenken. Vor diesem Hintergrund beschreiben die ehrenamtlichen Begräbnisleiter Bernd Heßeler und Annegret Tewes aus der Pfarrgemeinde St. Mariä Himmelfahrt und die ebenfalls in der ökumenischen Trauerbegleitung Links der Ruhr und im Trauernetzwerk Mülheim aktive Psychotherapeutin Dr. Britta Dickoff, warum sie sich in einem Bereich engagieren, den die meisten Menschen meiden und tabuisieren.

Warum treffen wir Sie heute bei einer Buchausstellung in Kloster Saarn?

Bernd Heßeler: Wir stellen hier Literatur zum Thema Tod und Trauer vor, weil wir festgestellt haben, dass es zumindest nach der ersten Phase der Trauer hilfreich sein kann, etwas darüber zu lesen, wie andere Menschen ihren Trauerprozess erlebt und gemeistert haben. So erfahren die Trauernden: Das ist ja wie bei mir. Ich bin ja gar nicht verrückt, sondern durch meine Trauer nur verrückt in eine andere Welt. Zudem ist die hiesige Bibliothek ein guter Treffpunkt, um aus der Isolation heraus- und mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen.

Mülheimer engagieren sich ehrenamtlich in der Trauerbegleitung

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Warum engagieren Sie sich, neben ihrem Beruf als Krankenschwester und Heilpraktikerin, als ehrenamtliche Begräbnisleiterin?

Annegret Tewes: Ich möchte als Begräbnisleiterin, auch vor dem Hintergrund meiner eigenen Trauererfahrungen, sowohl den Verstorbenen als auch den Hinterbliebenen einen würdigen Abschied gestalten und den Trauernden das Gefühl geben, dass ich offen und bereit bin, mit ihnen über ihre Trauer zu sprechen. Das wird von den Menschen dankbar angenommen. Dies gilt auch für das Gleichnis vom Regenbogen, das ich gerne nutze, um den Trauernden zu zeigen, dass der Regenbogen, als ein göttliches Hoffnungszeichen, dort am Himmel steht, wo die Wolken am dunkelsten sind.

Warum werden Tod, Trauer, Abschied und Bestattung in unserer modernen Gesellschaft tabuisiert?

Bernd Heßeler: Wir Deutschen sind sehr regelfixiert. Wir fragen zuerst: Was darf ich? Doch wenn es um Tod, Trauer und Abschied geht, sollten wir uns zunächst mal fragen: Was brauche ich in dieser Ausnahmesituation? Deshalb ist es uns auch wichtig, die Bestatter in unser Trauernetzwerk mit einzubeziehen. Und wir sehen, dass immer mehr Bestatter dafür sensibel sind, wie man einen Abschieds- und Bestattungsprozess individuell gestalten kann, um Trauer zu ermöglichen und nicht zu verdrängen.

Ein anderer Umgang mit dem Tod wäre wünschenswert

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Heute sterben viele Menschen in Pflegeheimen und Krankenhäusern. Müssen wir zurück in die Vergangenheit, in der die Menschen zuhause im Kreise ihrer Familien starben und dann auch zuhause aufgebahrt wurden?

Annegret Tewes: Ich glaube, dass wir wieder einen anderen Umgang mit dem Tod brauchen. Sicher wäre das auch aus christlicher Sicht wünschenswert. Aber wir sollten nicht bewerten, sondern Menschen in der Trauer Mut machen.

Kann eine gute Trauerfeier Hinterbliebene trösten?

Bernd Heßeler: Das Kondolenzgespräch ist wichtig. Hier geht es für mich vor allem um das Zuhören. Was war das für ein Mensch? Wie haben seine Hinterbliebenen mit ihm gelebt und ihn erlebt? Das ist viel wichtiger, als die Klärung, welches Lied bei der Trauerfeier gespielt werden soll. Nur so kann eine Trauerfeier für die Hinterbliebenen authentisch und tröstlich werden.

Annegret Tewes: Ich versuche, den Menschen persönlich etwas mitzugeben, was sie berührt und tröstet. Gerne erinnere ich mich an eine Trauerfeier, vor der ich die handgeschriebene Lebensgeschichte des Verstorbenen lesen durfte. Dies konnte ich in meine Ansprache und in die Fürbitten mitnehmen. Und es hat mich damals sehr angerührt, dass die Hinterbliebenen meine Worte immer wieder zustimmend kommentiert haben und mir im besten Sinne ins Wort gefallen, sind: „Ja. Genau so war es. Genauso war er!“ Mir erscheint es besonders wichtig, dass die Hinterbliebenen eine Brücke zueinander finden und anerkennen, dass jeder anders trauert.

Trauernde auch am Arbeitsplatz nicht allein lassen

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Und was kommt nach der Trauerfeier?

Bernd Heßeler: Wichtig ist es, Trauernde nicht allein zu lassen, mit ihnen im Gespräch zu bleiben und sie immer wieder in die Gemeinschaft hinein zu holen, ob im Rahmen eines Trauercafés oder eines Trauerseminars oder auch in der Gemeinde, in der Nachbarschaft, am Arbeitsplatz. Auch hier sollte man den Trauernden nicht aus dem Weg gehen. Deshalb ist es dem Bundesverband der Trauerbegleiter auch ein Anliegen, dass in jedem Betrieb mindestens ein Mitarbeiter zum Trauerbegleiter qualifiziert wird.

Ist der November mit seinen Trauertagen für Trauerende ent- oder belastend?

Bernd Heßeler: Wir haben bei unserer Allerheiligenandacht, bei unseren Grabsegnungen, aber auch bei unseren Gesprächen am Grab erlebt, dass es Hinterbliebenen ein tröstliches Bedürfnis ist.

Was sagen Sie Trauernden als Psychotherapeutin mit eigenen Trauererfahrungen?

Britta Dickkoff: Jeder Mensch muss seine eigenen Trauererfahrungen machen. Die kann einem niemand abnehmen. Aber ein Gespräch kann helfen, wenn man keine guten Ratschläge gibt, sondern zusammen mit dem Trauernden Ideen entwickelt, wie sein Leben ohne den Verstorbenen weitergehen kann, und ihn darin ermutigt, den eigenen Weg weiterzugehen. Leider kommt es in der Trauerphase immer wieder zu belastenden Streitigkeiten zwischen Hinterbliebenen, wenn zum Beispiel ein Erbe oder die Gestaltung der Trauerfeier im Raum steht. Ich selbst habe die Erfahrung gemacht, dass Literatur - zum Beispiel die Gedichte von Hermann Hesse, Else Lasker-Schüler, Hilde Domin und Mascha Kaleko - Trauernde sehr gut trösten und ihnen Mut zum eigenen Weiterleben machen kann.