Mülheim. Die Kosten für Heizenergie und Strom sind teils explodiert. Viele fürchten hohe Nebenkostennachzahlungen. Mülheimer Experten bewerten die Lage.
Die Energiekrise mit ihren massiven Preissprüngen bei Strom und Gas wird in nächster Zeit bei zahlreichen Mülheimerinnen und Mülheimern im Briefkasten landen – mit der Jahresabrechnung der Nebenkosten. Doch was tun, wenn einen die Zahlen erschlagen? Was, wenn kein Geld für hohe Nachzahlungsforderungen da ist? Mülheimer Energieversorger, Mietrechtsexperten und der Chef der Eigentümervertretung geben Antworten.
Für viele ist es ungeliebte Post: die Betriebskostenabrechnungen, die Vermieter nach Ende der Abrechnungsperiode versenden. Nach dem exorbitant hohen Anstieg von Strom- und Heizkosten fürchten viele, dass mit der Abrechnung für 2022 der Nachzahlungsschock kommt. Noch scheint es vergleichsweise ruhig zu sein, spiegeln Experten – die Welle aber wird kommen, spätestens im zweiten Halbjahr.
Energieversorger Medl und Eon bieten säumigen Kunden in Mülheim Ratenzahlungen an
Um die finanziellen Forderungen möglichst gering zu halten, versuchen Vermieter und Energieversorger vorausschauend zu agieren. „Wir suchen mit den Kunden den Dialog und bieten frühzeitig Hilfe an, wenn jemand in finanzielle Schwierigkeiten gerät“, schildert Jan Hoffmann, Leiter Vertrieb beim örtlichen Energieversorger Medl, und skizziert: „Wer mit einer hohen Nachzahlung der Gasrechnung überfordert ist, kann etwa einen Antrag auf Unterstützung durch das Jobcenter stellen. Das geht unter bestimmten Voraussetzungen selbst dann, wenn man berufstätig ist.“
Noch sind die Jahresverbrauchsabrechnungen der Medl für 2022 an Privatverbraucher nicht verschickt, das wird erst im Juli der Fall sein, kündigt der Vertriebsleiter an. Was der örtliche Strom- und Gasversorger allerdings schon überblicken kann, sind die Mahnungen, die aufgrund von Zahlungsrückständen in den vergangenen Monaten verschickt worden sind: „Im Jahr 2022 wurden im Durchschnitt 1084 Mahnungen je Mahnlauf versendet, bei unserem letzten Mahnlauf waren es 1042 Mahnungen. Insgesamt ist also keine bedeutende Veränderung feststellbar.“
Flattert Medl-Kunden eine Mahnung ins Haus und wird es eng, die Nachforderung mit einem Mal zu zahlen, dem bietet das Unternehmen Ratenzahlung an. „Außer wenn in der Vergangenheit negative Erfahrungen mit dem Kunden gemacht wurden“, schränkt Hoffmann ein. Zudem würde im Notfall Kontakt zu Beratungsstellen wie Caritas und Awo vermittelt. Ähnlich ist das Bild auch bei Grundversorger Eon: „Wir sehen aktuell keine Zunahme von Zahlungsschwierigkeiten bei unseren Kunden. Generell setzen wir darauf, sie bestmöglich zu unterstützen. Dazu gehören etwa langfristige zinsfreie Ratenpläne sowie Zahlhilfeprogramme.“
Mülheims Energieversorger Medl droht derzeit öfter an, den Gashahn abzusperren
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Im Gegensatz zu den Mahnungen registriert die Medl aber einen leichten Anstieg bei den Sperrankündigungen. Hoffmann verdeutlicht: „Vergleichsweise mehr Kunden befinden sich nach einer Mahnung so lange im Rückstand, bis die Sperrung angekündigt wird. Die Leute strecken ihr Zahlungsziel bis aufs Äußerste.“ Zumeist aber bleibe es bei der Androhung: Die tatsächlichen Sperrungen für Gaszähler – „unser wirklich letztes Mittel“ – würde selten ausgereizt. Im laufenden Jahr gab es seitens der Medl bislang 24 Sperrungen, damit seien „die Zahlen leicht rückläufig“. Das aber auch, weil der Gesetzgeber die Hürden für eine Sperrung im Zuge der Energiekrise höher gelegt habe, erklärt Hoffmann.
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Auch beim Energiedienstleister Eon heißt es: „Bis eine Sperrung angekündigt und dann tatsächlich durchgeführt wird, vergeht in der Regel ein längerer, meist mehrwöchiger Prozess, in dem wir aktiv mit dem Betroffenen nach einer Lösung suchen.“
Mülheimer Vermieter schlagen Mietern vor, freiwillig die Vorauszahlungen zu erhöhen
Was die Energiepreisbremse anbelangt, sieht Medl-Vertreter Hoffmann nicht sofort Entlastungen für alle Kundinnen und Kunden: „Es kann sein, dass es aufgrund von bestimmten Tarifkonstellationen in Ausnahmefällen zunächst zu erhöhten Abschlägen kommt. Dies hängt mitunter mit der von der Bundesregierung vorgegebenen Berechnungsmethodik der Abschläge zusammen. Mit der Jahresverbrauchsabrechnung im Juli wird sich das aber relativieren und wir erwarten, dass alle Kunden im Sommer eine Rückzahlung bekommen.“
Auch Vermieter halten derzeit die Preisentwicklung gerade bei der Heizenergie genau im Blick. Denn wer vermietet, geht für seine Mieter bei der Bezahlung der Heizungsrechnung in aller Regel in Vorleistung. Heizkosten, die teils um das Doppelte oder Dreifache gestiegen sind, belasten daher auch private Eigentümer. Das bestätigt Christian Reiff, Geschäftsführer des Mülheimer Eigentümerverbandes Haus und Grund.
Vermieter haben ein Jahr lang Zeit, um die Nebenkostenabrechnung zu erstellen
„Viele unserer Mitglieder haben bereits im vergangenen Jahr – mit Beginn der enormen Preissteigerungen – das Gespräch mit ihren Mietern gesucht und höhere Vorauszahlungen für die Betriebskosten vorgeschlagen“, schildert Reiff. Denn er beobachtet, dass Mitglieder der Vermietervertretung in Sorge sind, dass Mieter hohe Nachzahlungen nicht begleichen können. Niemand wolle auf Kosten sitzenbleiben.
Eine höhere Vorauszahlung aber sei stets freiwillig. „Eine Erhöhung durch den Vermieter kann nur Resultat sein aus der letzten Abrechnung“, so der Haus-und-Grund-Chef, dem Nebenkostenabrechnung für das Jahr 2022 in seiner Beratungstätigkeit derzeit noch nicht begegnen, denn: „Vermieter haben ein ganzes Jahr Zeit, Jahresabrechnung zu erstellen.“ Deshalb rechnet Reiff erst zum Ende dieses Jahres mit steigendem Beratungsbedarf in der Thematik.
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Dass die Nebenkostenabrechnung für manche im Laufe des Jahres zum bösen Erwachen führen wird, fürchtet auch Sonja Herzberg, Fachanwältin für Miet- und Wohnungseigentumsrecht und im Vorstand des Mieterbundes Rhein-Ruhr. Vorauszahlungen freiwillig anzuheben, sei ein probates Mittel, um sich vor hohen Nachforderungen zu wappnen, sagt die Rechtsanwältin.
Mieterbund registriert auch in Mülheim: Gerade Familien ächzen unter dem Kostendruck
Doch nicht jeder, der beim Mieterbund Rat sucht, könne diesen finanziellen Mehraufwand leisten. Durch die immensen Teuerungen im Alltag befänden sich viele in einem Dilemma. „Das trifft längst auch den Mittelstand: Familien mit Kindern, die bis dato gerade so über die Runden gekommen sind, müssen extrem knapsen. Woher sollen die dann höhere Vorauszahlungen nehmen?“, fragt die Anwältin. Die Zahl an Privatinsolvenzen habe enorm zugenommen – die Betriebskosten beim Wohnen seien nur ein Puzzlestein im Gros der finanziellen Forderungen.
Immerhin habe der Gesetzgeber angesichts der Energiekrise eine große Anzahl an Unterstützungsmöglichkeiten auf den Weg gebracht wie das überarbeitete Bürgergeld, das höhere Wohngeld und die Anhebung der Pendlerpauschale – alles Maßnahmen, auf die der Mieterbund ratsuchende Klienten aufmerksam macht. Und zudem dringend empfiehlt, nicht nur für drohende Nachzahlungen bei der Nebenkostenabrechnung nach Möglichkeit etwas Geld zur Seite zu legen. Denn für Rechtsanwältin Herzberg ist klar: Die Welle rollt an.