Mülheim. Zu 2023 wird die Preisexplosion bei Strom und Gas das Gros der Mülheimer erreichen. Die Medl erhöht drastisch die Preise. Ob es Alternativen gibt.
Rund 45.000 Briefe hat Mülheims Energieversorgerin Medl zur Monatsfrist rausgeschickt. Schwarz auf weiß haben nun Abertausende Mülheimerinnen und Mülheimer, dass Strom und Gas zum Jahreswechsel sehr viel teurer werden.
Der Schreck hatte sich angekündigt, jetzt ist es so weit: Die Medl, Mülheims Gas-Grundversorger und für Tausende Haushalte auch Lieferantin für Strom, erhöht zum 1. Januar für die breite Masse ihrer Kundinnen und Kunden drastisch die Preise. Je nach vorherigem Tarif zahlen Verbraucher ab Januar mitunter Aufschläge, die einem Preisanstieg von weit mehr als 100 Prozent entsprechen.
Mülheims Medl konnte Preisexplosion lange von ihren Kunden fernhalten
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Lange hatte die Medl ihre Preise äußerst günstig halten können im Vergleich zu anderen Versorgern, die schon zum vergangenen Jahreswechsel oder im Verlaufe des Jahres kräftige Preiserhöhungen verkündet oder ihren Kunden gar komplett eine weitere Energielieferung versagt hatten. Die Medl hatte sich dafür selbst auf die Schalter klopfen dürfen. Ihre längerfristig ausgerichtete Beschaffungsstrategie ließ es zu, die Preise relativ lange so niedrig zu halten, dass die Preisexplosionen an den Energiemarktbörsen bei Mülheims Kunden noch nicht den lautren Knall gebracht hatten. Die Medl hatte in ihrem Portfolio da noch reichlich Gas- und Strommengen, die sie sich zu heute unvorstellbar günstigen Konditionen in den Vorjahren gesichert hatte.
„Die letzten 25 Prozent haben unsere Preise nun hart versaut“, drückt Medl-Vertriebsleiter Jan Hoffmann unverblümt aus, was die nötigen Zukäufe in diesem Jahr für Auswirkungen auf die aktuelle Preiskalkulation seines Hauses haben. Zur Begründung legt er Börsen-Charts vor, die die Börsenpreisentwicklung für Gas und Strom (da noch ohne staatliche Abgaben und anderes) im Jahresverlauf abbilden. Beispiel Gas: Anfang des Jahres sei die Megawattstunde für die Medl noch für knapp 46 Euro zu kaufen gewesen, aktuell liege der Preis dafür bei 143 Euro, nach dem Lieferstopp Russlands über die Ostsee-Pipeline sei es gar ein Preis von mehr als 300 Euro gewesen.
Wer sich ein Jahr lang an Mülheims Medl bindet, kommt glimpflicher davon
Aufgrund der Unsicherheiten und um das Risiko zu streuen, hat die Medl laut Hoffmann in diesem Jahr darauf gesetzt, immer wieder kleinere Mengen Energie an der Börse zuzukaufen. Im Ergebnis stehe in der Preiskalkulation für 2023 aber trotzdem jener erhebliche Preisanstieg, der jetzt 45.000-fach der Kundschaft angekündigt ist.
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So bietet die Medl den angeschriebenen Kunden nun zwei Alternativen an: eine Fortführung der Kundenbeziehung mit einem Vertrag mit einjähriger Laufzeit oder mit einem jederzeit kündbaren Vertrag. Letzteres käme die Kunden allerdings noch mal einiges teurer. Beispiel Gas: Bestandskunden bekommen die Kilowattstunde (kWh) bei einer Mindestvertragslaufzeit von einem Jahr für garantierte 14,98 Cent/kWh über die komplette Laufzeit. Wollen sie aber frei bleiben, jederzeit zu kündigen, zahlen sie schon 19,26 Cent/kWh.
Verbraucherzentrale sieht Mülheims Medl immer noch als günstigsten Gasanbieter
Für einen Mülheimer Musterhaushalt, der vormals 6,419 Cent pro Kilowattstunde zahlte, bedeuten die neuen Tarife eine Preissteigerung um rund 160 Prozent beziehungsweise gar 230 Prozent (ohne Mindestlaufzeit von einem Jahr).
Trotzdem stellt Christiane Wallraf als Energiemarktexpertin der Verbraucherzentrale NRW fest, dass die Medl mit ihrem neuen Tarif noch unschlagbar günstig sei: „Alternative Tarife, die man auf Vergleichsportalen abschließen kann, beginnen leider bei 19 Cent aufwärts“, sagt sie. Einzig im ebenso hochgesetzten Grundpreis, der monatlich bei der Medl fällig wird, sieht sie den Mülheimer Energiedienstleister mit 17,12 Euro „leicht überdurchschnittlich“.
So ist auch Medl-Vertriebsleiter Hoffmann der Meinung, angesichts der Energiekrise den Bestandskunden auch ab Januar noch „wirklich sehr, sehr faire Preise“ zu bieten. Er will außerdem seinem Haus gutgeschrieben sehen, dass die Medl ihr Wort gehalten habe, bis zum Jahresende gestiegene Einkaufspreise nicht an Kunden weitergegeben zu haben. Nur bei staatlich fixierten Nebenkosten war dies passiert.
Mülheimer Gas-Grundversorgung extrem teuer: Linderung ab Februar in Aussicht
Für Gasverbraucher, die in Mülheim aktuell in die Grundversorgung fallen, sind die Konditionen aktuell aber schlecht. Die Verbraucherzentrale brandmarkt sie als „sehr teuer“, sie zählten zu den „teuren Top Ten in NRW“. Hier zahlen Kunden 23,54 Cent/kWh und 17,98 Euro Grundpreis im Monat. Hoffmann erklärt dies mit der letztmaligen Kalkulation im Hochpreis-Monat September (nach Sperrung der Ostsee-Pipeline). Er kündigte an, dass die Medl in Kürze eine Preissenkung im Grundversorgertarif auf einen kWh-Preis von rund 20 Cent ankündigen werde, so dass dieser ab Februar gelten könne.
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Der Blick zum Strompreis der Medl: Auch hier werden die Preise zum 1. Januar kräftig steigen. In unserem Musterbeispiel klettert er von 27,70 auf 42,25 Cent/kWh für Kunden, die sich für ein Jahr verpflichten, diesen Preis zu zahlen. Wer lieber binnen Monatsfrist kündigen will, müsste gar 47,60 Cent/kWh zahlen. Auch eine satte Erhöhung, aber immer noch wäre die Medl damit deutlich günstiger als Grundversorger Eon mit seinen aktuellen Sondertarifen. Im Internet bietet Eon aktuell Öko-Strom für nahezu 60 Cent/kWh an – wer die Muße hat, mitunter zwei Stunden in der Hotline zu warten für ein Angebot, kann auch ein Angebot von knapp über 50 Cent/kWh bekommen, hat ein Versuch dieser Redaktion zuletzt gezeigt.
Medl-Vertriebsleiter Jan Hoffmann stellte gegenüber dieser Redaktion klar, dass es bei Anruf der Medl-Hotline keine besseren Angebote für Neukunden gebe als im Internet ausgewiesen: Das wären 22,47 Cent/kWh Gas und 47,60 Cent/kWh Strom. Wobei die Medl laut Hoffmann auch im Tarif „grüngas“ noch um gut drei Cent/kWh zu senken gedenkt.
Strom: Eon-Grundversorgung noch vergleichsweise sehr günstig – wie lange noch?
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Die einzige Option, bei Grundversorger Eon womöglich besser wegzukommen, könnte der Fall in die Grundversorgung sein – durch Kündigung beim bisherigen Versorger. Die Grundversorgung bietet Eon zurzeit noch für unschlagbare 30,85 Cent/kWh an. Einziger Haken: Wer jetzt bei seinem bisherigen Versorger kündigt, kann nicht sicher sein, dass er, sobald er in einigen Wochen bei Eon in die Grundversorgung fällt, auch noch diesen Preis erhält. Es gibt keine Preisgarantie. „Seine persönlichen Preise bekommt man erst bei der Bestätigung der Grundversorgung durch Eon“, hieß es dazu in der Konzern-Hotline. Trotzdem sieht die Verbraucherzentrale in einem Wechsel zur Eon-Grundversorgung eine mögliche Alternative.
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Berücksichtigen können Verbraucher noch die Energiepreisbremse, die rückwirkend zum 1. Januar gelten soll. Demnach sollen 80 Prozent des jährlichen Gas- und Stromverbrauchs der Verbraucher mit einem Preisdeckel versehen werden. Dann gilt für Gas ein maximaler Verbraucherpreis von 12 Cent/kWh und für Strom von 40 Cent/kWh. Die höheren Preise, die aktuell von Versorgern aufgerufen werden, sind dann nur für die anderen 20 Prozent des Verbrauchs zu zahlen. Hierdurch soll der Anreiz Bestand haben, Energie möglichst einzusparen.