Mülheim. Bach statt Beats und Charts: Die Jugendkantorei aus Mülheim-Saarn probt die Johannes-Passion. Warum die jungen Leute Chor und Klassik lieben.
In der Jugendkantorei der Chor Singschule Himmelfahrt ist Klassik höchst aktuell. 28 Stimmen des Jugendchors üben sich an einer Zeitreise, die sie zurück ins Jahr 1724 führt. Die Johannes-Passion von Johann Sebastian Bach fordert die 14- bis 29-Jährigen heraus, teils bis zum Frust. Schließlich aber überwiegt die Begeisterung.
Zwei Jahre lang proben die jungen Sängerinnen und Sänger schon für die zweistündige Aufführung, die am Sonntag, 26. März, um 18 Uhr in der Klosterkirche in Saarn stattfinden wird. Jetzt, zu einer der letzten Proben, hatte Chorleiter Prof. Werner Schepp das Singen zum ersten Mal auf die Nonnenempore verlegt, um den Klang der Kirche zu testen. Ältere Singstimmen sind bei diesem Stück ebenfalls dabei, um die Komplexität aufzufangen.
Jugendliche Sängerin aus Mülheim über Bachs Johannes-Passion: „Das ist ein Brett!“
Die ausgewählte Johannes-Passion beansprucht seine Sängerinnen und Sänger: Chorleiter Schepp unterbricht die Klänge teils, um zu korrigieren oder zu demonstrieren, wie es richtig geht. Vor allem die jüngeren Teilnehmerinnen des Chors standen dem Stück, einer Art Oratorium, anfangs mit Respekt gegenüber: Die 18-jährige Hanneke Stumme hat sofort gemerkt: „Das ist ein Brett!“ Viel üben war da programmiert. Sie selbst sei kein Fan von komplexeren Liedern, dass es aber interessant zum Zuhören sei, geben sie und die 14-jährige Johanna zu. Philippa, 14 Jahre alt, meint: „Wenn man es die ersten Male singt, ist es nicht immer schön, eher anstrengend“. Einige Male schlich sich sogar Verdruss ein: „Das schaffen wir nicht.“
Dabei begleitet die jungen Mädchen klassische Musik bis in ihren Alltag. Der Chor-Beitritt zur Grundschulzeit war naheliegend, da Mutter, Geschwister und Co. schon sängerisch unterwegs waren. Die 15-jährige Maya war inspiriert von gerade den anspruchsvollen Stücken und schlug dadurch den Weg in den Chor ein: „Und ja, hier bin ich jetzt. Und mir gefällt es.“ Sie und Johanna spielen auch Geige, trotzdem gibt es Unterschiede: Für Johanna gibt es ausschließlich klassische Musik, Maya hört auch Pop und Philippa wenig Klassisches.
Auch zeitgenössische Lieder stehen beim Mülheimer Jugendchor auf der Agenda
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Abgesehen von ihren unterschiedlichen Geschmäckern, haben sie dennoch eine gemeinsame Musik-Empfehlung abzugeben – aus ihrer Chor-Erfahrung heraus: John Rutter „All things bright and beautiful“. Aber die Mädchen räumen auch ein, dass regulär auch zeitgenössische Lieder beim Jugendchor auf der Agenda stehen.
Neben dem Frust ist auch Adrenalin vorhanden, wenn Philippa singt. Sie freut sich über die Höhepunkte im Stück, die sie am schönsten empfindet. Die Kombi von Chorleiter Schepp, ein paar erfahreneren Sängerinnen und die Aufführung beim Konzert in Aussicht treiben den Chor und sein Projekt ebenfalls in eine zuversichtliche Richtung.
Die „Herausforderung Johannes-Passion“ fordert die Beziehung zu klassischen Klängen der jungen Sängerinnen. Sie bringt einige Auseinandersetzung mit sich, die bei zeitgenössischen Liedern meist ausbleibt. Was hilft: Schepps Erklärungen zu Bachs Werk, Text und Vorgehen, Takt für Takt. „Berg- und Talfahrt gehört dazu“, offenbart Schepp über den Chor-Alltag, den er bewusst mit Qualitätsanspruch gestaltet. Man schaue eben in sein Heft und merkt: Das kann jetzt ein Jahr dauern.
Für dieses Stück waren es nun zwei Jahre, seit April 2021. Die Vorfreude auf die ersehnte Aufführung spornt an: „Das Endergebnis ist es Wert zu hören, weil so viel Arbeit drinnen steckt“, so Johanna. Man habe es stets im Kopf, so beschreibt Philippa ihre Motivation bis zum Konzert. Auch die Sängerinnen in den Zwanzigern sehen das Kloster-Konzert als Höhepunkt: Das Herz gehe auf, man fühle die Musik – und das gemeinschaftlich. Auch der Wechsel von E-Piano zum Barock-Orchester kommt gut an. Die 25-jährige Sophie, Tochter des Chorleiters Schepp, stellt es sich als „Hammer-Show“ vor.
Junge Chorsängerinnen sind stolz auf die Gemeinschaft am Mülheimer Kloster Saarn
Die Einstellung der Erfahrenen zu komplexen Stücken ist etwas lockerer: „Man will sich weiterentwickeln“, erklärt die 29-jährige Clara Schepp, ebenfalls Tochter des Chorleiters. Die 27-jährige Julia Scharfenberg ist vor allem stolz auf den Erfolg in Gemeinschaft: „Dass es trotz der Altersspanne alle zusammen gestalten, ist besonders.“ Ohnehin wird die Gemeinschaft bei der Jugendkantorei zum Beispiel in Form von „Bunten Abenden“ großgeschrieben.
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Auch Julia Scharfenberg hat die Johannes-Passion willkommen geheißen, nachdem der Chor vor 2020 schon das schwierigere Weihnachtsoratorium von Bach eingeübt und präsentiert hatte. Der Mut war da: „Boah, das haben wir schon geschafft. Cool, jetzt machen wir noch was Anspruchsvolleres“, erinnert sich die 27-Jährige an die Reaktionen. Auch Prof. Werner Schepp benennt Bach und sein Weihnachtsoratorium als „Schlüsselerlebnis“, weshalb er und der Chor noch einmal zu einem Werk des Komponisten griffen.
Mülheimer Chorleiter: „Was hat den Menschen bewegt, solche Musik zu schreiben?“
„Was ist das für geniale Musik“, ist der Gedanke, den Schepp seiner Jugend über fordernde Stücke nahe bringen möchte. Er sei begeistert, dass sich so junge Menschen auf schwierige Stücke wie die Johannes-Passion einlassen. Die historisch-theologische Seite alter Werke ist ihm auch wichtig, da die größten Werke in diesem Kontext entstanden seien: „Was hat den Menschen damals bewegt, solche Musik zu schreiben?“, beschreibt er seine Leitfrage, die der Chor ebenfalls erfragen soll.
Seine Töchter Sophie und Clara scheinen es verinnerlicht zu haben: Sie empfehlen Eriks Esenvalds, Simon Wawer, Ola Giejlo und schließlich Bach. Schepp stellt sich folgende Erkenntnis vor: „Es war schwer, manchmal habe ich geflucht, aber toll war es trotzdem.“ Jetzt bleibe ihm sowie den jungen Sängerinnen und Sängern nur noch der Wunsch, dass die Arbeit durch ein volles Haus honoriert werde.
Die Jugendkantorei der Chor Singschule Himmelfahrt wird die Johannes-Passion von Johann Sebastian Bach gemeinsam mit Solisten und dem Barockorchester Harmonie Universelle mit dem Mülheimer Konzertmeister Florian Deuter am Sonntag, 26. März, aufführen. Die Aufführung beginnt um 18 Uhr in der Klosterkirche in Mülheim-Saarn, Klosterstraße 53, statt. Tickets sind an der Abendkasse oder im Online-Vorverkauf erhältlich: www.musik-im-kloster-saarn.de. Auf die Website gelangt man auch durch das Scannen von QR-Codes, die auf den Plakaten zu finden sind, die im Stadtgebiet aushängen.